Was gehen mich Ihre Schuhe an? Laufen Sie nackt! Mit bloßen Sohlen!
MAX
Das tue ich ja!
MÜLLER
So passen Sie auf, daß Sie in keinen Reißnagel treten!
MAX
Man dankt für Ratschläge! Helfen Sie mir lieber die Schuhe suchen!
MÜLLER
Ich helfe keine Schuhe suchen!
MAX
Meine armen Zehen!
MÜLLER
Was gehen mich Ihre Schweißfüß an!
MAX
Schweißfüß?! Herr, das sind Zehen! Gepflegte Zehen! Polierte, rosige, zarte, zerbrechliche – das sind schon gar keine Zehen mehr, das sind Zehlein!
MÜLLER
brüllt: Halten Sie Ihr loses Maul! Woher will er wissen, was ich für Zehlein habe?!
MAX
Ich?
MÜLLER
Schluß! Ich möchte den Direktor Strasser! Aber sofort!
STRASSER
tritt aus dem Speisesaal rasch ein: Herr Generaldirektor!
MÜLLER
Ich bin kein Generaldirektor! Sie scheinen mich ja vergessen zu haben?
MAX
Wer das könnte!
MÜLLER
zu Strasser: Ich will Sie erinnern. Sie werden sich schon noch erinnern! Sie sollens nimmer vergessen! Garantiert!
STRASSER
Ach, Sie sind ja der Herr Müller! Ja, richtig! Der Müller von Hergt und Sohn – Ich habe Sie jetzt verwechselt. Verzeihen Sie, daß ich Sie mit meinem Freunde Generaldirektor Müller verwechselt habe. Aber diese Ähnlichkeit! Dasselbe markante Mienenspiel!
MAX
Natürlich! Aber natürlich!
MÜLLER
Finden Sie?
STRASSER
Frappant! Frappant! Stille.
MAX
Diese Schuhe – diese Schuhe – Bekümmert ab nach oben.
STRASSER
bietet Müller Platz an: Bitte –
MÜLLER
wehrt ab: Keine Konferenz! Selbst wenn ich Generaldirektor wäre, hier wird nicht geredet, hier wird bezahlt! Es dreht sich um jene sechs Kisten Sekt. Geliefert am siebzehnten Februar. Voriges Jahr.
STRASSER
Am fünfzehnten.
MÜLLER
Am sechzehnten! Bezahlen Sie, bezahlen Sie! Ja oder nein?
STRASSER
Nein.
Müller setzt sich und schlägt wütend die Beine über Kreuz. Strasser beugt sich über den Tisch. Nein. Er setzt sich. Aber ich bin selbstverständlich bereit, Möglichkeiten zu erwägen –
MÜLLER
unterbricht ihn: Ich lasse pfänden, Herr! Pfänden!
STRASSER
Defizit. Garantiert.
MÜLLER
Ich lasse alles beschlagnahmen!
STRASSER
»Alles«? Ein unsolider Begriff!
MÜLLER
Und dann erstatte ich Strafanzeige: wegen Betrug!
STRASSER
Ach! Sie wollen sich selbst stellen?
MÜLLER
Mich selbst? Was soll das? Wieso?
STRASSER
Ich kenne nämlich einen Generaldirektor, einen gewissen Müller, der verkauft auch Autos, so nebenbei – und hat auch so nebenbei einen gewissen Strasser betrogen – ›betrogen‹ ist dabei noch galant formuliert.
MÜLLER
Wann soll denn das gewesen sein?
STRASSER
Am dritten März. Voriges Jahr.
MÜLLER
Was war das für ein Wagen?
STRASSER
Ein rotbrauner –
MÜLLER
unterbricht ihn: Ach, der Kleine!
STRASSER
Klein oder nicht klein! Der Staatsanwalt kennt nur Pferdekräfte!
MÜLLER
Sie wollen erpressen?
STRASSER
Ich könnte erpressen, aber ich will zu anständig sein.
MÜLLER
Was verdienen Sie dabei?
STRASSER
Nichts. Nichtmal sechs Kisten Sekt. Ich bin so und so bankrott.
Draußen weht der Wind.
Der Sommer war verregnet. Zu Weihnachten blühte der Flieder. Zu Ostern fiel Schnee. Schlechter Schnee. Kein Wintersport, nur Grippe. Verseuchte Saison. Kaum ein Gast. Ich hänge hier zu sehr vom Wetter ab.
Der Regen klopft auf ein Dach.
Hören Sie?
MÜLLER
Was?
STRASSER
Wie es regnet. Pfingsten naht. Wieder verregnet.
Schweigen.
MÜLLER
Ich gratuliere. Sie haben ja einen außerordentlich vorteilhaften Vertrag mit dem lieben Gott. Solange Sie Grammophon spielen, scheint die Sonne – aber wie einer um sein Geld kommt, gibt es sogleich einen Wolkenbruch.
STRASSER
Also abgesehen vom lieben Gott: sehen Sie denn nicht, daß das Gras schon zur Türe hereinwächst? Die Kräuter?
MÜLLER
Was für Kräuter?
STRASSER
Mann, Müller! Sehen Sie doch nur diese ungeheure Verwahrlosung! Diese Einsturzgefahr! Man wagt ja kaum mehr Platz zu nehmen!
MÜLLER
Nanana! Der Stuhl unter ihm bricht zusammen; er stürzt zu Boden.
STRASSER
Es geht abwärts. Er zündet sich eine Zigarette an.
Schweigen.
MÜLLER
am Boden: Bankrott. Hm – Was verdienen Sie dabei? Er grinst.
STRASSER
Sie fallen vom Stuhl!
MÜLLER
Würde Ihnen so passen!
STRASSER
Sie können es sich anscheinend nicht mehr vorstellen, daß jemand wirklich zu Grunde gehen kann?
MÜLLER