Österreich, sagt der Pepi, ist international eigentlich nur als Essen interessant und zu verwerten. Österreicher sein bedeutet in der Welt in erster Linie, solange die Spezialitäten und die Köstlichkeiten österreichischer Küche in sich hineinschaufeln und sich damit ausstopfen, bis man elendig dran zugrunde geht. In Österreich ist kein Schnitzelwirt und kein Konditor denkbar, der nicht permanent im Verdacht der fahrlässigen Tötung stünde, der Österreicher schlägt sich unaufhörlich mit seinen Lebensmitteln tot, und die ganze Welt beneidet ihn um diesen Genuß. Dialektische Negativität, könnte man sagen, dionysische Suicidäre, könnte man sagen, sagt der Pepi aber nicht, zugegeben eine kleine Mohnnudelsehnsucht zwischendurch, die Mohnnudeln rentieren sich in Sydney nicht, die direkte Demokratie diktiert die Speisekarte.
Naja, so ist das eben, was sagt ihr zu dem Bier, und was gibt’s sonst noch Neues drüben? Immer noch dieselben Drangsale und Probleme politisch und gesellschaftlich? Noch immer alles Irre unterwegs?
Jaja, noch immer alles Irre, sag ich, man kann sich ja auf der Hinterseite der Erdkugel nicht mit innerstaatlichen Einzelheiten verzetteln, und außerdem vergesse ich immer so schnell, was in den Zeitungen steht. Aber zwischendurch auch viele brave Menschen und viele begriffsstutzige, und dann und wann schießen im Nachhinein wie üblich auch wieder ein paar große Söhne aus dem Erdboden … und große Töchter nicht zu vergessen, meckert Emmy in ihren Bierkrug hinein, nur daß die großen Töchter nicht in der Bundeshymne vorkommen. Er hätt an sich gar nichts dagegen, wenn sie hineinkämen, sagt Pepi, wenn sie das wollen, jeder nach seiner Façon; er persönlich möcht ja eher nicht in die Bundeshymne hinein, sagt er, er persönlich würd sich in einer Bundeshymne blöd vorkommen. Die Förster-Christl, ja, oder wie heißt die Rotkreuzschwester auf den Hundertschillingscheinen, sehr anständiges Wesen! Das Metrische würd zwar ordentlich zu wackeln anfangen, aber wenn wir ihn fragen, sollt die Bundeshymne eh noch viel schiarcher werden. In Melbourne das Wort schiarch zu hören, ist schon ein Erlebnis.
Nicht, daß wir ihn mißverstehen, er liebt die Heimat, aber es macht auch nichts, wenn sie außer Haus ist. In Österreich ist immer vom gelernten Österreicher die Rede gewesen, das heißt, der Österreicher kommt nicht als Österreicher auf die Welt, von Natur aus ist der Österreicher, wie er ist, nicht vorgesehen. Österreicher ist keine Nationalität, sondern ein Beruf, wenn auch meistens ein brotloser. Er, sagt er, ist sozusagen ein verlernter Österreicher. Die Berge fehlen ihm zum Beispiel, der Kahlenberg und der Kalvarienberg und der Küniglberg, die Beamtengebirge fehlen ihm nicht. Ein Beamter ist einer, den man durchfüttern muß, damit er einen auf Diät halten kann, sagt er, zum Wohl! Zu den Bergen müßten übrigens auch noch die Schifahrer in die Bundeshymne hinein. An den Karl Schranz kann er sich noch erinnern, bäriger Bursch, was dem in Sapporo passiert ist, war eine Menschenrechtsverletzung sondergleichen, diese Japaner, er sagt das ja immer! Wenn der Karl Schranz hier einmal auftaucht, servier ich ihm eine Brettljause auf Kosten des Hauses, daß er anschließend nicht mehr bei der Tür hinauskommt. Und einen dreifachen Tusch. Wie heißen denn die Schifahrer heute?
– Keine Ahnung, die fahren mittlerweile schon so schnell, daß man sich die Namen nicht mehr merkt.
– Was seid denn ihr für Österreicher!
Emmy geht aufs Klo, da sagt der Pepi von Mann zu mir, deine Emmy hat aber einen Bombenorsch, warum aber, frag ich, da ist die Emmy aber schon wieder vom Klo zurück und fragt den Pepi, woher er denn den Plastik-Andreas-Hofer hat, der den Klobesen hält.
– Witzig, was? Folk Show total. Alles für die Aborigines!
