Als freiwillige Kontrollmechanismen sehen viele Verträge die Möglichkeit einer individuellen Beschwerde bei dem jeweiligen Ausschuss vor. Dabei räumen Staaten Einzelpersonen die Möglichkeit ein, eine Beschwerde wegen der (angeblichen Verletzung von Rechten, die ihnen nach dem jeweiligen Vertrag zustehen, bei dem jeweiligen Auschuss einzulegen, der dann nach einem festgelegten Verfahren eine Entscheidung trifft.
Ein weiterer Mechanismus, der zur Klarstellung des Inhalts und der Reichweite bestimmte Rechte beitragen kann, sind die „Special Procedures“ des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen. Der Menschenrechtsrat hat die Möglichkeit, unabhängige Experten als Berichterstatter zu bestimmten Themen zu benennen. Das Mandat der Berichterstatter betrifft entweder die menschenrechtliche Situation in einzelnen Ländern oder ein bestimmtes Thema. Die Berichterstatter veröffentlichen dann Berichte, in denen Informationen gesammelt dargestellt werden. Beispiele sind der Sonderberichterstatter über das Recht zur Entwicklung oder der Sonderberichterstatter über das Recht auf Nahrung.
Für die Interpretation von Übereinkommen betreffend Arbeitsstandards spielen die Mechanismen der ILO zur Überwachung der Einhaltung von ILO-Abkommen eine wichtige Rolle. Die ILO entwickelt Übereinkommen und Empfehlungen. Übereinkommen sind nach Ratifizierung durch die Mitgliedsstaaten für diese rechtlich bindend; Empfehlungen können nicht ratifiziert werden, sondern enthalten Hinweise bezüglich der Gesetzgebung, politischer Maßnahmen und Praxis.41 Übereinkommen werden im Wesentlichen von der Konferenz, einem der Organe der ILO entwickelt, das aus Vertretern der Mitgliedsstaaten zusammengesetzt ist (Art. 2 1 a) der ILO-Verfassung).
Staaten informieren die ILO, wenn sie ein Übereinkommen ratifiziert haben (Art. 19 Abs. 5 d) der ILO-Verfassung). Die Ratifikation bringt die Verpflichtung mit sich, Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, dass die Inhalte des Übereinkommens wirksam werden (Art. 19 Abs. 5 der ILO-Verfassung); dies umfasst insbesondere die Umsetzung in nationales Recht. Sie sind darüber hinaus verpflichtet, gegenüber der ILO jährlich zu berichten, welche Maßnahmen sie zur Umsetzung des Übereinkommens getroffen haben (Art. 22 der ILO-Verfassung). Der Berichtszeitraum ist abhängig von dem Übereinkommen, um das es geht. Bei besonders wichtigen Übereinkommen, beispielsweise betreffend Kinderarbeit, beträgt er drei Jahre. Die Prüfung dieser Berichte ist dem Sachverständigenausschuss für die Anwendung von Übereinkommen und Empfehlungen (Committee of Experts on the Application of Conventions and Recommendations) übertragen. Dieser hat 20 Mitglieder, die in der Regel hoch anerkannte Juristen sind. Der Sachverständigenausschuss erstellt einen jährlichen Berichte, der auf der Webseite der ILO veröffentlicht wird. Diese Bericht enthält Stellungnahmen zu Themen, die aus Sicht des Ausschusses von allgemeinem Interesse sind. Vor allem aber besteht er aus Anmerkungen zur Praxis der Umsetzung von Übereinkommen in bestimmten Staaten.
Darüber hinaus gibt es Ausschüsse, die sich mit individuellen Beschwerden befassen. Einer davon ist der Ausschuss für die Vereinigungsfreiheit (Governing Body Committee on Freedom of Association). Verbände, die Arbeitgeber oder Arbeitnehmer vertreten, können dort Beschwerden bezüglich Verletzungen der Vereinigungsfreiheit einlegen. Der Ausschuss prüft dann den Fall und informiert den „Governing Body“ der ILO über seine Auffassung. Der Governing Body ist eines der Organe der ILO. Er ist aus Vertretern von Regierungen der Mitgliedsstaaten sowie Arbeitnehmer und Arbeitgebervertretern zusammengesetzt (Art. 2 i.V.m. Art. 7 der ILO-Verfassung).
4) Menschenrechte der ersten, zweiten und dritten Generation
In der Debatte um Menschenrechte wird häufig zwischen Menschenrechten erster, zweiter und dritter Generation unterschieden. Als Menschenrechte der ersten Generation gelten dabei Freiheitsrechte oder Abwehrrechte gegen den Staat; Menschenrechte der zweiten Generation sind in dieser Terminologie ökonomische und soziale Rechte, die Gewährleistungspflichten oder positive Pflichten des Staates beinhalten. Rechte der dritten Generation sind komplexe zusammengesetzte Rechte wie das Recht auf eine saubere Umwelt oder das Recht auf Frieden.42
Diese Terminologie ist insofern irreführend, als sie eine zeitliche Abfolge suggeriert, die es in dieser Form nicht gibt. Vor allem die Debatte über die Rechte der ersten und zweiten Generation erfolgte parallel und der „Zivilpakt“ und der „Sozialpakt“ der UN wurden im gleichen Jahr verabschiedet. Dennoch ist die Unterscheidung griffig und trägt dazu bei, grundsätzliche Unterschiede zwischen verschiedenen Kategorien von Rechten deutlich zu machen.
Die bürgerlichen Freiheitsrechte der ersten Generation sind unmittelbar umsetzbar und können rechtlich durchgesetzt werden. Staaten erfüllen ihre Pflicht, indem sie rechtswidrige Eingriffe in die Rechte unterlassen. Dagegen sind wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte nicht ohne weiteres einklagbar; denn ihre Umsetzung hängt in vielen Fällen davon ab, ob Ressourcen vorhanden sind und bzw. wie diese verteilt werden.43 Staaten trifft daher eine Pflicht zur fortschreitenden Verwirklichung („progressive realisation“) dieser Rechte (vgl. Art. 2 Abs. 1 Internationaler Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte- jeder Staat verpflichtet sich, Maßnahmen zu treffen (..), um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen“).
14 Bingham, The Rule of Law, S. 56. 15 Lesaffer, Vienna and the Abolition of Slave Trade, Oxford Public International Law https://opil.ouplaw.com/page/498#:~:text=But%20on%208%20February%201815,in%20%27all%20civilised%20nations%27. 16 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 12. 17 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 10. 18 Tomuschat, Human Rights, S. 17. 19 Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 13. 20 Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 13. 21 Bates, History, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, International Human Rights Law, S. 30. 22 Tomuschat, Human Rights, 21. 23 Shaw, International Law, S. 23; Crawford, Brownlie’s Principles of International Law, S. 635. 24 Kaelble, Massenarmut, soziale Ausgrenzung, Ungleichheit: Die soziale Frage, in: Welt- und Kulturgeschichte, S. 487. 25 Teil XIII – Arbeit – Abschnitt 1 – Organisation der Arbeit. 26 Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights, S. 33. 27 Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights, S. 34. 28 Tomuschat, Human Rights, S. 23. 29 Schabas, The European Convention on Human Rights, S. 1. 30 Banteakas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 16. 31 Bates, The Evolution of the European Convention on Human Rights, S. 39. 32 Chinkin, in: International Human Rights Law, S. 106. 33 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz,