Aber das ist ja gar nicht wahr!
PAUL
Es muß wahr sein! Sonst gehen wir unter.
Der Morgen graut. Mathilde setzt sich. Paul tritt ans Fenster.
MATHILDE
sieht nach dem Fenster, nach Paul; fröstelt: Ein neuer Tag. Mich friert.
PAUL
Mich auch.
Stille.
MATHILDE
Wir müssen uns anziehen.
PAUL
Oder ins Bett legen.
Stille.
MATHILDE
starrt auf Wenzel; dumpf vor sich hin: Er kommt wieder, er kommt wieder – Sie sieht sich scheu um und lauscht; springt dann plötzlich empor und eilt wimmernd auf Paul zu. Du, ich hab solch Angst: um das, das kommen wird – Paul schließt sie in seine Arme.
ZUR SCHÖNEN AUSSICHT
PERSONEN
KARL
MÜLLER
STRASSER
EMANUEL, Freiherr von Stetten
ADA, Freifrau von Stetten
CHRISTINE
Zeit: Ungefähr zwölf Stunden
ERSTER AKT
Halle des Hotels zur schönen Aussicht.
Dies Hotel zur schönen Aussicht liegt am Rande eines mitteleuropäischen Dorfes, das Dank seiner geographischen Lage einigen Fremdenverkehr hat. Saison Juli-August. Zimmer mit voller Verpflegung sechs Mark. Die übrige Zeit sieht nur durch Zufall einen Gast.
Es ist drei Uhr Nachmittag und die Sonne scheint. Im Monat März. Links Portierloge. Rechts Glastüre mit Aufschrift: Speisesaal. Im Hintergrunde führt eine Treppe nach oben und eine breite weit offene Türe ins Freie. Am Horizont Berge. Im Vordergrund ein kleiner Tisch und zwei Rohrstühle. In der Ecke eine vergilbte Palme. Eine mächtige alte Karte von Europa hängt an der Wand. Alles verstaubt und verwahrlost.
Max in Hemdsärmeln; sein Kellnerfrack liegt neben ihm auf dem Pulte der Portierloge; er liest Zeitung, frißt Brot und schlürft aus einer großen Tasse Kaffee.
Im Zimmer über der Halle spielt ein Grammophon Südseeweisen.
KARL
in lederner Chauffeuruniform, erscheint in der Türe im Hintergrund; fixiert Max; tritt langsam auf ihn zu und beugt sich über das Pult: Guten Morgen, Liebling.
MAX
Gute Nacht, Liebling.
KARL
Kannst du es erraten, was ich jetzt am liebsten tun würde?
MAX
Nein. Und dann interessiert es mich auch nicht.
KARL
Aber mich. Du hast dein Ehrenwort gebrochen.
MAX
Interessiert mich nicht.
KARL
Du hast mich bestohlen. Du Hund.
MAX
Es interessiert mich nicht. Mein Herr.
KARL
Du bist eine korrupte Kreatur.
MAX
Sie haben ja den Südpol entdeckt! Man gratuliert.
KARL
Oh, bitte! Diese gewaltige Entdeckung ist nicht mein Verdienst, sondern ist bereits gerichtsnotorisch protokolliert!
MAX
Brüll nicht! Er lauscht. Es gibt doch auch Fehlurteile.
KARL
grinst: Freispruch.
MAX
Und Justizmord.
KARL
finster: Das auch.
Schweigen.
MAX
Apropos korrupte Kreatur: Baronin lassen sagen, der Chauffeur solle warten.
KARL
So? – Was mich das Frauenzimmer neuerdings warten läßt!
MAX
Was sich liebt, das läßt sich warten. Und apropos Justizmord: ich habe einmal läuten hören, daß du damals, als du noch hübsch und knusprig warst, vor 1914, ich glaube in Portugal –
KARL
scharf: Was war in Portugal?
MAX
Du warst doch in Portugal?
KARL
Ja.
Schweigen.
Was ist mit Portugal?
MAX
Du warst doch auch mal Kaufmann, vor 1914 – in Portugal?
KARL
Ja. Und?
MAX
Stimmt.
KARL
Was stimmt?
MAX
In Portugal gibt es korrupte Charaktere, sehr korrupte – besonders vor 1914 gab es dort außerordentlich korrupte Charaktere. Da konnte man keinen ungestraft an sein Ehrenwort erinnern.
KARL
Was soll das?
MAX
Es ist schon mancher bestraft worden, in Portugal. So um die Ecke – bestraft.
KARL
Wer?
MAX
Zum Beispiel: Jener – Er stockt.
KARL
Wer jener?
MAX
Was weiß ich!
KARL
brüllt: Heraus damit!
MAX
Verzeihung! – Ich dachte, jener hätte sich