»Ah!« murmelte Chicot der mit der Hand über die Stirne fuhr, um sich den Schweiß abzuwischen, und als ob er zugleich eine furchtbare Erscheinung hätte verjagen wollen, »ah! Graf Du Bouchage, braver, schöner junger Mann, wahnsinniger Verliebter, der Du davon sprichst Du werdest freudig, munter, singlustig werden, tritt Deinen Wahlspruch Deinem Bruder ab, denn nie mehr wirst Du sagen können: hilariter.«8
Dann stieg er ebenfalls in sein Zimmer hinab… die Stirne verdüstert, wie wenn er in eine furchtbare Vergangenheit, in einen blutigen Abgrund hinabgestiegen wäre, und setzte sich in den Schatten, unterjocht, er zuletzt, aber am vollständigsten vielleicht, durch den unglaublichen Einfluß der Schwermuth, der von dem Mittelpunkte dieses Hauses ausging.
Zweites Kapitel
Die Börse von Chicot
Chicot brachte die ganze Nacht träumend in seinen Lehnstuhl zu. Träumend ist das richtige Wort, denn in der That, es waren weniger Gedanken, als Träume, was ihn beschäftigte.
Zur Vergangenheit zurückkehren, mit einem Blick eine ganze, beinahe im Gedächtniß vermischte Epoche an Feuer eines einzigen Blickes sich erhellen sehen, heißt nicht denken. Chicot wohnte die ganze Nacht in einer Welt, welche längst von ihm verlassen und mit erhabenen oder anmuthigen Schatten bevölkert war, die ihm der Blick der bleichen Frau, einer treuen Lampe ähnlich, einer nach dem andern mit seinem Gefolge von glücklichen und schrecklichen Erinnerungen an ihm vorüberziehend zeigte.
Chicot, der so sehr seinen Schlaf beklagte, da er vom Louvre zurückkam, dachte nicht einmal mehr daran, sich niederzulegen. Als die Morgendämmerung die Scheiben seinen Fenstern versilberte, sprach er:
»Die Stunde der Gespenster ist vorüber, wir müssen nun auch ein wenig an die Lebendigen denken.«
Er stand auf, gürtete sich sein langes Schwert um, warf über seine Schultern einen Oberrock von weinhefenfarbiger Wolle, von einem auch für die stärksten Regen undurchdringlichen Gewebe, und prüfte mit der stoischen Festigkeit des Weisen den Grund seiner Börse und die Sohle seiner Schuhe.
Diese erschienen Chicot würdig; einen Feldzug zu beginnen; jene verdiente eine besondere Aufmerksamkeit. Wir werden daher unsere Erzählung einen Halt machen lassen und uns Zeit nehmen, sie unseren Lesern zu beschreiben.
Chicot wie man weiß, ein Mensch von erfindungsreicher Einbildungskraft, hatte den Hauptbalken ausgehöhlt, der sein Haus von einem Ende zum andern durchzog und zugleich zur Zierrath, denn er war verschiedenfarbig bemalt, und zur Festigkeit diente, denn er hatte wenigstens achtzehn Zoll im Durchmesser.
Aus diesem Balken hatte er sich mittelst einer Aushöhlung von anderthalb Fuß Länge und sechs Zoll Breite, eine Kasse gemacht, in deren Seiten tausend Goldthaler enthalten waren.
Chicot hatte folgende Berechnung angestellt:
»Ich gebe jeden Tag den zwanzigsten Theil von einem solchen Thaler aus; ich habe also Mittel, zwanzigtausend Tage zu leben. Ich werde sie nie leben, aber ich kann die Hälfte erreichen, und dann vermehren sich, je älter ich werde meine Bedürfnisse und folglich meine Ausgaben, denn die Gemächlichkeit muß im Verhältnis der Abnahme des Lebens zunehmen.
Somit habe ich also zwanzig bis fünf und zwanzig schöne Jahre zu leben. Das ist, Gott sei Dankt genug.«
Chicot war also, mit Hilfe der Rechnung, die wir ihm nachgemacht haben, einer der reichsten Rentiers der Stadt Paris, und diese Ruhe über seine Zukunft verlieh ihm einen gewissen Stolz.
Nicht als ob Chicot geizig gewesen wäre, er war sogar lange Zeit verschwenderisch, aber er hatte eine furchtbare Angst vor der Armuth, denn er wußte, daß sie wie ein bleierner Mantel auf die Schultern fällt und die Stärksten niederbeugt.
