»Ah, hier ist ihr Ehegemahl, ihr Mann und noch ein Mann; let my see – yes, P–ech–le! Das wird es sein, der wird sie bringen zu ihrer Verzweiflung, der Pichle wird verführt haben ihren Mann, und ich werde zu ihr gehen, da sie mich doch zu ihr ruft, wenn sie gleich weiß, dass ich gemietet habe meine Zimmer in Florenz und bin auf dem Wege nach Florenz – yes. Yes, ich werde sehen, was ihr fehlt, ich werde ihr kommen zur Hilfe gegen den Pichle, ich werde ihre Tränen abtrocknen. Oh yes, ich werde kehrtum machen und nicht nach Florenz gehen immediately, sondern nach Stuttgart, welches haben soll auch eine große Ähnlichkeit mit Florenz, was mir lieb ist. That is a very strange letter, ein merkwürdig sonderbarer Brief, und ich bin verpflichtet, mich meiner Freundin hinzugeben mit ganzer Seele. Ich will Virginy lassen in München hier und will wiederkommen nachher, obgleich es ist sehr unkomfortabel, aber ich werde kurz sein mit Mr. Pichle, und werde dem Baron in sein Gewissen hineinreden und werde Lucy trösten und schnell zurückkommen. Was sie will, weiß ich nicht, die deutschen Ladies sind so sehr unbestimmt in ihren Briefen, aber ich werde es erfahren, und ich werde ihr Hilfe und Tröstung bringen; denn ich fühle mich dazu gewachsen; ich fühle mich gewachsen auf der Erde jeder Erscheinung – »yes!«
»No!« entgegnete das Schicksal, unhöflich und brutal im höchsten Grade, das heißt, die Lust und den Humor der Sache unter der Maske grenzenloser Brutalität mit altbekannter Meisterhaftigkeit verbergend. Schon seit einigen Augenblicken hatten sich im Leibe der ehernen Schutzgöttin des Bayerlandes allerlei Töne vernehmen lassen: jetzt polterte es in ihrem Magen, und etwas stieg ihr über das Zwerchfell hinaus. Im Haupte schob Christabel den Brief der Freundin in die Tasche zurück, klemmte das Augenglas von neuem auf die Nase und horchte nach dem Halse hinunter.
Jetzt stöhnte und schnaufte es im Busen der Riesin, jetzt zwängte es sich durch die Kehle, es war kein Zweifel mehr, es stieg ihr wieder etwas zu Kopfe!
»Eng ist die Welt und das Gehirn ist weit,
Leicht beieinander wohnen die Gedanken,
Doch hart im Raume stoßen sich die Sachen«,
sagt Wallenstein, und wir überlassen, fast ebenso heimtückisch und vergnügt wie das Schicksal, es den Lesern, den Ausspruch des großen Feldherrn, Staatsmanns und Astrologen mit dem jetzt zu schildernden Zusammenstoß in Einklang zu bringen. Mit Aufbietung all ihrer Logik wird es ihnen hoffentlich gelingen.
Ein wenig ärgerlich über die Störung lauschte Miss Christabel Eddish nach dem Schlunde der Bavaria hinab, und jetzt erhob sich aus der Öffnung, die in das gigantische Haupt führt, langsam – langsam ein anderes Haupt!
Ein helle seidene schottische Reisemütze auf einem Walde brennend roter Haare! Ein brennend roter Backenbart! Ein gelblich Gesicht mit einem lippenlosen Mund, in welchem eine Reihe sehr gelber Oberzähne trotz aller herausfordernden nationalen Berechtigung recht melancholisch zutage trat! Ein langer – langer Hals, ein buntes Halstuch, und ein blendend weißer Hemdkragen:
Sir Hugh Sliddery, Kapitän im siebenundsiebenzigsten Infanterieregiment Ihrer Majestät Viktoria, Königin von Großbritannien und Irland, und ein Mann, der freilich seinen besten Freunden und seiner innigsten Freundin einen heillosen Schrecken einjagen konnte, auch wenn er ihnen gerade nicht, wie augenblicklich der letztern, im Kopfe der Bavaria im Halse heraufstieg!
