– Diese Phänomene haben also keinen regelmäßigen Verlauf?
– Nein! und ich würde schon genaue Beobachtungen angestellt haben, wenn mir Graf Albert, der nach seiner gewohnten menschenscheuen Art niemanden in seine Zimmer und auf seine Terrasse lässt, nicht diese Ergötzung untersagt hätte. Ich habe gedacht, und denke noch, dass der Boden der Cisterne mit Wassergewächsen und Schlingkraut bedeckt ist, wodurch bisweilen die Öffnung, aus welcher sich der Brunnen speist, verstopft und dem unterirdischen Wasser der Zutritt versperrt wird, bis sich das andringende Wasser selbst wieder Luft macht.
– Wie erklären Sie jedoch das plötzliche Verschwinden des Wassers, das in anderen Fällen eintritt?
– Daraus, dass der Graf ungewöhnlich viel zum Begießen seiner Blumen verbraucht.
– Es würden viele Arme, scheint mir, nötig sein, um diesen Brunnen auszuschöpfen. Er ist also wohl nicht tief?
– Nicht tief? Man kann nicht auf den Boden kommen.
– Dann reicht Ihre Erklärung nicht aus, sagte Consuelo, von der Dummheit des Kaplans überrascht.
– Finden Sie eine bessere! sagte er in einiger Verwirrung und verdrießlich, dass ihm sein Scharfsinn nicht aushalf.
– Gewiss! dachte Consuelo, ich werde eine bessere finden, und vertiefte sich ganz in Betrachtungen über den merkwürdigen Eigensinn des Brunnens.
– O, wenn Sie Graf Albert frügen, was das Phänomen bedeutet, hob der Kaplan wieder an, der gern ein wenig den starken Geist machen wollte, um sein Ansehn in den Augen der klarblickenden Fremden wieder zu gewinnen, so würde er Ihnen sagen, dass das die Tränen seiner Mutter sind, die im Schoße des Berges versiegen und von Neuem strömen. Der berühmte Zdenko, dem Sie so viel Verstand zutrauen, würde Ihnen zuschwören, dass da unten eine Sirene sitzt und denen sehr angenehm vorsingt, die Ohren haben zu hören. Sie beide haben diesen Brunnen die Tränenquelle getauft. Es ist das vielleicht sehr poetisch, und wer ein Freund von den heidnischen Fabeln ist, kann sich daran genügen lassen.
– Ich werde mir nicht daran genügen lassen, dachte Consuelo, und ich werde erfahren, auf welche Weise diese Tränen versiegen.
– Übrigens, fuhr der Kaplan fort, habe ich mir gedacht, dass es einen Abzug in einem anderen Winkel der Cisterne geben wird …
– Es scheint mir, dass ohne einen solchen die Cisterne, wenn sie von einer Quelle gespeist wird, beständig überfließen müsste.
– Natürlich, natürlich! entgegnete der Kaplan, der nicht so aussehen wollte, als ob ihm dieser Gedanke zum ersten Male eingekommen wäre; man braucht nicht weither zu sein, um eine so simple Sache zu entdecken! Es muss aber eine wesentliche Veränderung in den Abflusswegen des Wassers vorgegangen sein, da es nicht mehr so regelmäßig, wie ehedem, seinen Stand behauptet.
– Sind es natürliche Kanäle, fragte die beharrliche Consuelo, oder Leitungen von Menschenhand gemacht? das müsste man wissen.
– Das kann niemand ergründen, sagte der Kaplan, da Graf Albert nicht leidet, dass man seinen lieben Brunnen anrühre und ausdrücklich verboten hat, mit einer Reinigung einmal einen Versuch zu machen.
– Das dacht’ ich, sagte Consuelo, indem sie sich entfernte, und ich denke, man tut wohl daran, seinen Willen zu achten, denn Gott weiß, welches Unglück ihm geschehen könnte, wenn man sich unterfinge, seine Sirene zu beleidigen.
– Es wird mir fast zur Gewissheit, sagte der Kaplan zu sich, als er von Consuelo ging, dass diese junge Person nicht weniger verwirrt im Kopfe ist als der Herr Graf. Sollte Tollheit ansteckend sein? Oder hätte Meister Porpora sie uns geschickt, damit die frische Landluft wohltätig auf ihre Kopfnerven wirke? Nach der Hartnäckigkeit zu urteilen, womit sie sich das Rätsel dieses Brunnens erklären ließ, hätte ich fast gewettet, dass sie die Tochter von einem Ingenieur bei den Kanälen in Venedig ist und sich so ein Ansehen geben wollte, als ob sie das Fach verstünde; aber an ihren letzten Reden merke ich wohl, sonderlich, wenn ich ihre Vision von diesem Morgen in Betreff des Zdenko damit zusammenhalte und die Promenade, die sie uns diese Nacht nach dem Schreckenstein machen ließ, dass es alles Fantasien von dem nämlichen Genus sind. Glaubt sie nicht gar, den Grafen Albert auf dem Grunde dieses Brunnens zu finden! Armes junges Volk! dass ihr nicht auf die Vernunft und Wahrheit der Sachen kommen könnt!
Hierauf ging der Kaplan und betete sein Brevier ab in Erwartung der Mittagsmahlzeit.
– Es muss sein, dachte ihrerseits Consuelo, dass Müßiggang und Hinbrüten den Verstand seltsam schwächen, wie sollte sonst nicht dieser heilige Mann, der so viel gelesen und gelernt hat, sogleich auf die Vermutung fallen, die mir bei diesem Brunnen aufsteigt. O mein Gott, verzeih mir, aber das ist einer deiner Diener, der sehr wenig Gebrauch von seiner gesunden Vernunft macht. Und den Zdenko nennen sie unvernünftig!
Hiermit ging Consuelo und ließ die junge Baronin eine Stunde solfeggieren, in Erwartung der Zeit, ihre Nachforschungen wieder aufzunehmen.
10.
– Haben Sie das Abfließen des Wassers jemals beobachtet, und haben Sie selbst es irgend einmal steigen sehen? fragte sie am Abend leise den Kaplan, der in bester Arbeit der Verdauung war.
– Wie? was ist? rief der Kaplan, auf seinem Stuhl hoch aufhüpfend und seine Augen rund und weit aufreißend.
– Ich spreche von der Cisterne, sagte sie, ohne sich irren zu lassen, kennen Sie den Verlauf des Phänomens aus eigener Anschauung?
– Ja