So wahr Sie jetzt am Boden kauern!
MÜLLER
gekränkt: Ich kauere nicht. Kauern tut ein Tier. Ich sitze. Man ist doch immerhin noch ein Mensch – Au! Was war das? Was ist das? – Ich kann nicht mehr auf – Au, ich glaube, jetzt ist etwas verrenkt – es wird doch nichts gebrochen, au! So helfen Sie mir doch!
STRASSER
geht auf und ab: Hernach! Zuerst das Geschäftliche –
MÜLLER
unterbricht ihn: Hernach, hernach!
STRASSER
Nein! Zuerst die Pflicht! Also: ich kann nicht bezahlen –
MÜLLER
unterbricht ihn: Ich kann nicht aufstehen!
STRASSER
Ich kann nicht bezahlen.
MÜLLER
Betrug! Betrug! Eine alte Ziege finanziert den Zirkus! Diese sinnliche Aristokratin! Ist ja bekannt, bekannt, stadtbekannt!
STRASSER
Ich halte nichts vom Geschwätz der Leute!
MÜLLER
Herr, ich bin unglücklich!
STRASSER
Ich kann Ihnen lediglich versichern, daß sobald es mir meine Lage gestatten wird, das heißt: bei günstiger Witterung, ich meine Schulden anfangen werde zu begleichen. Ratenweise, natürlich! Sonst müßte man sich ja sogleich aufhängen!
MÜLLER
Wollen Sie mich hier liegen lassen, wie einen überfahrenen Hund, ja?! Hilfe! Hilfe! Hilfe!!
STRASSER
stürzt sich auf ihn und hält ihm den Mund zu; brüllt: Ruhe! Ruhe! Ruhe!!
Stille.
Stützt ihn empor. Sammlung, Herr Müller! Sammlung! Solch ein ausgewachsenes Exemplar, und so brüllen – Wie kann man nur – wegen einer lumpigen Ratenzahlung!
MÜLLER
weinerlich: Au – meine Existenz – Strasser, ich habe das Gefühl, ich bin entzwei – ob ich mir etwas gebrochen habe? Sie können das gar nicht beurteilen, diese Ratenzahlung in Verbindung mit der Witterung – meine Existenz – nein, nein! Ich bin kein Hypochonder – und betrogen habe ich Sie auch nicht, das mit dem Auto, dem Kleinen – mit demselben Rechte könnte man ja sagen, ein jedes Geschäft – wenn ich mir nur nichts gebrochen habe –
STRASSER
sanft: Herr Müller. Ich werde Sie nun nach dem Speisesaal bringen – Sie werden mir Recht geben: sobald man etwas im Magen hat, fühlt man sich erleichtert.
Max tritt in schwarzen Schuhen aus dem Speisesaal; läßt die Türe offen und verbeugt sich tief mit einer Serviette über dem Arm.
MÜLLER
Und die Nacht über muß ich nun auch hier – Heut kann ich unmöglich weiter, so hinkend.
STRASSER
führt ihn in den Speisesaal: Ich habe ja auch Zimmer –
MÜLLER
seufzt: Nur kein Geld! Aber Sie haben ein goldenes Herz, Sie Schwein – Ab.
MAX
allein: Ich bin nur froh, daß ich endlich meine Schuhe wieder habe. Man ist ja sogleich ein anderer Mensch.
Christine einfach dunkel gekleidet; erscheint in der Eingangstüre.
MAX
formell. Sie wünschen?
CHRISTINE
Ich wollte nur fragen, ob ich Herrn Strasser sprechen könnte.
Strasser tritt aus dem Speisesaal.
MAX
leise: Es ist ein Frauenzimmer hier, das dich sprechen will.
STRASSER
ebenso: Mich? Wie sieht es denn aus?
MAX
Geschmacksache.
STRASSER
grinst: Dünn? Dick? Lang? Kurz? Stämmig?
MAX
Ich weiß nicht, was du darunter verstehst.
STRASSER
So laß mal sehen!
Max knipst das Licht an.
Strasser erblickt Christine, fährt zusammen, will schleunigst ab.
CHRISTINE
Strasser!
STRASSER
tut, als erblickte er sie erst jetzt: Christine! – Du? Kolossal! Ich hab dich jetzt gar nicht gesehen, auf Ehrenwort!
CHRISTINE
Lüg nicht.
Stille.
STRASSER
zu Max: Was lungern Sie hier herum, Kellner, als gäbe es nichts zu tun! Der Herr Generaldirektor wollen ja soupieren! Daß mir keine Klagen kommen!
MAX
ab in den Speisesaal: Hoi! Hoi!
Stille.
STRASSER
Christine. Dein plötzliches Erscheinen wirft die ganze Exposition über den Haufen –
CHRISTINE
Warum hast du meine Briefe nicht beantwortet?
STRASSER
Was für Briefe?
CHRISTINE
Alle können nicht verloren gegangen sein.
STRASSER
Doch! Doch! Die Post ist derart unzuverlässig –
CHRISTINE
unterbricht ihn: Lüg nicht.
Stille.
Betrachtet Strasser; sieht sich scheu um; eilt plötzlich auf ihn zu, ängstlich lächelnd, schlingt ihre Arme um seinen Hals und küßt ihn. Nein, nein! Das ist ja alles nicht wahr – alles nicht wahr, still! Wir reden ja nur aneinander vorbei. Verzeih mir. Bitte verzeihe, daß ich soeben sagte, du lügst – aber ich bin so ängstlich geworden, ich weiß doch, daß du nicht lügst, nie lügst, daß du nie die Unwahrheit sagst –
STRASSER
Einmal habe ich einen Brief erhalten –
CHRISTINE
küßt ihn rasch auf den Mund: Nein nein nein – Ich weiß ja, daß die Briefe verloren gegangen, alle Briefe, und dann habe ich sie auch vielleicht gar nicht abgesandt – es ist ja, als hätte ich sie gar nicht geschrieben, und die Post ist derart unzuverlässig – warum, warum gibst du mir denn keinen, keinen Kuß?
Strasser küßt sie.
Stille.
Ich habe dir geschrieben, daß mein zweiwöchentlicher Sommeraufenthalt, voriges Jahr, hier, nicht ohne Folgen für mich – für uns –
STRASSER
Du willst doch nicht sagen –
CHRISTINE
unterbricht ihn: Ja.