Durch diesen und andere Fälle erhielt die Frage der menschenrechtlichen Verantwortung von Unternehmen erneut öffentliche Aufmerksamkeit. Große internationale Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International begannen, sich verstärkt des Themas anzunehmen.
Auf Ebene der UN entstand eine neue Initiative, Standards für das Verhalten internationaler Unternehmen zu entwickeln. Der „Unterausschuss für die Verhinderung von Diskriminierung und den Schutz von Minderheiten“ der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte setzte eine Arbeitsgruppe ein. Diese sollte (unter anderem) Empfehlungen und Vorschläge unterbreiten, um sicherzustellen, dass die Tätigkeit internationaler Unternehmen im Einklang mit den wirtschaftlichen und sozialen Zielen der Länder stünden, in denen sie tätig seien; darüber hinaus hatte sie den Auftrag, den Umfang staatlicher Pflichten zu analysieren, die Aktivitäten derartiger Unternehmen zu regulieren.68 Auf dieser Grundlage entstand die „Working Group on the Working Methods and Activities of Transnational Corporations“. Die Arbeitsgruppe entwickelte – in einem breiten Konsultationsprozess mit verschiedenen Interessengruppen – unter Führung des Rechtsprofessors David Weisbrodt die „Norms on the Responsibilities of Transnational Corporations and Other Business Enterprises with Regard to Human Rights“. Sie enthielten Regeln und Grundsätze für das Verhalten von Unternehmen in zahlreichen Bereichen, beispielsweise sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechten, bürgerliche Rechte und internationales Strafrecht.69 Das Dokument sah verbindliche Pflichten für Unternehmen und einen Mechanismus zur Durchsetzung vor.70 Der Unterausschuss nahm den Entwurf an und leitete ihn an die (damalige) UN-Menschenrechtskommission weiter. Diese dankte dem Unterausschuss für seine Arbeit, teilte aber mit, die Kommission habe den Entwurf nicht erbeten und dieser habe keine rechtliche Bedeutung.71
Die UN-Menschenrechtskommission beschloss, eine breite Konsultation durchzuführen und einen Bericht über die bereits existierenden Normen und Standards bezüglich der menschenrechtlichen Pflichten von Unternehmen zu verfassen. Verschiedene Staaten und Wirtschaftsorganisationen äußerten Kritik, die sich vor allem an der Einführung verbindlicher Regeln entzündete. Diese seien dazu angetan, die freiwilligen Bemühungen von Unternehmen im Bereich CSR zu unterminieren und sie dazu anzuhalten, lediglich minimale Standards zu gewährleisten72; Unternehmen seien bereits über den legalistischen Ansatz im Bereich ihrer sozialen Verantwortung hinweg.73 Auch könnten verbindliche Pflichten für Unternehmen die staatliche Pflicht zum Schutz der Menschenrechte verwässern.74
Dennoch verschwand das Thema nicht von der Agenda. UN Generalsekretär Kofi Annan initiierte eine Initiative, in deren Rahmen sich Unternehmen zu bestimmten Standards im Bereich der Menschenrechte, Arbeitsschutz und Korruptionsbekämpfung bekennen sollten. Der UN Global Compact wurde im Juni 2000 verabschiedet. Unternehmen, die ihm beitreten, müssen sich zu zehn programmatischen Grundprinzipien bekennen und sie im Rahmen ihrer Möglichkeiten umsetzen.75
Darüber hinaus empfahl die UN-Menschenrechtskommission die Ernennung eines Sonderbeauftragten, der sich mit der Frage von Wirtschaftsunternehmen und Menschenrechten auseinandersetzen sollte.76 Der Economic and Social Council der UN folgte der Empfehlung und beauftragte den Generalsekretär der UN, einen Sonderbeauftragten zu ernennen. Am 28.7.2005 verkündete UN-Generalsekretär Kofi Annan die Ernennung des Politikwissenschaftlers John Ruggie zum Sonderbeauftragten für Wirtschaft und Menschenrechte.
44 Bilchitz, in: Bilchitz/Deva: Building a treaty on Business and Human Rights, S. 7. 45 Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, S. 121. 46 Shaw, International Law, S. 93. 47 Clapham, Non-state Actors, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, International Human Rights Law, S. 562. 48 Herdegen, Principles of International Economic Law, S. 39. 49 Cassese’s International Law, S. 177. 50 Carrillo-Santarelli, Direct International Human Rights Obligations of Non-State Actors – a legal and ethical Necessity, S. 228ff. 51 Bilchitz, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, Corporate Obligations and a Treaty on Business and Human Rights – a constitutional law model?, S. 193. 52 Vgl. etwa EGMR Anheuser-Busch g. Portugal, Beschwerde Nr. 73049/01, Urteil der Großen Kammer vom 11.1.2007; Unistar Ventures GmbH g. Moldau, Beschwerde Nr. 19245/03, Urteil vom 9.12.2008; siehe auch Hembach, Die Beschwerde beim EGMR, S. 54. 53 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations – Global Prospects for Legal Action, S. 137ff. 54 Brief of amici curiae International Law Scholars in support of petitioners im Fall Kiobel v. Royal Dutch Petroleum, S. 8. 55 Lopez, Human Rights Legal Liability for Business Enterprises, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, S. 301f. 56 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 107. 57 Die Darstellung der Entwicklung in den 70er Jahren folgt: Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 29ff. 58 Hamdani/Ruffing, Lessons from the UN Centre on Transnational Corporation for the Current Treaty Initiative, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, S. 28. 59 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 25. 60 New York Times vom 22.3.1972 “I. T.T. said to seek Chile coup in 1970” https://www.nytimes.com/1972/03/22/archives/itt-said-to-seek-chile-coup-in-70-anderson-sayswhite-house-was.html. 61 https://uncitral.un.org/sites/uncitral.un.org/files/media-documents/uncitral/en/acn9_83_e.pdf (Annex IV). 62 Hamdani/Ruffing, Lessons from the UN Centre on Transnational Corporation for the Current Treaty Initiative, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, S. 29. 63 Nachzulesen hier: https://investmentpolicy.unctad.org/international-investment-agreements/treaty-files/2891/download. 64 Khoury/Whyte, Corporate Human Rights Violations, S. 29f. 65 Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 773. 66 Hamdani/Ruffing, Lessons from the UN Centre on Transnational Corporation for the Current Treaty Initiative, in: Deva/Bilchitz, Building a Treaty on Business and Human Rights, S. 34. 67 https://www.amnesty.org/en/latest/news/2017/11/investigate-shell-for-complicity-inmurder-rape-and-torture/. 68 The relationship between the enjoyment of economic, social and cultural rights and the right to development, and the working methods and activities of transnational corporations. , Sub-Commission resolution 1998/8. 69 Jernej Letnar Cernic, Two steps forward, one step back: The 2010 Report by