»Die Verkeilung des Bärenfells, dessen Träger noch im Walde spazieren geht,« sagte Graf Mensdorff, — »nun, machen Sie mir darüber ein Memoire, ich werde es dann dem Kaiser vorlegen. Ich zweifle aber, daß der König von Hannover für diese Anerbietungen sich und sein Land in so große Gefahr bringen wird.«
»Wir müssen ihm auch die Mittel bieten, dieser Gefahr zu begegnen. Wir haben die Brigade Kalik dort oben, stellen wir ihm diese zur Disposition und den Feldmarschalllieutenant von Gablenz dazu als General.«
»Unsere besten Soldaten,« warf Graf Mensdorff ein, — »doch er steht ja dort auf sehr wichtigem Posten, — wenn aber der König Georg das Alles nicht annimmt?«
»Dann,« sagte Herr von Meysenbug — »werden die Verhältnisse das Ihrige thun. Die Unsicherheit des Grafen Platen, der nach keiner Seite einen entschiedenen Schritt thun will, wird Mißverständnisse und Mißtrauen schaffen und schließlich eine Situation herbeiführen, welche Preußen zwingen muß, Hannover zu brüskiren, dann wird der Stolz des Königs aufwallen und bedeutende preußische Kräfte werden im Norden absorbirt werden, ohne daß wir« — fügte Herr von Meysenbug lächelnd hinzu — »vertragsmäßige Pflichten gegen Hannover haben. — Man gibt sich übrigens von Berlin aus unendliche Mühe um Hannover,« fuhr er fort, »und Hai sogar, als Graf Platen in Berlin war, eine Familienverbindung vorgeschlagen —«
»So?« fragte Graf Mensdorff aufmerksam, »welche denn?«
Herr von Meysenbug nahm aus seinem Portefeuille einen Brief und reichte ihn dem Minister, indem er mit dem Finger eine Stelle desselben bezeichnete.
»Graf Platen hat dem Grafen Ingelheim erklärt, er könne sich darauf verlassen, daß nichts aus der Sache werden würde,« sagte er mit kurzem Händereiben, während der Minister las, »und in Berlin ist der uns ganz ergebene Stockhausen, der jede Verständigung zu verhindern wissen wird.«
»Nun also, meine Herren,« sagte Graf Mensdorff, indem er aufstand und das Papier dem Herrn von Meysenbug zurückreichte, »Sie kennen nun die Intentionen Seiner Majestät, machen Sie sich an's Werk. — Ich sehe Sie doch noch drüben bei der Gräfin?«
Beide Herren verneigten sich und verließen das Kabinet.
Graf Mensdorff blieb einen Augenblick zusammengesunken in seinem Lehnstuhl sitzen. Finsterer Ernst lag auf seinen Zügen, und der Blick seines Auges, losgelöst von den Umgebungen, schien sich in weite Fernen zu verlieren.
Dann erhob er langsam das Haupt und blickte in dem großen, halbdunkeln Kabinet umher:
»O ihr großen Männer, die ihr hier in diesen Räumen über Oesterreichs Größe wachtet — könntet ihr an meiner Stelle sein. Meine Hand wäre gerne bereit, den Degen zu führen für mein Vaterland — aber das Schiff des Staats zu steuern in diesem klippenvollen Meer, dazu ist sie nicht gemacht. — Ich sehe einen Abgrund vor mir, an dessen Rand Oesterreich, mein liebes Oesterreich steht, — ich kann es nicht zurückhalten — und kann auch nicht meinen Platz verlassen, der mir die ganze Verantwortung auflegt. Ich muß auf dem Posten ausharren, weil ich Soldat bin, und kann doch nicht als Soldat handeln.«
Wieder versank er in tiefe Gedanken.
Da ertönte ein leises Klopfen an der innern Thür des Kabinets und fast unmittelbar darauf traten zwei Knaben von acht und fünf Jahren ein, zuerst schüchtern und vorsichtig; als sie aber den Grafen allein sahen, eilten sie freudig auf ihn zu und stellten sich an seinen Lehnstuhl.
Graf Mensdorff erwachte aus seiner Träumerei, — seine Züge klärten sich auf und er legte lächelnd seine Arme um die beiden Knaben.
»Wir haben Dich heute noch nicht gesehen, Papa,« sagte der Jüngere, »und da haben wir gewartet, um Dir gute Nacht zu sagen. Schlaf' wohl, lieber Papa, — wir müssen gleich zu Bett und sind auch schon recht müde.«
Graf Mensdorff streichelte leicht das Haar des Kindes und drückte, indem er beide Knaben näher an sich heranzog, einen Kuß auf ihre reinen weißen Stirnen.
