zur Mutter; leise: Sie ließen ihn ein.
MUTTER
als müsse sie sich besinnen: Ja: konnte nicht einschlafen. Hörte läuten. Immer läuten. Viele, viele Glocken: als wären Dämme durchbrochen oder Feuer – und er sagte die Nacht sei neblig und kalt und ob er am Sofa da schlafen dürfe.
KOMMISSAR
Wissen Sie etwas –
MUTTER
unterbricht ihn: Man kann alles wissen. Hat zwar Augen, Ohren, Kopf, Herz – kann aber alles wissen. Sie lächelt irr.
MATHILDE
Mutter, hast du den Verstand verloren?!
MUTTER
lacht: Aber Thilde! Sie erblickt wieder Wenzel, ernst, leise. Er rührt sich nicht, rührt sich gar nicht – sagt mir: ist er tot?!
Stille.
Sagt mirs doch. Bitte –
KOMMISSAR
Er hat sich selbst gerichtet.
MUTTER
langsam: Sich selbst – freilich: man kann tun was man will. Hat Arme, Beine, Kopf – kann tun was man will. Zum Kommissar. Sehen Sie das Sofa? Es lehnt noch an derselben Wand. Still! Treten Sie beiseite: die Nebel ballen sich im All. Bitte beiseite: er will ja auf mich zu. Es ist erst März, doch der Sturm schlägt die Türen zu und hier innen wirds wohlig und warm. Wird schon werden. Seine Brust wölbt sich mir entgegen, doch sehen Sie: die Fotografie: seine Mutter, dort im Rahmen! Hängt über uns und lächelt, daß man das Zahnfleisch sieht – Hilfe! Hilfe! Das Gesetz! – er will es Ilse oder Wenzel taufen. Hören Sie das Sofa knarren? Es kommt über mich: weicher als mein Bett! Sie wimmert.
Kommissar verbeugt sich vor Paul, will ab. Halt! Hören Sie Herr Polizei! Ich wußt es: alles. Versprechen Sie mir: lassen Sie ihn nie mehr los! Riegeln Sie fest zu! Er kann nämlich nicht anders. Ist verflucht –
KOMMISSAR
geht mit der Polizei, indem er Müller winkt, der sich ebenfalls entfernen will. Guten Tag, Herr Müller!
Müller stutzt; verbeugt sich verlegen; rasch ab. Stille.
Lächelt. Jetzt kommt der Prozeß.
MATHILDE
Mutter!
MUTTER
Bin nicht deine Mutter!
PAUL
zur Mutter: Beruhige dich.
MUTTER
Schweig! Hast nicht mitzureden! Wer mein Kind verleumdete soll das Maul halten! Es ist nicht wahr, daß er den Kanari damals verbrannte! Nicht wahr, Ilse, du weißt es?
PAUL
Fragst du die, deren Ring er stahl?
MATHILDE
Paul! Denk an mich!
MUTTER
schrill: Ilse wars! Ilse!
ILSE
Lüge!
MUTTER
Dann war es Paul!
PAUL
Meinst vielleicht auch: ich morde?
MUTTER
Dir trau ichs zu!
PAUL
grinst: Ihm freilich nicht!
MATHILDE
Still, es liegt ja ein Toter im Zimmer –
ILSE
Sie ist verrückt.
MUTTER
Wer: sie?! Beschimpft ihr mich wieder? Immer wieder! Hinaus aus meiner Wohnung! Hinaus mit euch, ihr Pack! Hinaus!
Stille.
Weinerlich. Gott, jetzt vergaß ichs wieder: hab ja keine Wohnung mehr. Alles wurd mir genommen – Kinder, meine Kinder, warum folgt ihr mir nie? Wenn der Vater nur noch lebte –
PAUL
Wär es anders gekommen.
MUTTER
schlägt plötzlich um: Ja: Du hättest kuschen müssen!
PAUL
Und du auch.
MUTTER
Lüg doch nicht immer! Was weißt denn schon du?
PAUL
Nur was ich sah.
MUTTER
Was du nicht sahst, darauf kommt es an. Weißt du denn wie er war, da du noch nicht warst? Weißt du, wir haben uns oft im Café getroffen. Man soll gar nicht darüber reden – du hättest ihn nicht wiedererkannt: er hat mich auf Händen getragen. Jaja, Vater war ein kräftiger Mann. Aber seit er damals so über Nacht alles verlor – da mußt ich ihn tragen. Hab schon viel getragen. Zuviel. Hab euch getragen, zuerst im Bauch, dann am Buckel – doch bevor ich zusammenbreche, werf ich euch ab! Hört ihr? Ab! Will keine Kinder, bin keine Mutter! Will frei sein! Werf euch ab! Ilse, nimm den Finger aus der Nase! Und – wenn er, dieser Klamuschke kommt, so sagt ihm, ich, das Fräulein, bin bereits im Unterholz und will in den windstillen Wald. Sie verbeugt sich. Empfehle mich, meine Herrschaften! Ihr Hunde! Brüllt, flennt, heult – ich höre nichts! Nichts! Glotzt doch nicht so dämlich! Ab durch die linke Türe.
MATHILDE
setzt sich.
ILSE
hält plötzlich auf die Haustüre zu.
PAUL
Wohin?
ILSE
Fort.
PAUL
Zum Müller?
Ilse schweigt, lauert. Hast recht. Ilse ab. Stille.
MATHILDE
Es gibt keine Gerechtigkeit.
PAUL
Wie gerne du dich quälst.
MATHILDE
Ich weiß, daß du unempfindlich bist.
PAUL
Was heißt das?
MATHILDE
verwirrt: Gott, was hab ich nur wieder gesagt?! Paul! Es ist zu furchtbar, Alles! Wollte ja etwas anderes –
PAUL
unterbricht sie: Nein. Das wolltest du nicht.
MATHILDE
Schweig! Sonst seh ich es noch ein! Oh, was soll man denn nur tun?
PAUL
Auf den Arzt warten.
MATHILDE
weint: Himmel –
PAUL
Laß das! Der liebe Gott spielt Skat im himmlischen Bilderbuch und hört uns nicht, wenn es überhaupt so etwas gibt!
MATHILDE
Ich bin aus anderem Holz. Spürs, wenn man mich schlägt.
PAUL
Ich auch. Aber das Martyrium reizt mich nicht. Ich weiß: manchmal hassest du mich, genau wie sie, weil ich aus dem Unabänderlichen nie mein Gefühlskapital erhöhe. Doch ich leide weder wegen gleicher Eltern noch laß ich mich für fremde Taten