»Mit Vergnige, Herr Doktor!« brummte der Kanzleirat, fügte jedoch hinzu: »Des muss i sage; wenn wir ei’mal grob sind, so mache wir des doch mit mehr Manier ab, als diese Ausländer! Rebublikanische Einfachheit nennt man das – wahrscheinlich.«
»Steigt Ihnen was, Herr Kanzleirat«, sprach der Doktor Schmolke im untadelhaften Hochdeutsch, »bitte, kommen Sie nur endlich einmal, wie Sie mir so häufig versprochen haben, nach Frankfurt. Sie sollen überzeugt werden, dass wir es auch nicht übelnehmen, wenn Sie uns an unseren berechtigten Eigentümlichkeiten kitzeln.«
Halb lachend, halb ärgerlich machte der alte würdige Herr dem Advokaten Platz, und es fand nunmehr in der Tat das statt, was das Frankforter Bergerskind vorhin »a rihrend Wiederfinde« nannte. Tränen flossen zwar nicht dabei, aber sie traten dem Mann aus dem Stifte doch in die Augen, und der Freiherr gebärdete sich sehr aufgeregt. Als jedoch die nötigen Äußerlichkeiten abgetan waren, und ein jeglicher dem anderen die Hand geschüttelt und ihn auf den Rücken geklopft hatte, sagte Schmolke aus Frankfurt:
»Leute, ich wiederhole es, ich habe euch eben mit Vergnügen zugehört. Dass der Pechle ein armer Sünder vor dem Herrn ist, und dann und wann le vin tendre hat, das hab’ ich längst gewusst; aber dass der Rippgen da es durchaus nicht lassen konnte, ein Mädchen glücklich machen musste, und jetzt von seiner Göttin nach Gebühr in guter Zucht und Ordnung gehalten wird, das war mir neu, und erlaube ich mir, bestens zu aller Süßigkeit des Zustandes zu gratulieren. Nun aber sagt, ihr Herren, wer von euch beiden erwähnte vorhin die Existenz und den Namen von Miss Christabel Eddish?«
Der Baron und sein Hausgenoss sahen sich einen Augenblick in die Augen, um sich darauf beide die Stirnen zu reiben. Dann sagte der Baron:
»Ich glaube, Schmolke, wir haben den Namen wohl alle beide an diesem Abend einige Male ausgesprochen –«
»Und mit eigentümlicher Betonung«, warf der Frankfurter Advokat ein.
»Ei Je ja, jawohl!« seufzte der Freiherr, und Pechle klopfte von neuem dem Doktor Schmolke zwischen die Schulterblätter und sprach treuherzig aufklärend:
»Sieschst du, Schmolke, die beiden Weiber sitzen in diesem feierlichen Moment zu Heidelberg in Schrieders Hotel – wahrscheinlich. Also und deshalb hab i das Lamm hier, das Sechserle, heut abend aus der Dornhecke herausgewickelt und hab’s in die frische Luft und in diese anständige Gesellschaft geführt, Schmolke. Dass wir dich auch in diesem Lokale treffen würden, das konnten wir freilich nicht wissen.«
»Ich muss auch sogleich fort. Ich hab’ noch einen Termin morgen um eilf Uhr auf dem Römer; aber es war sehr nett, – wahrhaftig recht nett von euch, mir hier in die Arme zu fallen. Dass aber die Tugend immer ihren Lohn findet, das will ich dir jetzt beweisen, Rippgen. Höre, Ferdinand, wenn es einmal gar nicht anders gehen will, so besuche mich vertrauensvoll auf meinem Büro in Frankfurt. Deine Hausfreundin, die Miss – Miss Christabel – Miss Christabel Eddish hab’ ich nämlich auch in meinen Akten, und wenn du abends kommst, findest du mich auch stets. Jedoch leichter nach vorausgegangener Konferenz mit meiner Haushälterin. Und wenn der Pechle da mit dir kommt, so wird’s mir stets sehr angenehm sein, und nun – Herr Kanzleirat, reiche Se merr doch gefälligst noch emal Ihre Dose riwwer.«
Das vierte Kapitel.
Was für ein Geschlecht würde die Erde bevölkert haben, wenn ihm nach verlaufenen Sündflutsgewässern der Weinstock und der Hopfen vorenthalten worden wäre? Wer aber sagt uns, wie sich die Gewährung dieser beiden verderblichen Pflanzen so kurz nach Vernichtung des ersten moralisch verunglückten Wurfes der Menschheit rechtfertigen lässt? Seien wir vorsichtig und überlassen wir die Lösung der zwei Fragen jedem, der nicht fürchtet, sich die Finger zu verbrennen: wir wollen uns einfach mit dem Humor, der in dem Dinge liegt, begnügen.
Doktor Leopold Schmolke, der berühmte internationale Frankfurter Advokat, fuhr mit dem ersten Schnellzuge durch die graue Morgendämmerung nach Hause und seinem Termin auf dem Frankfurter Rathause entgegen, und hauchte, als er auf dem Heidelberger Bahnhofe fröstelnd sich dichter in seine Reisedecke einwickelte:
»O Christabel! Christabel!«
Arm in Arm suchten die beiden anderen Studienfreunde ihre Behausung zu erreichen, und es gelang ihnen, wenngleich erst nach Überwindung mannigfacher Schwierigkeiten. Den Schlüssel des Barons hatte, wie wir wissen, die treue und fromme Maid, Katharina von Schwaben, mit sich nach einem Tanzlokal an der Weinsteige entführt; aber der Ex-Stiftler Pechle besaß, wie wir gleichfalls wissen, auch einen Hausschlüssel und vergaß, als früherer Stiftler, denselbigen nie an seinem Nagel hinter der Tür. Wer von den Herren das Schlüsselloch fand, wird wohl ewiglich in Dunkelheit gehüllt bleiben, aber einer fand es, und da das gelungen war, so erreichten sie auch die Pforte des Barons, und es stand für diesmal einem zärtlichen Abschiednehmen nichts mehr im Wege. Sie nahmen zärtlich voneinander Abschied. Augenblicklich hatten sie beide le vin tendre, und so hielten sie sich eine geraume Weile schluchzend umschlungen. Dann küssten sie sich, dann rissen sie sich voneinander los, und dann – ja dann verweisen wir auf das im Anfange dieses Kapitels Gesagte, und kommen auf unsere dort nachdrücklichst ausgesprochenen Grundsätze ruhig zurück. In diesem Falle jedoch mit einer Wendung nicht an das Deduktions- und Induktionsvermögen der Welt im Allgemeinen, sondern an das der Freifrau Lucie von Rippgen ganz im besondern.
Als die Frau Baronin am folgenden Mittag mit ihrer Kammerjungfer Charlotte auf dem Stuttgarter Bahnhofe anlangte, verwunderte sie sich sehr, den Gemahl daselbst nicht auf sie wartend vorzufinden, und sie sprach ein weniges mehr als bloße Verwunderung ihrer ebenso erstaunten Begleiterin gegenüber aus.
»Es ist zum mindesten unbegreiflich!« rief die letztere. »Ein Unglück wird hoffentlich doch nicht vorgefallen sein?!«
»Nein!« sprach die gnädige Frau, ein Heer derartiger Vermutungen bloß durch das kleine Wort vernichtend. Dass sie hinzusetzte: »Nur eine Unschicklichkeit – eine Rücksichtslosigkeit, die ich mir sicherlich nicht gefallen lassen werde!« war uns gegenüber sicherlich nicht nötig.
Ohne auf ein etwa doch noch mögliches atemlos keuchendes