Die Pentlands waren so alt wie irgendeine andere Familie in der Stadt. Sie waren immer arm gewesen und spielten sich nur selten als Patrizier auf. Durch Heirat und Versippung konnten sie sich naher Beziehung zu einigen Großen im Lande rühmen. Die Familie hatte den Durchschnitt an Idioten und Geisteskranken hervorgebracht; aber da sie an Intelligenz und Fiber den anderen Sippen der Gegend offensichtlich überlegen war, wurde ihr ein solider Respekt eingeräumt.
Die Pentlands hatten einen ausgeprägten Typ. Gruppenabzeichen waren breitangesetzte Nasen mit fleischigen, tief eingebuchteten Flügeln, sinnliche Lippen, gleichviel grob und delikat, die sich beim Nachdenken mit erstaunlicher Gewandtheit verziehen konnten; breite intelligente Stirnen und tiefe, flache, ein wenig hohle Wangen. Die Männer hatten im allgemeinen – obschon es auch eine leichenblasse Variation gab – hochrote Gesichter. Sie waren mittelgroß, untersetzt, schwer.
Major Thomas Pentland war Vater einer zahlreichen Familie. Die einzig überlebende Tochter war Eliza. Eine jüngere Schwester war ein paar Jahre zuvor an einer Krankheit gestorben, die die Familie wehmütig als »die Skrofeln unsrer armen Jane« bezeichnete. Von den sechs Buben war Bascom, der Älteste, nun dreißig, Will sechsundzwanzig, Jim zweiundzwanzig, waren Crockett, Elmer und Greeley der Reihenfolge nach achtzehn, fünfzehn, elf. Eliza war vierundzwanzig.
Die Kindheit der vier Ältesten war in die Hungerzeit nach dem Bürgerkrieg gefallen. Die Entbehrungen dieser Jahre waren so furchtbar gewesen, daß keins von den vieren je davon sprach. Sie hatten Wunden davongetragen, die nie ganz vernarbten. Die Folgen waren bei allen eine krankhafte Anlage zum Geiz, eine unersättliche Besitzgier und die Sucht, so bald wie möglich aus dem Haus des Majors hinauszukommen.
»Papa«, sagte Eliza mit damenhafter Artigkeit, als sie Oliver zum erstenmal ins Wohnzimmer des Elternhauses führte, »darf ich Dir Mister Gant vorstellen?«
Major Pentland erhob sich gemächlich vom Schaukelstuhl am offenen Kamin, klappte das Messer zusammen und legte den Apfel, den er gerade geschält hatte, auf den Kaminsims. Bacchus, der gerade an einem Stock geschnitzt hatte, sah wohlwollend auf. Will, der wie gewöhnlich an seinen Fingernägeln herumschnipselte, grüßte den Besuch mit einem komischen Zwinkern. Die Herren pflegten sich mit ihren Taschenmessern zu amüsieren.
Major Pentland, ein stämmiger, wohlbeleibter Fünfziger mit hochrotem Gesicht und einem Patriarchenbart, ging langsam auf Gant zu.
»Sie sind W. O. Gant? Nicht wahr?« fragte er mit öliggedehnter Stimme.
»Ja«, sagte Oliver.
»Na, nach dem, was mir Eliza erzählt hat«, sagte der Major und gab seiner Zuhörerschaft ein Zeichen, »müßten Sie L. E. Gant heißen.«
Das Zimmer schallte vom feisten, selbstgefälligen Lachen der Pentlands.
»Schäm Dich, Papa!« rief Eliza und legte die Hand an die Nase. Gant grinste mit geheuchelter Heiterkeit.
»Elender alter Racker«, dachte er, »diesen Kalauer hast Du bestimmt seit einer Woche auf Lager.«
»Will hast Du zuvor getroffen«, sagte Eliza.
»Zuvor und zunach«, blödelte Will.
»Und dies, sozusagen«, sagte Eliza, »dies ist Onkel Bacchus.«
»Tschawoll«, sagte Bacchus strahlend, »ganz wie er leibt und lebt.«
Will spottete gutmütig über seinen beleibten Onkel. Major Pentland riß einen alten Kalauer. Gant, mit frostigem Grinsen, war entschlossen, das Schlimmste über sich ergehn zu lassen. Die Tür ging auf, und ein Trupp Pentlands kam herein; Elizas Mutter, eine einfache, verblühte Frau, schottischen Typs, – Jim, ein sonnverbrannter Bursch, seinem Vater aus dem Gesicht geschnitten, – Thaddäus, braunäugig, braunhaarig, gutmütig, kälbern, – Greeley, der Jüngste, der unter idiotischem Schmunzeln kleine Quietschlaute hervorbrachte, über die die ganze Gesellschaft lachte. Er war elf, degeneriert, schwächlich, skrofulös; seine weißen, schweißigen Hände wußten der Violine ungelernte, überirdische Musik zu entlocken.
