»Ja, ich war auch ganz erstaunt, ihn hier zu sehen. Warum ist er in dieser … Selbsthilfegruppe?«
Sein Gesicht verschloss sich.
»Er hat ’ne Menge durchgemacht«, sagte er, »aber versteh bitte, dass ich darüber nicht sprechen kann. Das ist zu persönlich.«
»Natürlich, Toni, ich wollte auch nicht neugierig sein, die Frage ist mir nur so herausgerutscht.«
Bettina war froh, als Leni das Essen zu loben begann, also hatte Babette es wirklich allein zubereitet, ohne Lenis Unterstützung.
Dafür bewunderte sie Babette, sie selbst wäre nicht in der Lage gewesen, für so viele Leute ein dreigängiges Menü zuzubereiten, auch wenn der Schwierigkeitsgrad hierbei nicht besondes groß gewesen war.
Aber ihr hatte auch niemand das Kochen beigebracht, dafür hatte es immer Personal gegeben. Sie hatte ihre Mutter, ehe die gegangen war, um diesen reichen Südamerikaner zu heiraten, nicht ein einziges Mal in der Küche gesehen.
Bettina war sich nicht einmal sicher, ob ihre Mutter überhaupt Kaffee kochen konnte. Gesehen hatte sie es niemals.
Das eine oder andere Gericht konnte sie schon zubereiten, aber sie würde auf jeden Fall Leni bitten, ihr das eine oder andere beizubringen, schaden konnte es nicht.
Wenn sie und Jan erst mal verheiratet waren, würde es ihr bestimmt Spaß machen, für ihn zu kochen.
Würde sich ihr Leben vollkommen verändern?
Sie hatte keine Ahnung, und sie zwang sich, sich am Gespräch zu beteiligen, denn warum sollte sie sich über etwas den Kopf zerbrechen, was überhaupt nicht relevant war.
Bettina warf einen verstohlenen Blick auf ihren Ring. Und sofort spürte sie, wie ihr Herzschlag sich beschleunigte, wie ihr Blut zu pulsieren begann.
So gern sie mit allen zusammen war, jetzt wünschte sie sich, der Rest der Gesellschaft möge sich auflösen, weil sie nämlich nach Hause wollte, nicht, weil sie müde war, sondern weil sie vor sich hin träumen wollte. Es gab ja so vieles, worauf sie sich freuen konnte – das Kleid für die standesamtliche Trauung, das für die kirchliche. Schon zweimal war sie dabei gewesen, einmal für Lindes Hochzeit, dann hatte Yvonne sie gebeten, sie bei der Auswahl ihrer Kleider zu beraten. Und jetzt würde sie die Braut sein und ihre beiden Freundinnen mitnehmen, Linde und Yvonne.
»Hey, Bettina, wo bist du mit deinen Gedanken«, drang Lenis Stimme an ihr Ohr, »ich habe dich schon zweimal was gefragt, ohne eine Antwort zu bekommen. Wo bist du denn mit deinen Gedanken?«
Bettina zuckte zusammen. »Entschuldige, Leni, ich … ich war ein wenig weggetreten, ich hab wohl meinen toten Punkt erreicht.«
»Ich auch«, gab Arno zu, »und wir sollten Babette und Toni endlich ihre wohlverdiente Ruhe gönnen.«
Das war das Stichwort, der allgemeine Aufbruch setzte ein, und innerhalb der nächsten zehn Minuten brachen sie alle auf.
Als Bettina über den Hof ging, um zu ihrem Haus zu gelangen, warf sie automatisch einen Blick auf das ehemalige Gesindehaus, in dem die Appartements für Gäste untergebracht waren.
Bei Dorothea Steinbrecher brannte noch Licht.
Ob sie gerade jetzt über ihr Leben nachdachte und darüber, wie es bei ihr weitergehen sollte?
Hoffentlich traf sie die richtige Entscheidung und veränderte etwas und ließ sich nicht wieder vom Alltagstrott einfangen.
Den fünfzigsten Geburtstag und die Silberhochzeit zu ignorieren, dazu gehörte schon eine ganz schöne Abgebrühtheit.
Bettina erinnerte sich daran, wie auch bei Christina von Orthen bis spät in die Nacht das Licht gebrannt hatte. Auch die hatte keinen Schlaf finden können und war wegen eines Mannes hier gewesen, allerdings nicht wegen eines lieblosen Ehemannes, sondern wegen ihrer letzten, großen Liebe, von der sie Abschied nehmen wollte.
