»Werdet Ihr mit mir frühstücken, Herr Briquet?« fragte Dom Modeste.
»Vielleicht, ehrwürdiger Herr Prior.«
»Ihr dürft mir nicht grollen, Herr Briquet, wenn es mir unmöglich würde, Euch jede Zeit zu schenken, die ich Euch gern schenken möchte.«
»Ei! wer des Teufels! fordert Eure Zeit von Euch, Herr Prior? alle Wetter! ich verlangte nicht einmal Frühstück von Euch, Ihr habt es mir angeboten.«
»Sicherlich, Herr Briquet,« versetzte Dom Gorenflot mit einer Unruhe, welche der feste Ton von Chicot rechtfertigte, »ja, allerdings, ich habe es Euch angeboten, doch…«
»Doch Ihr glaubtet ich würde es nicht annehmen?«
»Oh! nein. Ist es meine Gewohnheit, politisch zu sein, sprecht, Herr Briquet?«
»Man nimmt alle Gewohnheiten an, die man annehmen will, wenn man ein Mann von Eurer Erhabenheit ist, ehrwürdiger Herr Prior,« erwiederte Chicot mit jenem Lächeln, das nur ihm gehörte.
Dom Gorenflot schaute Chicot mit den Augen blinzelnd an. Es war ihm unmöglich, zu errathen, ob Chicot spottete oder im Ernste sprach.
Chicot war aufgestanden.
»Warum steht Ihr auf, Herr Briquet?« fragte Gorenflot.
»Weil ich gehe.«
»Und warum geht Ihr, da Ihr sagtet, Ihr würdet mit mir frühstücken?«
»Ich habe nicht gesagt, ich würde mit Euch frühstücken.«
»Verzeiht, ich habe es Euch angeboten.«
»Und ich erwiederte vielleicht; vielleicht bedeutet nicht: ja.«
»Ihr ärgert Euch?«
Chicot lachte.
»Ich mich ärgern,« sagte er, »und worüber sollte ich mich ärgern? darüber, daß Ihr unverschämt, unwissend und grob seid? Oh! lieber Herr Prior, ich kenne Euch zu lange, um mich über solche Unvollkommenheiten zu ärgern.«
Durch diesen naiven Ausfall seines Gastes niedergeschmettert, blieb Gorenflot mit offenem Munde und ausgestreckten Armen.
»Gott befohlen, Herr Prior,« fuhr Chicot fort.
»Oh! geht nicht.«
»Meine Reise läßt sich nicht verzögern.«
»Ihr reist?«
»Ich habe eine Sendung.«
»Von wem?«
»Vom König.«
Gorenflot stürzte von Abgrund zu Abgrund.
»Eine Sendung,« sagte er, »eine Sendung vom König, Ihr habt ihn also wiedergesehen?«
»Gewiß.«
»Und er hat Euch aufgenommen?«
»Mit Begeisterung; er hat Gedächtniß, obschon er ein König ist.«
»Eine Sendung vom König,« murmelte Gorenflot, »und ich unverschämt, unwissend und grob!«
Sein Herz schwoll nach und nach ab, wie ein Ballon, der seinen Wind durch Nabelstiche verliert.
»Gott befohlen,« wiederholte Chicot, Gorenflot erhob sich auf seinem Lehnstuhl und hielt mit seiner breiten Hand den Flüchtigen zurück, der sich, gestehen wir es, leicht Gewalt anthun ließ.
»Sprecht, erklärt Euch,« sagte der Prior.
»Worüber?« fragte Chicot.