Da saßen sie dann in der warmen Wohnstube, im Geruch mürber Äpfel. Der Wind brauste von den Bergen herunter, sauste in den kahlen Föhren, so daß die Äste aneinanderschlugen. Und während sie schälten oder schnitzten oder schnipselten, glitt das Gespräch von Ulk und Blödelei hinweg. Die Rede war vom Tod und vom Sterben. Dumpf, eintönig, mit feistem Behagen schwatzten sie vom Geschick, sprachen sie von kaum begrabnen Leuten. Und indessen das Gespräch kein Ende nahm, heulte draußen der geisterhafte Wind. In Gant wurde es finster. Seine Seele sank in Nacht. Er spürte, daß er immer ein Fremdling auf Erden bleiben werde, er spürte, daß er, ein Fremdling, sterben müsse, er spürte, daß alle sterben müssen – nur diese triumphierenden Pentlands, die sich schmatzend am Tode gütlich taten, nicht.
Wie einer, der in Polarnacht untergeht, dachte er an die üppigen Wiesen seiner Jugend: die Maisfelder, den Pflaumenbaum, das reife Korn. Warum hier? O verloren!
II
Oliver heiratete Eliza im Mai. Sie machten eine Hochzeitsreise nach Philadelphia und zogen dann in das Haus an der Woodson Street, das er ihr gebaut hatte.
Mit seinen großen Händen hatte er Fundamente gelegt, tiefe Keller ausgegraben, Wände mit glattem, warm-braunem Mörtel verkleidet. Er hatte sehr wenig Geld, dies Haus aber ward zum Spiegelbild seiner reichen Phantasie. Schließlich stand es – mit behaglichen Stuben im Innern, in denen er nach Laune auf und ab gehen konnte – mit einer großen weitbauchigen Veranda nach außen – an der Berglehne, nahe bei der hügeligen Straße. In der mulmigen Erde des Vorgartens legte Oliver Blumenbeete an; das kurze Stück Wegs zur Veranda pflasterte er mit viereckigen Buntmarmorplatten; er errichtete einen Staketenzaun zwischen seinem Heim und der Welt.
Im Garten hinterm Haus, der vierhundert Fuß den Abhang hinauf reichte, pflanzte er Obstbäume und Reben. Was er auch anrührte, gedieh. Mit den Jahren wuchsen die Bäume – Pfirsich, Pflaume, Kirsche und Apfel – hoch und trugen schwer. Die Rebhölzer wurden zäh, schlangen, wanden und schraubten sich an den Drähten, trieben üppig in Blätter, Ranken und Trauben. Sie umzogen das Grundstück in doppeltem Spalier, klommen zur Veranda vor, umrahmten die Fenster des Obergeschosses dicht mit Laub. Die Gartenblumen wucherten in wildem Tumult: sammelblättriges Nasturtium mit hundert gelb-goldnen Farben gefleckt, Rosen, Schneeballblüten, rotkelchige Tulpen und Lilien. Dichtes Geißblatt belud den Zaun. Was auch immer Olivers große Hände berührten, gedieh.
Für ihn war das Haus ein Bild seiner Seele, ein Gewand seines Lebenswillens. Aber für Eliza war es ein Stück Hab und Gut, dessen Wert als Grundstock zu einem Vermögen sie klug einschätzte. Wie alle älteren Kinder des Majors Pentland hatte sie seit ihrem zwanzigsten Lebensjahr langsam angefangen, Boden zu erwerben. Sie besaß bereits ein oder zwei Stücke Land, die sie vom Ersparten ihres kargen Verdiensts als Lehrerin und Buchagentin gekauft hatte. Sie überredete Oliver, sich auf einem dieser Grundstücke, einem kleinen Eckchen am Rand des Stadtplatzes, eine Werkstatt zu bauen. Mit eignen Händen und der Hilfe von zwei Negerarbeitern errichtete er einen Backsteinschuppen mit einer breiten Holztreppe, die von einer marmorgepflasterten Veranda auf dem Platz hinunter führte. Auf der Veranda lagerte er die Steinklötze. Neben der hölzernen Tür stellte er eine alberne, plumpe Engelsfigur aus.
Aber Eliza war mit seinem Geschäft nicht zufrieden. Am Tod war kein Geld zu machen. Die Leute stürben zu langsam, dachte sie. Sie sah voraus, daß ihr Bruder Will, der mit fünfzehn Jahren als Lehrling in den Holzhandel eingetreten war und nun bereits ein eignes Geschäft besaß, mit der Zeit ein reicher Mann