Miss Christabel mit der Absicht, durchaus keine Notiz von der sich emporwindenden Störung ihrer stillen Natur- und Lebensbetrachtungen zu nehmen, sah einen Moment flüchtig hin und starrte sofort wie festgebannt durch das Verhängnis. Und das Haupt in der Rachenhöhle der Riesin starrte auf Miss Christabel aus gläsernen Augen, und die sich nachschiebenden Schultern zuckten im jähesten Schreck. Miss Christabel Eddish stieß einen gellenden Schrei aus, und fuhr zurück in den Hinterkopf der Bavaria, den Sonnenschirm gegen das Fürchterliche schleudernd und mit weit vorgestreckten Händen das Entsetzliche von sich abwehrend. Und weiter konnten sich die Augen des Kapitäns Sir Hugh Sliddery nicht öffnen. –
»By Gad«, schrie er heraus; »beg your pardon! bitt’ um Verzeihung!« zog den Kopf zurück und verschwand blitzschnell, phänomenartig – hundertfach schneller, als er emporgestiegen war. Wiederum kollerte und polterte es im Leibe der Bavaria, doch diesmal verlor sich der unheimliche Schall nach unten hin, und Christabel lauschte halb ohnmächtig in Schrecken, Schauder und Zorn. Jetzt schoss ein langbeiniges Individuum zu den Füßen der Gigantin hervor, verlor an ihrem Granitpostament einen braunroten Murray, übersah in blinder angstvoller Hast den breiten Weg zur Sendlinger Landstraße und stürzte – raste im vollen Lauf quer über die Theresienwiese der Anatomie und den Magistrats-Wagenschuppen zu. Man muss die Theresienwiese im hellen Mittagssonnenschein haben liegen sehen, um sich vorstellen zu können, welch ein winzig, verschwindend, hüpfend Pünktchen der Kapitän Sir Hugh Sliddery auf derselben war!
Das achte Kapitel
Im goldenen Zeitalter kannte man keine Gespenster. Im silbernen hatte man vielleicht eine Ahnung davon, dass es dergleichen geben könne, doch niemand hatte eins gesehen. Aber im eisernen wimmelte es von ihnen in allen Nächten zwischen zwölf und ein Uhr; und heute, wo der Welt Entwicklung doch unbedingt eine Wendung zurück gegen das goldene Glück des saturnischen Alters genommen hat, wo Friede und Freiheit, Glück und Behagen sich von allen Seiten her die Hände reichen, sind wir schlimmer daran denn je; denn heute erscheinen die Geister im Vertrauen auf die höhere Bildung und das kältere Blut der Erdbewohner unbefangen und mit Vorliebe am hellen Mittage, und irren sich dann und wann doch in ihrem Vertrauen auf den klaren Blick und die ruhige Überlegung des jetzt lebenden Menschengeschlechts. Wahrlich, die Gespenster, welche den Menschen am hellen Mittag erschrecken, sind schlimm; und jedermann, der in den Ammengeschichten des Daseins Bescheid weiß (und wer weiß heute nicht darin Bescheid?) kennt sie. Dem Kettengerassel und Türklappen, dem Rascheln, Rauschen, Seufzen, Lachen, Stöhnen und Weinen um Mitternacht fühlen wir uns allmählich gewachsen, sodass wir sogar angefangen haben, uns philosophisch lustig darüber zu machen; allein dem Spuk, der uns am hellen, lichten Tage, in der belebten Gasse, auf dem wimmelnden Markt, im summenden Gerichtssaal oder der federkritzelnden Schreibstube angrinst, die Spitze zu bieten, sind wir armen nervenschwachen Herren und Herrinnen der Schöpfung weder philosophisch noch unphilosophisch noch lange nicht imstande.
Geschlossenen