Wißt ihr, fragt der Pepi ein paar Schleppe später, was ihr drüben bräuchtet? Ihr bräuchtet mehr Wahlen! In Österreich wird viel zu wenig gewählt! Wählen macht das Leben schön, man lernt verlieren und sich ins Schicksal fügen, und außerdem sind Wahlen immer ein gutes Fernsehprogramm. Ihr habt ja jetzt Altbundespräsidenten drüben, stimmt das? Altbundespräsident ist was ganz Neues, hat es zu meiner Zeit nicht gegeben. Ist das nicht eigentlich sehr monarchistisch, daß ein Bundespräsident automatisch Altbundespräsident wird durch Gottes Gnade, ohne Volksbefragung, noch dazu, wo der Altbundespräsident im Grund dasselbe macht wie der Jungbundespräsident: Wohltätig sein, Händeschütteln, dem Fußvolk gut zureden, ein moralisches Fünfminutenlob am Neujahrstag zwischen Ehebruch und Familiengottesdienst, die englische Königin ernstnehmen, sein 27. Monatsgehalt den Bedürftigen spenden, Grillparzer zitieren, Kaffeetrinken und Punschkrapfen essen mit Massenmördern seiner Branche, Promenieren, Konversieren, Buffetieren, Repräsentieren, Österreichloben, Medien mit Memoiren versorgen, prominent unter Prominenten sein, solches Zeug. So ein kleines Land, und gleich zwei Altbundespräsidenten auf Lebenszeit. Was liegt da näher als ein kleines Kandidatensurfing, was liegt da näher, als die beiden gegeneinander antreten zu lasen und eine spektakuläre Wahl des offiziellen Superaltbundespräsidenten auszuschreiben. Die Österreicher haben ein Recht darauf, in geheimer Abstimmung ihren Original-Altbundespräsidenten zu küren. Der Wahlverlierer darf beim nächsten Opernball nur noch auf der Galerie, beim nächsten klerikalen Großereignis im Stephansdom erst in der zweiten Reihe sitzen und muß von allen Adabeis gemieden werden. Österreich hat doch immer eine solche Freude am Unnützen!
Der Gailtaler Speck liegt schwer im Magen, und das Schleppebier hat mittlerweile vollständig Besitz von uns ergriffen, den Pepi wirft es vorübergehend gar in einen paraphilosophischen Zustand. Apropos Opernball, sagt er, so ungefähr das Letzte, was er von Österreich erfahren hat, war, daß der Opernball im Jahr des Golfkriegs aus Pietätsgründen abgesagt worden ist, und zuerst hat er sich da gedacht, hat der Golfkrieg wenigstens etwas Gutes gehabt, aber dann hat er gedacht, Österreich und der Wiener Staatsopernball müssen so etwas wie ein Seismograph des ethischen Gesamtzustandes des Planeten sein, und in den Jahren davor und danach kann auf der Welt offenbar nichts passiert sein, das wirklich arg und wirklich schlimm und wirklich tragisch und katastrophal gewesen wäre, denn sonst hätte man ja den Opernball absagen müssen. Historiker späterer Jahrhunderte werden, wenn sie unsere Epoche erforschen, zunächst einmal immer nachsehen, ob der Opernball stattgefunden hat. In Österreich, sagt der Pepi, hat es immer geheißen, Österreich sei der Nabel der Welt, dabei wird Österreich in der ganzen Welt mit Australien verwechselt, abgesehen von hier natürlich, hier verwechselt Österreich niemand mit Australien.
Der Nabel, die Schrumpfstelle des Körpers, hat übrigens in keinem Körper auch nur die geringste Funktion, außer daß sich Staub und Schmutz und Filz in der Einbuchtung lagern, und säubert man sie in der Früh, ist sie abends erst wieder dreckig. Und wenn Österreich der Nabel der Welt ist, dann ist die Welt ein Kind, und irgendwo müßte eine Mutter sein, aber sie ist nicht auffindbar im Universum, vielleicht hat der Kosmos gar keinen Sozialpartner. Wahrscheinlich ist die Welt ein klassischer Fall von Kindesweglegung, wahrscheinlich geht es den Beuteltierkindern besser. Meine Mutter ist in Ottakring, und sie war nie einverstanden damit, daß ich nach Melbourne gehe. Andererseits ist sie aber kein Beuteltier gewesen. Sicher ist jedenfalls nur, daß Österreich die Stelle der Welt ist, an der die Welt abgenabelt worden ist von ihrem Schöpfer, falls es einen gegeben hat, und jetzt muß sie allein zurechtkommen und für sich selber sorgen, aber so richtig bringt sie das ehrlich gestanden nicht zusammen. Der Nabel ist von Haus aus eine ganz traurige Stelle, aber ist ja wurscht, trinken wir noch ein Glaserl Wein. Wein auf Bier, das rat ich dir.
Aus all dem schließen wir, daß der Pepi in seinem auserwählten Land Australien bleiben und eines Tages auch hier sterben und begraben sein wird, aber in den Wein hinein murmelt er, die Nabelschnur ist eine Sternenkette, die sich zum Firmament zersetzt hat. An das Himmelsbild hier habe ich mich nie gewöhnen können, und daß die Sonne im Norden steht. Er ist hier heimisch geworden, wie man so sagt, sagt