Die Nacht war wie gesagt dunkel. Eine schlechte Lampe suchte vergeblich das Zimmer in ein besseres Licht zu stellen, und es war ein großes Glück, dass der Herr »Doktor« Christoph Pechlin, gebürtig aus Waldenbuch im Schönbuch, Sohn des weiland Stadtpfarrers daselbst M. Christian Pechlin, durchaus nicht das Bedürfnis fühlte, in ein besseres Licht gestellt zu werden. Seiner Meinung nach ging ein ungemein glänzendes Licht von ihm selber aus, und er befand sich ganz behaglich in der festen Überzeugung, jeglichen Schein, welchen irgendeine Umgebung auf ihn werfen konnte, überwältigend zurückzudrücken. Da es mehr Erdenbürger gibt, welche an solchen meteorologischen Illusionen ihr Behagen finden, so wollen wir ihn nicht darin stören, sondern es jenen überlassen, seine Leuchtkraft zu berechnen, das heißt, sie an der ihrigen zu messen.
Augenblicklich saß Pechle in Hemdsärmeln, westenlos neben einem Tische, der anderthalb Fuß hoch mit statistischen Büchern aus der königlichen Bibliothek, mit Lokalblättern der Stadt und sämtlicher Oberämter des Königreichs bedeckt, und mit jedwedem Material zur Fixierung eigener Gedanken nach Notdurft versehen war. Er hielt die Arme über der breiten Brust gekreuzt, blies aus einer mächtigen Burschenpfeife, die er mit dem linken Oberarme an dieselbe Brust brückte, mächtige Rauchwolken einem nächtlichen Besucher zu und lachte – lachte – lachte, dass der städtische Wächter drunten in der Gasse stehen blieb, betroffen in die Höhe blickte, den Kopf schüttelte, um zuletzt der Ansteckung naturgemäß zu unterliegen und gleichfalls lachend weiter zu wandeln.
Der nächtliche Besucher stand. Er war stehen geblieben, obgleich Herr Christoph Pechlin ihn bereits mehrere Male aufgefordert hatte, sich zu setzen. Der nächtliche Besucher trug einen eleganten Schlafrock, den eine rote Schnur um die schmächtige Mitte des Leibes zusammenhielt. Er trug eine fast noch elegantere Hausmütze, geziert mit einem goldenen Quast, und er hielt die Hände vor dem Unterleibe gefaltet und lachte durchaus nicht. Im Gegenteil schien er dem Weinen viel näher zu sein als dem Lachen, und hätte der städtische Wächter ihn gesehen, so würde ihm schon sein Amtseid nicht gestattet haben, jener obenerwähnten Ansteckung zu unterliegen. Eine Verantwortung vor dem Herrn Oberbürgermeister würde ihm sicherlich recht schwer geworden sein. –
Nachdem wir vernommen haben, dass der Lacher die tränenden Augen endlich abwischend gesagt hatte: »O Barönle, o Rippgen, Rippgen, du dauerst mich, aber – nimm es mir nicht übel – du erheiterscht mich sehr!« müssen wir vor allen Dingen jetzt mitteilen, was diesem nächtlichen Besuche des eleganten Schlafrockträgers bei dem burschikosen Ex-Stiftler Christoph Pechlin voranging, und was diesen Besuch bedingte.
Es war ungefähr acht Tage her, seit die Ereignisse eintraten, welche die gegenwärtige Stunde möglich machten, und die Wichtigkeit unserer Aufgabe erfordert die unerbittlichste Strenge gegen unsere Fantasie und unsern Enthusiasmus. Wir bezähmen unsern keuchenden, zitternden Eifer und erzählen ruhig und der Reihe nach.
Vor ungefähr acht Tagen, an einem schönen sonnigen Morgen lag Pechle – natürlich mit der Pfeife im Munde – im Fenster und sah an seinem Hause hinunter und in die Gasse hinab. Es war wenig in der Gasse zu sehen; aber der Doktor Pechlin sah doch aus dem Fenster, und nachdem er länger als eine Stunde aus dem Fenster gesehen hatte, erblickte er etwas, was seine Ausdauer im Gaffen vollständig belohnte.