Bettina hatte erst sehr spät, genau am Abreisetag, zufällig erfahren, dass diese letzte große Liebe ausgerechnet ihr eigener Vater gewesen war.
Sie lächelte, als sie ihre Haustür aufschloss.
Welch ein Glück, dass ihr Vater bei der Eröffnung seines zweiten Testaments auch etwas für Christina hinterlassen hatte. Das hatte ihr die Möglichkeit gegeben, sie aufzusuchen, was sie einander nähergebracht hatte. Und jetzt, jetzt standen sie in enger Verbindung, weil es beiden ein Anliegen war, die Hermann-Fahrenbach-Stiftung im Sinne ihres Vaters weiterzuführen oder zumindest zu überwachen, dass es auch richtig lief.
Bettina warf einen Blick auf ihren Anrufbeantworter, kein Lämpchen flackerte, also hatte auch niemand während ihrer Abwesenheit angerufen. Das war gut, dann musste sie auch niemanden zurückrufen oder brauchte sich nicht zu ärgern, weil sie einen wichtigen Anruf verpasst hatte.
Sie überzeugte sich, dass im Erdgeschoss überall das Licht gelöscht war, dann ging sie hinauf ins Obergeschoss, um sich für die Nacht fertig zu machen.
Sie wünschte sich wunderschöne Träume, die sich allesamt um Jan drehen sollten, den sie schon jetzt so sehr vermisste … ihren Verlobten. Sie hatte es immer geahnt, aber jetzt wusste sie es. Liebe war eine Sache, aber eine Heirat war etwas ganz, ganz anderes. Es war eine Liebe, die umschlossen wurde von einem Band der Treue, der Zusammengehörigkeit und auf einmal war sie sich auch sicher, dass sie Jans Namen annehmen würde, weil es eigentlich Tradition war und weil das auch noch etwas war, was die Zusammengehörigkeit nach außen demonstrierte.
Bettina van Dahlen, das klang gut.
Ob Jan sich wohl freuen würde, dass sie sich so entschieden hatte?
Sie schüttelte den Kopf.
»Nein, das war nichts, womit sie ihm eine Freude machen konnte, da zählten für Jan andere Dinge.
Schade, dass er noch nicht angerufen hatte und dass sie auf ein Lebenszeichen von ihm noch etwas warten musste.
Es dauerte nicht lange, da lag sie in ihrem Bett, eingekuschelt in ihre Daunendecke.
Sie dachte an Jan, aber auch an den wirklich schönen Abend bei Toni und Babette, und da kam ihr zwangsläufig auch Gregor Olsen in den Sinn. Das hätte sie wirklich nicht erwartet, ihn bei einer solchen Gelegenheit zu sehen.
Toni hatte gesagt, Gregor Olsen habe einen schweren Verlust erlitten. Was mochte wohl geschehen sein? Hatte er seine Frau durch Suizid verloren? Kaum denkbar, denn er machte einen so netten Eindruck, wenn es so war, hatte sie sich gewiss nicht wegen Ehestreitigkeiten das Leben genommen. Laura hatte sich auch nicht wegen Toni umgebracht, sondern weil sie nach diesem schrecklichen, unverschuldeten Autounfall querschnittgelähmt gewesen war.
Es gab schon schlimme Schicksale, die man nicht seinem ärgsten Feind wünschte.
Bettina hoffte aus tiefstem Herzen, dass ihr und Jan so etwas erspart bleiben möge.
Ganz gewiss würde nicht alles immer eitel Sonnenschein sein, so etwas gab es nicht im wahren Leben. Aber ein glückliches, zufriedenes Leben, vor allem ein Beisammensein bis ins hohe Alter, wünschte sie sich sehr.
Das Schrillen des Telefons riss sie aus ihren Gedanken.
Sie zuckte zusammen.
Wer rief denn um diese Zeit noch an? Das konnte nichts Gutes bedeuten.
Sie nahm den Hörer in die Hand, meldete sich, und hätte vor lauter Glück am liebsten angefangen zu jubilieren.
Es war Jan …
Da er ihr gesagt hatte, dass es für einige Tage nicht möglich sein würde sich zu melden, hatte sie mit ihm nun wahrhaftig nicht gerechnet.
»Jan, Liebster«, flüsterte sie, überwältigt vor lauter Glück.
»Ich habe dich doch hoffentlich nicht geweckt?«, erkundigte er sich besorgt.
»Nein, ich habe noch nicht geschlafen, und selbst wenn, für ein paar Worte von dir würde