»Ueber Eure heutige Empfindlichkeit.«
»Ich bin heute wie immer.«
»Nein.«
»Ein einfacher Spiegel der Leute mit denen ich zusammen bin.«
»Nein.«
»Ihr lacht, ich lache; Ihr schmollt, ich mache ein Grimasse.«
»Nein, nein, nein!«
»Ja, ja, ja.«
»Nun wohl, ich gestehe, ich war anderweitig in Anspruch genommen.«
»Wirklich!«
»Wollt Ihr nicht nachsichtig gegen einen Mann sein, der mit den peinlichsten Arbeiten überladen ist? Mein Gott! habe ich meinen Kopf für mich? Ist diese Priorei nicht wie das Gouvernement einer Provinz? Bedenkt daß ich zwei hundert Menschen befehlige, daß ich zugleich Oekonom, Architekt, Intendant bin, Alles, ohne meine geistlichen Functionen zu rechnen.«
»Oh! das ist in der That zu viel für einen unwürdigen Diener Gottes!«
»Oh! nun spottet er,« sagte Gorenflot, »Herr Briquet, solltet Ihr Eure christliche Liebe und Mildherzigkeit verloren haben?«
»Ich besaß also dergleichen?«
»Ich glaube auch, daß Neid bei Eurer Handlungsweise im Spiele ist; nehmt Euch in Acht, der Neid ist eine Todsünde.«
»Neid bei meiner Handlungsweise! Ich frage Euch, wen sollte ich beneiden?«
»Hm! Ihr sagt Euch: der Prior Dom Modeste Gorenflot, steigt stufenweise empor, er ist auf der aufsteigenden Linie.«
»Während ich auf der absteigenden Linie bin, nicht wahr?« entgegnete Chicot mit spöttischem Tone.
»Daran ist Eure falsche Stellung Schuld, Herr Briquet.«
»Herr Prior, erinnert Ihr Euch des Textes im Evangelium?«
»Welchen Text meint Ihr?«
»Wer sich erhöht, wird erniedrigt werden, wer sich erniedrigt, wird erhöht werden.«
»Puh!« machte Gorenflot.
»Ah! nun setzt er die heiligen Texte in Zweifel, der Ketzer!« rief Chicot die Hände faltend.
»Ketzer,« wiederholte Gorenflot, »die Hugenotten sind Ketzer.
»Schismatiker also.«
»Was wollt Ihr sagen, Herr Briquet? In der That, Ihr verkennt mich.«
»Nichts, wenn nicht, daß ich eine Reise mache und zu Euch gekommen bin, um von Euch Abschied zu nehmen. Lebt also wohl, Seigneur Dom Modeste.«
»Ihr verlaßt mich so?«
»Ganz gewiß, bei Gott!«
»Ihr?«
»Ja, ich.«
»Ein Freund?«
»In der Größe hat man keine Freunde mehr.«
»Ihr, Chicot?«
»Ich bin nicht mehr Chicot, Ihr habt es mir so eben vorgeworfen.«
»Ich, wann dies?«
»Da Ihr von meiner falschen Stellung sprachet.«
»Vorgeworfen! Ah! was für Worte habt Ihr heute!«
Und der Prior neigte seinen dicken Kopf, dessen drei Kinne sich in einem einzigen an seinem Stierhals abplatteten.
Chicot beobachtete ihn aus einem Augenwinkel: er sah den Prior leicht erbleichen.
»Gott befohlen und ohne Groll wegen der Wahrheiten, die ich Euch gesagt habe.«
Und er machte eine Bewegung, um wegzugehen.
»Sagt mir. Alles, was Ihr wollt,« sprach Dom Gorenflot, »doch habt keine solche Blicke mehr für mich.«
»Ah! ah! es ist ein wenig spät.«
»Wie zu spät. Hört doch, man geht nicht so weg, ohne zu essen, was Teufels! das ist nicht gesund, Ihr habt es mir selbst zwanzigmal gesagt. Nun, laßt uns frühstücken.«
Chicot war entschlossen, auf einmal alle seine Vortheile wieder zu gewinnen.
»Meiner Treue nein, man speist zu schlecht hier.«
Gorenflot hatte die anderen Angriffe muthig ertragen; unter diesem erlag er.
»Man