Er trank.
– Nein, nein, aus allen diesen Messungen ist nichts rausgekommen. Heute in der Nacht hab ich weit mehr von meiner Seele erfahren als in den vier, fünf Jahren, die ich an die sogenannte Psychologie vergeudet habe ... Ich hatte einen Traum ... Er sah auf. Aber langweilen Sie sich nicht?
– Nein, nein.
Sie lachten sich zu.
– Ja, ich habe heute geträumt, daß ich mit Ihnen eine Reise auf dem Meere machte.
Es war finster, ein schwerer, dicker Nebel lag auf dem Schiffe, ein Nebel, den man bis in den Innenraum hineinfühlte, schwer wie Blei, beengend, angstschwül ...
Ich saß mit Ihnen im Salon und sprach – nein, ich sprach nicht. Es war Etwas in meiner Seele, das sprach – lautlos, und die Stimme war auch körperlos, aber Sie verstanden mich.
Und dann standen wir auf. Wir wußten es, ganz genau wußten wir, daß es kommen werde – das Furchtbare ...
Und es kam.
Ein furchtbarer Krach, wie wenn eine Sonne heruntergestürzt wäre, ein höllisches Angstgebrüll, wie wenn plötzlich Gletschermassen auf die Erde niederrasten: ein Dampfer hatte sich in den unsern hineingebohrt.
Nur wir Beide hatten keine Angst. Wir fühlten uns nur, wir verstanden uns und hielten uns fest an den Händen.
Da plötzlich waren Sie mir verschwunden.
Ich sah mich mit einem Mal auf einem Rettungsboot, die See warf es bis in den Himmel hinein und dann wirbelte es plötzlich in einen endlosen Abgrund herab.
Mir war Alles gleichgültig, was mit mir geschah. Nur eine entsetzliche, wahnsinnige Angst, was mit Ihnen geschehen sei, zersprengte mir den Schädel. Da auf einmal: Ich sah, wie der mächtige Dampfer mit einer unerhörten Schnelligkeit untersank, ich sah nur noch einen ungeheuren Mast aufragen, und da, da ganz oben sah ich Sie angeklammert ... Und im selben Augenblick stürzte ich in das Meer, ich erfaßte Sie, Sie lassen sich kraftlos von mir tragen und Sie werden so unendlich schwer. – Ich konnte mich nicht mehr festhalten, noch ein Moment und ich mußte mit Ihnen zusammen ins Meer sinken.
Da plötzlich ballte sich der Nebel und die Wolken zu einer Riesengestalt. Über den ganzen Himmel weg, grausam, kalt, gleichgültig ...
Falk lächelte mit einem seltsam verlegenen Lächeln.
Es war das Meer und der Himmel, das war Ich und Sie, es war Alles: das Schicksal, Fräulein Isa.
Sie bekam Angst. Er sah sie so unheimlich an.
Plötzlich schlug er um.
– Seltsamer Traum, nicht wahr? lächelte er.
Sie bemühte sich gleichgültig zu erscheinen, und antwortete nicht.
Er sah sie eine Weile mit großen Augen an, die fiebrig glühten. Dann sah er wieder in sein Glas.
– Das war die erste Offenbarung des Schicksals in meinem Leben.
Seine Stimme klang monoton, gleichmäßig, mit einer Nuance von selbstverständlicher Nachlässigkeit. Sie reizte sie, sie hatte etwas unsagbar Hypnotisierendes. Sie mußte ihn hören.
– Ich wußte auch nicht, was Schicksal ist. Aber jetzt weiß ich es. Sehen Sie, Fräulein Isa, ich gehe herum, ahnungslos; ich hielt mein Gehirn so fest in meinen Händen; es gab kein Gefühl, das ich nicht hätte unterjochen können; ja ... und nun plötzlich kommen Sie dazwischen, Sie, das seltsame Urbild meiner Seele, Sie die Idee, die ich schon früher in einem andern Dasein angeschaut habe, Sie, die Sie eigentlich das ganze Geheimnis meiner Kunst sind ... Kennen Sie meine Produktion?
– Ich liebe sie über Alles.
– Haben Sie sich selbst darin gefunden?
– Ja.
– Nun sehen Sie, ich war so fest und so hart, und nun kommen Sie mir in den Weg, und mein ganzes Leben wird in dieses eine Erlebnis eingeschlossen. Sie bekommen diese Macht über mich, daß ich an nichts Andres denken kann, Sie werden der Inhalt meines Gehirnes ...
– Nein, Falk, sprechen Sie nicht davon. Ich werde so müde von dem Gedanken, daß Sie sich durch mich unglücklich fühlen sollen ...
– Nein, Fräulein Isa, Sie irren sich. Ich bin glücklich, Sie haben mich zum neuen Menschen gemacht, Sie haben mir einen unerhörten Reichtum gegeben – ich verlange ja Nichts von Ihnen, ich weiß, daß Sie Mikita lieben ...
Isa fühlte wieder die Unruhe in sich hochwallen. Sie hatte Mikita ganz vergessen. Nein! Sie durfte nicht länger hier sitzen. Sie durfte nichts mehr hören. Sie erhob sich.
– Nun muß ich gehen.
– Bleiben Sie, bleiben Sie noch einen Augenblick.
Es war etwas, das sie niederzwang, aber sie mußte an Mikita denken. Die Angst und die Unruhe wuchs. Sie raffte sich auf.
Nein, nein, jetzt muß ich gehen; ich kann nicht länger sitzen, ich muß jetzt, ich muß – ich bin so müde ...
Falk unterdrückte mühsam ein nervöses Lachen.
IX.
Vor der Haustür blieben sie stehen.
Falk machte auf. Es war so schwer, das Schlüsselloch zu finden.
Endlich!
Sie trat in den Hausflur. Er folgte ihr. Sie blieben wieder stehen.
Was wollte er nur?
– Gute Nacht, Falk.
Er hielt ihre Hand fest und seine Stimme bebte.
– Mir ist, als müßten wir einen herzlicheren Abschied voneinander nehmen.
Die Tür war halboffen. Das Laternenlicht fiel in breitem Streifen auf ihr Gesicht.
Sie sah ihn so sonderbar, so sonderbar erstaunt an. Er fühlte Scham.
– Gute Nacht ...
Er hörte den Schlüssel von Innen klirren. Er horchte. Sie ging leicht und schnell die Treppe hinauf.
Nun ging er ein Stückchen.
Plötzlich schrie er unwillkürlich aus vollen Leibeskräften.
Was war denn das?
Wollte er seine Kraft in menschlichen Unwillkürlichkeiten auslösen?
Herrlich! Ein herrlicher Esel war er. Unangenehm! Wie täppisch dies mit dem herzlicheren Abschied!
Nein, wie komisch, wie unendlich komisch mußte sie ihn finden.
Er, der große, höhnende Verächter, plötzlich verliebt, wie ein kleiner Schulbube.
Gott, war das unangenehm, und noch diese Erinnerung dazu, die ihm plötzlich so peinlich wurde.
Er war damals volle 13 Jahre alt, als er die erste erotische Anwandlung bekam. Hatte er sich großartig gefunden! Diese tiefen, geistreichen Gespräche, die er mit dem Mädchen über Schiller und Lenau führte. Und die gelben Glacés, die er sich anschaffte ...
Da, eines Abends hatte ihn der Ordinarius auf einem Tête-à-tête ertappt.
Und am nächsten Tage ... wunderbar!
Es klingelte. Es war Zehn-Uhr-Pause.
Alles drängte hinaus.
– Falk, Du bleibst hier.
Ja, nun kam es.
– Komm her!
Er ging ans Katheder.
–