»Gute Nacht, meine Kinder,« sagte er dann herzlich, — »ich danke euch, daß ihr auf mich gewartet habt — hoffentlich seid ihr den ganzen Tag artig und fleißig gewesen?«
»Ja wohl, Papa,« riefen beide Kinder mit stolzer Sicherheit, »wir hätten sonst nicht die Erlaubniß erhalten, aufzubleiben und Dich noch zu sehen!«
Des Ministers Auge, vorher so düster, leuchtete freundlich und milde, und wer ihn so dasitzen gesehen hätte, den Mann mit den weichen Zügen und dem lächelnden Blick, — die beiden Kinder im Arm, — der hätte schwerlich geglaubt, daß dies der Mann sei, der ein großes Weltreich in seiner entscheidendsten Krisis zu leiten habe und der Deutschland seiner gewaltigsten und blutigsten Katastrophe entgegenführte.
»Schlaft wohl, meine Kinder,« sagte Graf Mensdorff — »Gott segne euch!« «Er küßte sie nochmals und machte über dem Haupt eines jeden das Zeichen des Kreuzes.
Freundlich blickte er ihnen nach, als sie sein Kabinet verließen, — dann wurde sein Auge wieder trübe. — »Sie sind glücklich« — flüsterte er, — »ihnen raubt noch keine Sorge den Schlaf.«
Er erhob sich und klingelte.
Sein Kammerdiener trat ein.
»Ist die Gesellschaft bei der Gräfin groß?«
»Es ist der kleine Empfangstag,« — antwortete der Kammerdiener, »aber die Gesellschaft ist sehr zahlreich.«
Graf Mensdorff seufzte, warf einen kurzen Blick in den Spiegel und verließ das Kabinet, um sich in die Salons seiner Gemahlin zu begeben.
Dort war die Gesellschaft inzwischen noch zahlreicher geworden und wogte in lebhafter Bewegung durcheinander. Die Diplomaten hatten ihre Neuigkeiten ausgetauscht oder sich vergewissert, daß es nichts zu erfahren gäbe, und sich den geselligeren Gruppen angeschlossen, um in leichtem Geplauder die Zeit bis zur Rückkehr des Ministers auszufüllen; die jüngeren Herren umflatterten die jungen Damen und man sah den Lieutenant von Stielow in lebhaftem Gespräch mit einer jungen Dame von auffallender und äußerst distinguirter Schönheit.
Diese junge Dame, die einzige Tochter der verwittweten Gräfin Frankenstein, war dieselbe, welche der Feldmarschalllieutenant von Reischach vorhin als den Gegenstand der Aufmerksamkeit des Lieutenants von Stielow im Burgtheater bezeichnet hatte, und in der That schien der junge Offizier mit ganz besonderem Eifer in das anscheinend leichte Salongespräch vertieft zu sein, denn er sah mit mehr als gewöhnlicher Teilnahme zu der jungen Dame herab, die, auf die Seitenlehne ihres Fauteuils gestützt, den Blick ihres großen braunen Auges zu ihm aufgeschlagen hatte, während ihre Hand leicht mit dem Fächer von weißen Federn spielte, der in seiner Einfachheit mit ihrer ganz weißen, mit kleinen Veilchenbouquets garnirten Toilette harmonirte.
»Es bleibt also dabei, Comtesse,« sagte Herr von Stielow, »wenn Sie mit Ihrer Frau Mama nach der Schweiz gehen, so nehmen Sie mich als Reisebegleiter an — ich kenne alle schönen Punkte und werde Sie vortrefflich führen.«
»Ich habe über unsere Reisebegleitung nicht zu bestimmen, Herr von Stielow,« erwiederte die junge Dame, — »aber ich zweifle nicht, daß es meiner Mutter sehr angenehm sein wird, wenn wir Sie in der Schweiz treffen und Sie so freundlich sein wollen, uns zu führen.«
»Das ist eine unendlich höfliche Antwort, meine Gnädigste« — sagte der Lieutenant etwas mißmuthig — »aber mir etwas zu höflich. Ich weiß wohl ganz gewiß, daß die Frau Gräfin mich höflich willkommen heißen wird, wenn sie mir begegnet, und mich auch nicht abweisen wird, wenn ich um die Erlaubniß bitte, eine Tour durch die Berge mit Ihnen zu machen, — aber —«
»Nun,« unterbrach ihn die junge Dame mit feinem, schalkhaftem Lächeln, »dann ist ja unser Reiseplan fertig und Alles in Ordnung — oder wollten Sie etwa eine unhöfliche Antwort? — das können Sie doch nicht von mir erwarten.«
»Sie sind nicht freundlich, Gräfin,« antwortete Herr von Stielow, indem er sich auf die Lippe biß und einen