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Bettina hatte sehr gehofft, Jan würde sich melden, sie konnte es kaum erwarten, seine Stimme zu hören. Aber leider geschah nichts. Dabei war ihre Enttäuschung unbegründet, denn er hatte ihr ja vor seinem Abflug gesagt, dass sie einige Tage nichts voneinander hören würden.
Aber wenn das Herz übervoll war, dann wollte man sich auch mitteilen.
Da langte es auch nicht, die wunderbare Neuigkeit den Hofbewohnern und ihren Freunden zu erzählen.
Zum Glück hatte sie keine Vorahnungen mehr und interpretierte in ihre Angst vor seinem Abflug und die überraschende Verlobung nichts mehr hinein.
Sie kam auch nicht dazu, sich unnötige Gedanken zu machen, denn sie hatte in der Destille viel zu tun, das neue Projekt nahm sie voll in Anspruch, und es gab dabei auch noch einige Schwierigkeiten auszuräumen, und leider hatte es auch wieder ein paar Insolvenzen kleinerer Kunden gegeben.
Der Schaden bei den einzelnen Kunden war zwar nicht groß, aber insgesamt summierte es sich doch.
Aber jetzt wollte Bettina an überhaupt nichts mehr denken. Heute sollte endlich die große Einweihungsparty im ehemaligen Gärtnerhaus stattfinden, das Bettina zwar hatte restaurieren und renovieren lassen, die Inneneinrichtung war durch Babette und Toni erfolgt, und es war eine wahre Wonne, anzusehen, was sie da geschaffen hatten. Das Haus war ein richtiges Schmuckkästchen geworden.
Zu der Fete hatten sie die Hofbewohner eingeladen, wie hätte es auch anders sein können, dann Linde, die auch zum harten Kern gehörte wie ebenfalls Yvonne und Markus.
Babette hatte außerdem zwei Freundinnen eingeladen, denen sie stolz ihr neues Zuhause zeigen wollte, und, soweit Bettina sich erinnern konnte, sollten zwei, drei Leute aus der Selbsthilfegruppe kommen, die Toni besucht hatte, ehe Babette in sein Leben getreten war. Aber um diese Leute würde Inge Koch sich kümmern, die auch zu diesem Kreis gehörte und noch immer regelmäßig zu den Treffen ging, um den Freitod ihres Mannes besser verarbeiten zu können.
Bettina fand solche Selbsthilfegruppen gut, denn da trafen sich Gleichgesinnte, die mehr oder weniger ein gemeinsames Schicksal trugen. Sie hatten ihre Partner durch Suizid verloren oder aber auch ihre Kinder oder nahe Angehörige.
Toni war jahrelang nicht damit fertig geworden, dass seine Verlobte, nach einem unverschuldeten Autounfall an den Rollstuhl gefesselt, mit ihrem Leben nicht mehr zurechtgekommen war und es freiwillig beendet hatte.
Es musste eine Wohltat für ihn gewesen sein, mit anderen Menschen darüber sprechen zu können. Sicherlich würde Toni noch immer hingehen, aber sein Leben hatte eine wunderbare Wendung genommen. Er hatte Babette gesehen und sich zum ersten Mal seit Lauras Tod wieder zu einer Frau hingezogen gefühlt.
Es war schon merkwürdig, welch seltsame Wege das Schicksal manchmal ging.
Sie hatte Babette kennengelernt, die fast zur selben Zeit wie Linde ihr Baby bekommen hatte, die kleine Marie, die ihr Vater nicht hatte sehen wollen, weil sie ›nur‹ ein Mädchen war. Der hatte es vorgezogen, zu seiner Geliebten zu ziehen, die fast gleichzeitig mit Babette ein Kind bekommen hatte, allerdings einen Sohn.
Toni war vom ersten Moment an in die kleine Marie vernarrt gewesen und hatte wie selbstverständlich Babette und das Kind bei sich aufgenommen.
Zuerst war es nur eine Wohngemeinschaft gewesen, doch jetzt waren die beiden ein Paar und glücklich ohne Ende.
Nach der Scheidung, die nur noch eine Formsache war, würden sie heiraten, und Bettina war sich sicher, dass sich dann noch das eine oder andere Kind einstellen würde.
Sie freute sich für die beiden, aber ganz besonders für Toni, denn der hatte wirklich alles Glück der Welt verdient.