Als er diesen Morgen seine Kasse öffnete, um sich seine Rechnung zu machen, sagte er zu sich selbst:
»Bei Gott! das Jahrhundert ist hart und die Zeiten sind nicht für die Großmuth geeignet. Ich habe kein Zartgefühl gegen Heinrich zu beobachten. Diese tausend Goldthaler kommen nicht einmal von ihm, sondern von einem Oheim, der mir sechsmal mehr versprochen hatte. Dieser Oheim war allerdings Junggeselle. Wenn es noch Nacht wäre, würde ich hundert Thaler aus der Tasche des Könige nehmen, aber es ist Tag und ich habe keine andere Quelle mehr, als bei mir selbst und … bei Gorenflot.«
Der Gedanke, von Gorenflot Geld zu beziehen, machte seinen würdigen Freund lächeln.
»Es müßte schön anzusehen sein,« fuhr er fort, »wenn Meister Gorenflot, der mir sein Glück verdankt, hundert Thaler seinem Freunde für den Dienst des Königs abschlagen würde, welcher ihn zum Prior der Jacobiner ernannt hat.
»Ah!« sprach er, »es ist nicht mehr Gorenflot.
»Ja, aber Robert Briquet ist immer noch Chicot.
»Doch der Brief des Königs, der Brief, bestimmt, Navarra in Flammen zu setzen, ich sollte ihn vor Tag holen, und der Tag ist gekommen. Ah! dieses Mittel werde ich haben, und es wird sogar einen furchtbaren Schlag auf den Schädel von Gorenflot thun, wenn mir – sein Gehirn zu hart zu überzeugen scheint.
»Vorwärts also!«
Chicot fügte das Brett wieder ein, das sein Versteck schloß, befestigte es mit vier Nägeln, und bedeckte es mit der Platte, auf die er gehörig Staub streute, um die Fugen zu verstopfen; dann schaute er, zum Aufbruch bereit, zum letzten Male dieses kleine Zimmer an, wo er seit vielen glücklichen Tagen undurchdringlich und bewacht war, wie es das Herz in der Brust ist.
Zuletzt warf er einen Blick auf das Haus gegenüber.
»In der That, diese Teufel von Joyeuse könnten wohl in einer schönen Nacht Feuer an mein Haus legen, um einen Augenblick die unsichtbare Dame an ihr Fenster zu ziehen. Ei! ei! wenn sie mein Haue verbrennen würden, machten sie zugleich eine Goldstange, aus meinen tausend Thalern. Wahrhaftig, ich glaube, ich würde wohl daran thun, die Summe zu vergraben. Nun, wenn die Herren von Joyeuse mein Haue verbrennen, so wird es mir der König bezahlen.«
So beruhigt schloß Chicot seine Thüre, deren Schlüssel er mit sich nahm; als er sodann hinaus ging, um das Ufer zu erreichen, sagte er:
»Ei! ei! dieser Nicolas Poulain könnte wohl hierher, kommen, meine Abwesenheit verdächtig finden und… Ah! diesen Morgen habe ich nur Hasengedanken. Vorwärts! vorwärts.«
Indeß Chicot seine Hausthüre nicht minder sorgfältig schloß, als er seine Zimmerthüre geschlossen hatte, bemerkte er an seinem Fenster den Diener der unbekannten Dame, der, ohne Zweifel in der Hoffnung, so früh am Morgen nicht bemerkt zu werden, Luft schöpfte.
Dieser Mann war erwähnter Maßen ganz entstellt durch eine Wunde am linken Schlaf, die sich über einen Theil der Wange erstreckte. Durch die Heftigkeit des Schlages von der Stelle gerückt, verbarg eine von seinen Augenbrauen beinahe völlig das linke in seine Höhle eingesunkene Auge.
Seltsamer Weise hatte er, bei seiner kahlen Stirne und seinem grünlichen Barte, einen lebhaften Blick und eine Jugendfrische auf der Wange, welche verschont worden war.
Beim Anblick von Robert Briquet, der seine Thürschwelle hinabstieg, bedeckte er sich den Kopf mit seiner Capuce. Er machte eine Bewegung, um zurückzutreten, doch Chicot bedeutete ihm durch eine Bewegung, er möge bleiben.
»Nachbar,« rief ihm Chicot zu, »der Gelärme gestern hat mir mein Haus entleidet; ich will einige Wochen auf meine Meierei gehen; wäret Ihr wohl so gefällig, von Zeit zu Zeit einen Blick nach dieser Seite zu werfen?«
»Ja, mein Herr, gern,« antwortete der Unbekannte.
»Und solltet Ihr Diebe bemerken…«
»Seid unbesorgt, ich habe eine gute Büchse.«
»Ich danke. Indessen hätte ich Euch noch um einen Dienst zu bitten.«
Chicot schien mit dem Auge die Entfernung die zu dem Unbekannten zu messen.
»Doch es ist zu zarter Natur, um es Euch von so ferne zuzurufen, Nachbar,« sagte er.
»Dann