Eine Droschke rasselte um die Ecke und hielt vor dem Hause. Auf dem Kutschbock nahm ein eleganter Reisekoffer den Platz neben dem Kutscher ein, und was den Wagen selber einnahm, das fing und fesselte sofort Pechlins sämtliche überschüssige Aufmerksamkeit, deren er freilich zu allen Zeiten im Überfluss hatte, und gab sie nicht eher wieder frei, als bis die Familie Rippgen aus Dresden ausgestiegen und das letzte Gepäckstück im Hause verschwunden war.
Wie aber stieg die Familie Rippgen aus Dresden aus?
Natürlich zuerst der Baron, ein schmächtiger, dünnbärtiger, hochblonder Herr mit etwas geröteten Augenlidern, einem an einem schwarzen Bande baumelnden Augenglase und in einem allermodernsten Frühlingskostüm von englischem Schnitt und Material. Sodann die gnädige Frau, eine schwarzlockige, sehr korpulente Dame, von imperatorischen Gesten und Mienen, die von Rechts wegen dem Gatten hätte behilflich sein müssen, den festen Boden zu gewinnen. Sie war das aber durchaus nicht, sondern stützte sich mit vollstem Gewicht auf die Schulter des Barons und drückte ihn nieder, als ob sie einen ausgewachsenen melancholischen Alraun in seine Vexierschachtel zurückdrücken wolle. Ja, Schachtel! – Schachteln und wieder Schachteln folgten dem Ehepaar, und zum Schluss sprang leichtfüßig, mit der letzten Schachtel im Arm, die Kammerjungfer der Frau Baronin aus dem Wagen, und Pechle oben in seiner olympischen Höhe sagte:
»Sein Wunder kann jeder Mensch erleben; aber was zu viel ist, das ist zu viel! Ei Herr Je–le, das Sechserle mit Familiche! Ha, das wird mer noch in die schpäteschte Tag a Wiederfinde nenne! O, komm du mir ’rauf und begegne mir auf d’r Stiege! Herr mein Gott, da erlebt man doch endlich einmal wieder was in dieser lumpigen Welt! O Zeus, Vater der Götter, und du, Sohn der Nacht, Momus, da freu’ ich mich wirklich drauf, wenn ich dem zum ersten Mal auf der Treppe begegne. Der wird sich wundern!«
Und der Einzug der Familie Rippgen begann – mit Möbelwagen und Packträgern, mit Pianinos und Spiegeln in Barockrahmen, mit rotsammetnen Zimmergarnituren und seidenen Vorhängen, mit Stutzuhren und Wiener Regulatoren, sowie mit allem übrigen, was zu einem noblen Hausstand und Haushalt unbedingt nötig ist. Pechle aber leitete ihn von oben herab mit großem Vergnügen, hatte sein Wunder und seine gänzlich neidlose Lust an dem Luxus, der sich da unten entfaltete, und konsumierte zweitausend Stück Schwefelhölzer dabei. Es war aber nicht zum Verwundern, dass ihm die Pfeife sehr häufig während dieser großen Tage ausging: die Maultrommel während dieser Tage zu spielen war ganz unmöglich.
Die beiden – Christoph Pechlin aus Waldenbuch und Ferdinand, Freiherr von Rippgen aus Dresden hatten zusammen in Tübingen studiert. Der Schwabe, wie wir bereits wissen, Gottesgelahrtheit und die Maultrommel im Stift und der Sachse Jurisprudenz und die Flöte draußen im Saeculo. Und sie hatten ein eigen Wohlgefallen aneinander gefunden durch zwei Semester, bis der sächsische Baron am hellen Tage nach Leipzig ging, um daselbst seine Studien zu vollenden, und der schwäbische Pfarrerssohn nächtlicherweile aus dem Stift ausbrach und relegiert wurde, um sich auf der Stelle der schönen Literatur und der unschönen