»Wer ist das?« fragte er jemanden.
Der Mann guckte und grinste.
»Das? Bacchus Pentland«, sagte er. »Ein Original. Seine Leute leben hier in der Gegend.«
Oliver leckte seinen großen Daumen. Dann fragte er dünn lächelnd:
»Ist Armageddon jetzt gekommen?«
»Er erwartet das täglich«, sagte der Mann.
Dann traf Oliver Eliza. Eines Frühlingsnachmittags lag er auf dem Ledersofa in seiner Bude und lauschte auf die hellen, pfeifenden Geräusche vom Platz. Ein heilsamer Friede brütete über seiner langausgestreckten Gestalt. Er dachte an mulmige schwarze Erde, über die das junge Licht der Blumen flackert, an kühles, perlendes Bier, an des Pflaumenbaums fallende Blüten. Da hörte er Frauenschritte auf die Werkstatt zukommen, schnell sprang er auf. Er zog gerade seinen wohlgebürsteten schwarzen Rock an, als sie eintrat.
»Ich wünscht, ich wär ein Mann«, begann Eliza mit vorwurfsvollem Spott, »und hätt den ganzen Tag nichts zu tun, als auf einem bequemen Sofa zu liegen.«
»Guten Nachmittag, Madam«, sagte Oliver. Er verbeugte sich umständlich. Ein mattes Lächeln spielte um seine schmalen Mundwinkel. »Sie haben mich in der Tat beim Mittagsschlaf überrascht. Ich schlafe tagsüber eigentlich selten, aber meine Gesundheit ist in letzter Zeit ein wenig angegriffen. So bin ich nicht imstand, die Arbeit zu leisten, die ich früher tat.«
Er schwieg einen Augenblick und ließ traurig den Kopf hängen. »Ach Gott, ich weiß wirklich nicht, was noch aus mir werden wird.«
»Ei was!« wandte Eliza schnell und verächtlich ein. »Meiner Meinung nach fehlt Ihnen gar nichts. Sie sind ein Mordskerl von einem Mann und stehn in den besten Jahren. Gut zur Hälfte ist die Sache gewiß nur Einbildung. Vor drei Jahren hielt ich Schule in Hominy Township und bekam die Lungenentzündung. Kein Mensch glaubte, daß ich durchkäme. Aber ich hab's doch geschafft. Ich erinnere mich, da lag ich eines Tags da … ich glaub, man nennt das rekonvaleszieren … ja! … Der Grund, wieso mir das jetzt einfällt, ist der: der alte Doktor Fletscher war gerade dagewesen, und als er wegging, sah ich, wie er zu meiner Kusine Sally den Kopf schüttelte. ›Aber Eliza, um Himmels willen!‹ sagte Sally zu mir, sobald er zum Haus draußen war. ›Er sagte mir, daß Du Blut spuckst, so oft Du hustest. So sicher, wie ich hier steh: Du hast die Schwindsucht!‹ – ›Ei was!‹ hab ich gesagt, und ich lachte so laut heraus, wie ich nur konnte. ›Kein Wort glaub ich davon!‹ Und ich dacht mir: ›Nur nicht nachgeben, ich werd sie alle mal rein zum Narren halten.‹ (Hier nickte Eliza und rollte die Lippen) … ›und außerdem, Sally‹, hab ich gesagt, ›einmal kommen wir alle dran. Unsinn, sich deswegen Gedanken zu machen. Was kommt, kommt. Es kann morgen sein, es kann später sein. Aber kommen muß es gewiß.‹«
»Ach Gott«, sagte Oliver und nickte traurig, »ein wahreres Wort ist nie gesagt worden.«
Barmherziger Heiland! dachte er verzweifelt. Wie lange wird sie daherreden? Aber ein hübscher Kerl ist sie, todsicher. Er sah wohlgefällig ihre aufrechte, gutgebaute Figur an. Er bemerkte die milchweiße Haut, die schwarzbraunen Augen mit dem drolligen Kinderblick, ihr tiefschwarzes glänzendes Haar, das von der hohen weißen Stirn glatt zurückgekämmt war. Sie hatte die Angewohnheit, vorm Sprechen stets die Lippen zu rollen. Sie sprach langatmig und kam stets erst über nie endende Abschweifungen und Seitenpfade, über alle Wegenden der Erinnerung zur Sache, so, als müsse sie zunächst erst bei allen Dingen, die sie je getan, gefühlt, gedacht, gesehn, erlebt hatte, mit egozentrischem Entzücken verweilen.
Als er sie so anblickte, brach sie plötzlich mitten im Satz ab, legte ihre nett behandschuhte Rechte ans Kinn und starrte mit nachdenklich gerolltem Mund ins Leere.