Bettina war schon ein bisschen spät dran, denn sie hatte noch den Silberleuchter in Steinfeld abholen müssen, den man extra für sie besorgt hatte.
Babette hatte einen solchen Leuchter in einer Wohnzeitschrift abgebildet gesehen und war hingerissen gewesen.
Zum Glück hatte ein alteingesessener Juwelier, der auch Silberartikel und Silberbestecke führte, herausfinden können, wer der Hersteller des Leuchters war und hatte ihn ihr besorgt. Fast wäre es schiefgegangen und der Leuchter wäre nicht rechtzeitig angekommen, doch der Juwelier war selbst zum Express gefahren, um ihn noch auszulösen, und jetzt hielt Bettina das Prachtstück, sorgsam verpackt, in Händen und lief über den Hof.
Sie freute sich jetzt schon auf Babettes Gesicht, und auch Toni würde sich freuen.
Wie es schien, war die Gesellschaft bereits komplett. Sie saßen oder standen zwanglos beieinander.
»Hat es geklappt?«, flüsterte Leni ihr zu, die eingeweiht war.
»Ja«, sagte Bettina und überreichte Babette und Toni das Päckchen.
»Bettina, du sollst uns keine weiteren Geschenke machen«, sagte Toni, »du hast bereits mehr als genug für uns getan. Das schöne Haus, die wunderbaren Möbel, die du uns überlassen hast. Das können wir doch gar nicht mehr gut machen.«
»Aber das Geschenk fehlt noch in eurer Sammlung«, lachte Bettina.
»Darf ich es sofort auspacken?«, wollte Babette wissen, die bereits vor lauter Aufregung ein ganz hochrotes Gesicht hatte. Es war schön, Babette zu beschenken, weil die sich so herrlich freuen konnte.
»Klar«, sagte Bettina deswegen auch sofort.
Das ließ Babette sich nicht zweimal sagen, sie riss das Papier auf, drückte es Toni in die Hand, und dann sah sie den Leuchter.
Sie starrte darauf, als könne sie nicht glauben, was sie da sah.
Dann atmete sie tief durch, stieß einen Schrei der Begeisterung aus, ehe sie Bettina um den Hals fiel.
»Ich glaube es nicht, du bist verrückt, absolut verrückt«, schrie sie, »aber du hast mir einen Traum erfüllt, tausend Dank, Bettina, tausend Dank … mein Gott, dass dieser wundervolle Leuchter jetzt in unserem Wohnzimmer stehen soll. Ich fasse es nicht.«
Sie war außer sich vor Freude, aber diese Begeisterung lenkte die Aufmerksamkeit der anderen Gäste auf das kleine Grüppchen.
Bettina blickte in den Raum, und da stockte ihr der Atem. Das durfte doch nicht wahr sein! Unter den Gästen war der Mann vom Flughafen, der ihr seine Visitenkarte zugesteckt hatte, mit der Bitte, sich zu melden. Das hatte sie natürlich nicht getan.
Doch wie kam der Mann hierher?
Er sah gut aus in seinem dunkelgrauen Anzug, dem blütenweißen Hemd und der dezent gemusterten Krawatte – er wirkte vertrauenerweckend, seriös, wie man wohl auch sein musste in seiner Position als Unternehmensberater.
Auch er hatte sie sofort entdeckt, nach einem ungläubigen Staunen huschte ein Lächeln über seine Lippen. Ihm war anzusehen, dass er sich freute, Bettina zu sehen.
Mit wenigen Schritten war er bei ihr.
»Sie hier zu sehen hätte ich nicht erwartet«, sagte er.
Toni blickte von einem zum anderen.
»Ihr kennt euch?«, erkundigte er sich verblüfft.
»Kennen ist zu viel gesagt«, erklärte der Mann, während Bettina sich verzweifelt daran zu erinnern versuchte, wie er hieß.
Toni rettete die Situation.
»Dann brauch ich dir Gregor Olsen ja nicht vorzustellen, er ist aus meiner Selbsthilfegruppe.«
Selbsthilfegruppe?
Bettina hätte mit allem gerechnet, doch aber nicht damit. Wieso war Gregor Olsen, von Freunden Greg genannt, wie sie sich jetzt erinnerte, in einer Selbsthilfegruppe für Hinterbliebene von … Selbstmördern?
Sie schluckte, bemühte sich, ruhig und gelassen zu erscheinen, nahm den Champagner entgegen, den Toni ihr reichte, während ihre Gedanken sich überschlugen.
»Schade,