»Ja,« sagte der Graf Clam, »es war ein mächtiger Eindruck, den wir Alle empfanden — nun, wenn's Gott will, wird ja wohl die Zeit kommen, wo wir noch einmal den österreichischen Degen ziehen können, um kaiserlicher Majestät wieder zu ihrer Stellung im Reich zu verhelfen. Mir will es scheinen, als ob die Zeichen der Zeit nach Sturm aussähen und als ob wir reiten werden.«
Eine augenblickliche Stille trat ein. Herr von Reischach sah ernst vor sich hin und schwieg, wie immer, wenn von Politik und kriegerischer Aktion die Rede war — es that das dem alten Soldatenherzen weh — konnte er doch mit seinen zerhauenen und zerschossenen Gliedern nicht mehr dabei sein.
Die Gräfin Mensdorff in feinem Takte wollte in ihrem Salon politischen Erörterungen keinen Raum geben und unterbrach die kleine Pause, indem sie sich lächelnd zu dem Feldmarschalllieutenant von Reischach wendete:
»Schade, daß Sie nicht dort waren, Baron Reischach, Sie hätten gewiß den Kapuziner vortrefflich gegeben und der sündigen Welt Moral gepredigt.«
»Ohne Zweifel,« sagte der Feldmarschalllieutenant und fügte mit komischem Pathos hinzu: »Contenti estote, begnügt euch mit eurem Kommißbrode!«
»Ja, wenn eine Gänseleberpastete darauf liegt und ein alter Ungar daneben steht,« lachte Graf Clam, — »dann läßt er das Kommißbrod liegen.«
»Nullum vinum,« rief Herr von Reischach mit der Hand abwehrend und den Kopf schüttelnd — »nisi Hungaricum!« fügte er dann leiser, sich gegen die Fürstin Obrenowitsch verneigend, hinzu, welche durch ein leichtes Lächeln für das ihren heimischen Reben gezollte Kompliment dankte.
Neue Gäste traten hinzu, der Kreis der Damen vergrößerte sich und der Graf Clam ging mit dem Baron Reischach plaudernd in den vorderen Salon.
Hier waren die sämmtlichen Damen- und Herrengruppen im lebhaften Gespräch, — die jüngere Welt mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt, die älteren Damen das Treiben der jüngeren beobachtend und die Herren forschende Blicke nach den Mitgliedern des diplomatischen Korps richtend, welche mit einander bald flüchtige Worte wechselten, bald in längerem Gespräche verweilten.
In der Mitte des Salons unter der reich erleuchteten Krystallkrone stand der französische Botschafter, Herzog von Gramont, eine hohe Gestalt von untadelhafter, beinahe militärisch gerader Haltung, den weißen Stern der Ehrenlegion auf dem schwarzen Frack, das breite dunkelrothe Band über der Brust. Ein kurzer schwarzer Backenbart rahmte sein längliches, fein geschnitztes Gesicht ein, das jenen Typus der altfranzösischen Aristokratie trug — anmuthige Freundlichkeit mit vornehm zurückhaltender Würde. Sein sehr kleiner, schön geschnittener Mund wurde durch einen spitzen, aufwärts gedrehten Schnurrbart leicht beschattet, seine Stirn war hoch und frei, aber mehr sanft gerundet als kühn gewölbt, aus seinem dunkeln Auge blickte jene phlegmatische Sorglosigkeit, welche ebenfalls ein Erbtheil des alten französischen Adels ist und ihn in so vielen Phasen der Geschichte dahin geführt hat, die wichtigsten und ernstesten Dinge mit einer Leichtigkeit zu behandeln, die man sich oft nicht zu erklären weiß. Sein noch vollkommen schwarzes Haar war in sorgfältig geordneter Coiffure über der Stirne in eine Art von kleinem Toupé zusammengefaßt, das seiner ganzen Erscheinung noch mehr den Stempel jener altfranzösischen grandseigneurs aufdrückte, welche in der Umgebung der großen, mächtigen Prunkgemächer und der gerade geschnittenen, steifen Parkalleen ein so leichtes und anmuthig sorgloses Leben zu führen verstanden.
Der Herzog stand einen Augenblick allein, die Gesellschaft musternd, als, das Gespräch mit einigen Damen beendend, ein Herr in mittleren Jahren auf ihn zutrat, dessen scharf markirtes, mageres Gesicht bei Weitem nicht die sorglose, vornehme Ruhe des französischen Botschafters ausdrückte, vielmehr in stetem Wechselspiel der Züge sich veränderte. Er trug einen Backenbart und sein dunkelblondes Haar hatte jenen eigentümlichen Schnitt und Fall, den man bei norddeutschen Militärs findet. Er war kleiner als der Herzog, seine Bewegungen lebhaft und gewandt, seine Toilette von untadelhafter Einfachheit und über seine Brust lief das breite weiß und orange Band des preußischen rothen Adlerordens.
Herr von Werther, der preußische Gesandte, begrüßte den Herzog mit ausgezeichneter Höflichkeit, aber ohne jene Vertraulichkeit, welche ein näheres persönliches Verhältniß andeutet.
»Endlich finde ich eine Gelegenheit, Herr Herzog,« sagte Herr von Werther in französischer Sprache, »Ihnen guten Abend zu sagen wie befindet sich die Herzogin, ich sehe sie nicht —«
»Sie ist etwas erkältet,« erwiederte der Botschafter, — und Frau von Werther — sie scheint auch von dieser Saison der Grippe an's Haus gefesselt —«
»Sie ist in der That leidend und auch ich wäre nicht ausgegangen,« sagte Herr von Werther lächelnd — »wenn es nicht unsere Pflicht wäre, Neuigkeiten zu sammeln.«
»Und haben Sie diesen Zweck erreicht?« fragte der Herzog.
»Noch nicht — Graf Mensdorff ist beim Kaiser, wie mir die Gräfin sagte, und bisher habe ich nichts gehört, als die verschiedenen Cancans aus der Gesellschaft. — Doch,« — fügte er etwas ernster und in leiserem Tone hinzu, »scheint mir die Luft voll ernster Dinge zu sein — Sie werden wissen, daß hier eine ziemlich unverträgliche Stimmung mehr und mehr um sich greift —«
»Ich bedaure, wenn das so ist,« sagte der Herzog von Gramont, »denn ein scharfer Zusammenstoß der entgegenstehenden Ansichten — und Ansprüche kann nur zum Kriege führen, der mir persönlich nicht wünschenswert erscheint.«
»Sie wissen,« erwiederte Herr von Werther, »daß wir gewiß den Krieg nicht suchen, aber dürfen wir ihn um den Preis unserer Machtstellung und unserer Würde vermeiden? Würden Sie uns das rathen können?«
»Wir stehen den Ereignissen fern und verhalten uns ihnen gegenüber beobachtend,« sagte der Herzog zurückhaltend, »und wir können nur gute Wünsche haben, Rath zu geben kommt uns nicht zu, wenn man uns nicht zur Vermittelung auffordert. — Uebrigens sehen Sie,« fügte er mit verbindlichem Lächeln hinzu, »man beobachtet uns, wir stehen hier isolirt und man möchte Konsequenzen aus unserer harmlosen Unterredung ziehen —«
»Sie haben Recht,« erwiederte Herr von Werther, »entziehen wir uns den neugierigen Blicken.«
Und mit leichter Verbeugung gegen den Herzog wendete er sich, indem er leise vor sich hinflüsterte: »Er weiß Nichts« — zu einem großen, starken, älteren Herrn mit kahler Stirn, scharfen Zügen und lebhaften braunen Augen in der hannöverischen Generalsuniform, der einige Schritte von ihm stand.
»Guten Abend, General Knesebeck,« sagte er zu diesem, der ihn mit militärischem Anstand begrüßte, »was haben Sie für Nachrichten aus Hannover?«
»Seit einiger Zeit gar keine,« erwiederte der General langsam und zurückhaltend, »mein Bruder lebt still auf dem Lande und schreibt mir selten, kümmert sich auch wenig um das, was in Hannover vorgeht.«
»Ich freue mich herzlich,« fuhr Herr von Werther fort, »daß Graf Platen in Berlin war, und wie ich von dort höre, ist der Besuch sehr freundschaftlicher Natur gewesen, Gott gebe, daß das dazu beitragen möge, so manche kleine Verstimmungen verschwinden zu lassen, die leider hie und da zwischen Preußen und Hannover bestanden, während doch beide Staaten bestimmt sind, einig mit einander zu gehen, wie die Geschichte und die Traditionen des siebenjährigen Krieges uns ermahnen.«
»Ich bedaure von Herzen die Verstimmungen, die von beiden Seilen