»Also!« sagte sie. »Falls Sie sich hier erholen und einen Teil Ihrer Zeit liegen müssen, dann brauchen Sie etwas, was Sie geistig beschäftigt.« Sie öffnete das kleine lederne Handköfferchen, das sie trug, und nahm eine Visitenkarte und zwei dicke Bände heraus. »Mein Name«, sagte sie gewichtig und mit langsamem Nachdruck, »ist Eliza Fentland. Ich vertrete die Verlagsanstalt Larkin and Company.«
»Barmherziger Heiland!« dachte Oliver. »Wie würdig und stolz sie das sagt! Eine Buchagentin also!«
»Wir offerieren«, sagte Eliza und öffnete ein mit phantastischem Buchschmuck aus Speeren, Fahnen, Lorbeerreisern ausgestattetes Werk, »eine poetische Blütenlese, betitelt Juwelen in Vers für Herd und Heim und außerdem Larkins Handbuch Arzt und Arznei zum Hausgebrauch, ein Werk, das Kuren und Vorbeugungsmittel für mehr als fünfhundert Krankheiten enthält.«
»So …« sagte Gant, heimlich grinsend, und leckte seinen großen Daumen. »Da könnte auch ich wohl herausfinden, was mir fehlt.«
»Ei gewiß!« versicherte Eliza mit entschiedenem Kopfnicken. »Sie lesen sozusagen die Poesie zum Besten Ihrer Seele und den Hausdoktor zum Wohl Ihres Leibs.«
»Gedichte mag ich sehr gern«, gestand Oliver, drehte ein paar Seiten um and hielt bei dem Abschnitt Sänge von Säbel und Sporn interessiert inne. »Als ich noch ein Bub war, konnte ich stundenlang rezitieren.«
Er kaufte die Bände. Eliza packte die Muster ein, richtete sich auf und sah sich neugierig in der verstaubten Bude um.
»Geht das Geschäft gut?« fragte sie.
»Nicht daß ich sagen könnte«, gestand Oliver. »Es kommt gerade genug dabei heraus, um Leib und Seele zusammenzuhalten. Ich bin fremd in der Stadt.«
»Ei was!« sagte Eliza fröhlich. »Sie sollten mehr unter die Leute gehen. Sie brauchen etwas, was die Gedanken ablenkt. Wenn ich Sie wäre, dann würde ich mal dran gehn, mich um die fortschrittliche Entwicklung dieser Stadt zu bekümmern. Wir haben hier alles Zeug zu einer Großstadt: Landschaft, Klima, Bodenschätze. Da wäre was zu machen. Wenn ich ein paar tausend Dollar hätte, wüßte ich genau, was ich mit ihnen anfangen würde.« Sie blinzelte ihm lustig zu und begann mit sonderbar männlichen Gebärden: den Zeigefinger ausgestreckt, die Faust lose geballt: »Betrachten Sie mal das Baugrundstück hier an der Ecke, dieses hier, auf dem Ihre Werkstatt steht. Es wird in den nächsten paar Jahren seinen Wert verdoppeln. Und dort –« sie deutete mit einer weiten Armbewegung –' »dort wird eines Tages eine Straße laufen, so sicher, wie ich hier steh …»– sie rollte nachdenklich die Lippen – »und dann wird dieses Grundstück schweres Geld wert sein.« Sie fuhr fort, versonnen-hungrig über Baugelände zu reden. In ihrer Vorstellung war die Stadt ein ungeheurer Blaupausplan; ihr Gedächtnis war mit Zahlen und Schätzungen vollgepfropft; sie wußte, wer ein Grundstück besaß, wer es verkauft hatte; sie kannte den Kaufpreis, den faktischen und den Spekulationswert; sie verstand sich auf erste und zweite Hypotheken.
Oliver dachte an Sidney. Als sie fertig war, bemerkte er mit Nachdruck:
»Ich hoffe, ich werde nie wieder in meinem Leben Immobilien besitzen; außer einem Wohnhaus natürlich. So was lastet wie ein Fluch auf einem, und am Ende kriegt doch der Steuereinnehmer alles.«
Eliza sah ihn verdutzt an, als hätte er sich zu einer verdammenswerten Irrlehre bekannt.
»Na, aber hören Sie! Das wollen Sie doch nicht im Ernst behaupten! Sie werden sich doch auch etwas für die magern Jahre zurücklegen wollen?«
»Ich befinde mich mitten in den magern Jahren«, sagte er düster. »Was ich an Grund und Boden benötige, sind acht Kubikfuß Erde für ein Grab.«
Dann aber redete er von freundlichern Dingen und geleitete sie zur Tür. Er sah ihr nach, wie sie lustig über den Stadtplatz davonging. Er beobachtete, daß sie im Rinnstein ihren Rock mit damenhafter Artigkeit ein wenig hob. Dann wandte er sich zu seinen Marmorblöcken. Eine Freudigkeit regte sich in ihm, die er für immer verloren geglaubt hatte.
Die Familie Pentland, der Eliza angehörte, war eine der sonderbarsten Sippen, die dies Gebirg je hervorgebracht hatte. Ihr Anspruch auf den Namen Pentland war strittig. Ein Schotte dieses Namens, Bergbauingenieur von Beruf, Großvater des derzeitigen Haupts der Familie, war nach dem Befreiungskrieg auf der Suche nach Kupfer in die