Es wird sich zeigen, ob diese verfassungsrechtlichen Bedenken durchgreifen. Jedenfalls langfristig werden Unternehmen mit Pflichten der Art, wie das LkSG sie vorsieht, leben müssen.
Einige Länder haben bereits Gesetze erlassen, die Unternehmen menschenrechtliche Sorgfaltspflichten auferlegen, in anderen werden sie ernsthaft erwogen. In der Endphase der Produktion dieses Buches legte die EU-Kommission einen Entwurf der „Corporate Sustainability Due Diligence Directive“ vor. Diese erlegt bestimmten Unternehmen Sorgfaltspflichten in Bezug auf Menschenrechte und Umwelt auf und orientiert sich u.a. an den UN Guiding Principles for Business and Human Rights (siehe dazu unten S. 21). Dieser Trend wird sich nicht zurückdrehen lassen.
1 Zitiert nach: The Social Responsibility of Business is to Increase its profits, The New York Times Magazine, September 13, 1970, 13. September 1970. 2 Nietsch, Corporate Social Responsibility Compliance, S. 3. 3 Vgl. Smith zum Slogan „ein verkaufter Kasten Bier schützt einen m2 Regenwald“, PR and Greenwashing: Wie wahr ist die Wahrheit, CSR-News, 06.06.2018 https://csr-news.org/2018/06/06/pr-und-greenwashing-wie-wahr-ist-die-wahrheit/. 4 Grabosch, Unternehmen und Menschenrechte, S. 4.
I) Einführung
Das Sorgfaltspflichtengesetz regelt Pflichten von Unternehmen zum Schutze der Menschenrechte und der Umwelt. Schon die Auferlegung solcher Pflichten ist ein kontrovers diskutiertes Thema. Es war und ist umstritten, ob Menschenrechte Unternehmen rechtlich binden. Klassischerweise werden Menschenrechte als Rechte gegenüber dem Staat verstanden und ihre Durchsetzung als staatliche Aufgabe. Das hängt einerseits mit der historischen Entwicklung zusammen. Die Festschreibung von fundamentalen Rechten wurde dem Staat als Begrenzung der Herrschaftsgewalt abgetrotzt. Andererseits ist es durch die Gegebenheiten des internationalen Rechts begründet. Der internationale Schutz der Menschenrechte beruht auf internationalen Verträgen; diese werden von Staaten als Subjekten des internationalen Rechts geschlossen und verpflichten daher auch Staaten.
Darüber hinaus begegnet es konzeptionellen Schwierigkeiten, Unternehmen für Verstöße gegen Menschenrechte verantwortlich zu machen. Es existieren sehr unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Rechte zu den universal geltenden Menschenrechten gehören und wie diese zu verstehen seien.
Das vorliegende Buch, das in erster Linie ein Leitfaden für die Praxis ist, dient natürlich nicht dazu, zur Klärung dieser Fragen beizutragen. Dennoch sollen einige Anmerkungen zum Hintergrund der Menschenrechte und der Diskussion über die menschenrechtliche Verantwortung von Unternehmen helfen, den Kontext des LkSG verständlich zu machen.
II) Anfänge des Schutzes der Menschenrechte auf nationaler Ebene
Es ist schwer, die Entstehung des Gedankens der Menschenrechte geschichtlich einzuordnen. Auch die Verortung in einer bestimmten Region begegnet Schwierigkeiten. Letztere brächte die Gefahr mit sich, ein bestimmtes Verständnis der Menschenrechte als originär oder vorzugswürdig zu betrachten.5 Ein Meilenstein für das Verständnis der Menschenrechte in westlichen Demokratien war die Abfassung der Virginia Bill of Rights vom 12.06.1776.6 In dieser war niedergelegt, dass alle Menschen ihrer Natur nach frei und unabhängig sind und, dass sie bestimmte Rechte haben, die ihnen nicht genommen werden können. Sie enthielt im Kern bereits alle heutigen Grundrechte, deren Gefährdung durch den Staat man sich vorstellen konnte.7 Am 04.07.1776 wurde dann die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung verabschiedet, in der es als selbstverständliche Wahrheit bezeichnet wurde, dass alle Menschen gleich und von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten ausgestattet sind.8 Auf die Amerikanische Unabhängigkeitserklärung folgte 1791 die Bill of Rights, die zehn Zusatzartikel zur US-amerikanischen Verfassung enthält, in denen Grundrechte wie das Recht auf Meinungsfreiheit, der Schutz von unvernünftigen Durchsuchungen und Beschlagnahmen oder bestimmte Verfahrensrechte gewährleistet werden.9
Auf europäischer Ebene gilt als die erste Menschenrechtserklärung die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte, die am 26.08.1789 von der französischen Nationalversammlung verabschiedet wurde. Sie fokussierte sich auf Freiheit, Eigentum, Sicherheit und Widerstand gegen Unterdrückung.10 Die französische Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte hatte Einfluss auf die Verfassungsbewegung in ganz Europa.11
Allerdings kamen diese Rechte nur einer kleinen Gruppe von Menschen zugute. Sie waren nicht anwendbar auf Frauen, Sklaven oder Angehörige der indigenen Völker.12 Der U. S. Supreme Court entschied 1857 in seinem Dred Scott-Urteil, dass Menschen afrikanischer Herkunft, seien sie frei oder versklavt, keine US-Staatsbürger seien. Bantekas und Oette bezeichnen es als „vielsagendes Paradox, dass es nicht als widersprüchlich angesehen wurde, dass diese Rechte erklärt wurden, während die Siedler in das Land indigener Amerikaner eindrangen und Sklaven hielten.“13
5 Bates, History, in: Moeckli/Shah/Sivakumaran, International Human Rights Law, S. 7. 6 Tomuschat, Human Rights, S. 13. 7 Schilling, Internationaler Menschenrechtsschutz, S. 3. 8 Deutscher Text der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung: https://usa.usembassy.de/etexts/gov/unabhaengigkeit.pdf. 9 https://www.archives.gov/founding-docs/bill-of-rights/what-does-it-say#:~:text=The%20Bill%20of%20Rights%20is,in%20relation%20to%20their%20government.&text=It%20sets%20rules%20for%20due,the%20people%20or%20the%20States. 10 Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 8. 11 Tomuschat, Human Rights, S. 14. 12 Kälin/Künzli, Universeller Menschenrechtsschutz, S. 4. 13 Bantekas/Oette, International Human Rights Law and Practice, S. 8.
III) Der internationale Schutz der Menschenrechte
1) Anfänge
Die genannten Dokumente verbrieften (mit der eben angesprochenen Einschränkung) Rechte für Bürger des eigenen Staates. Die Menschenrechte wurden hier also als Bürgerrechte verstanden. Die Idee eines internationalen Schutzes der Menschenrechte wurde durch die Abschaffung der Sklaverei und durch das humanitäre Völkerrecht beeinflusst. Auch der Schutz bestimmter Minderheiten spielte und der Kampf für Arbeiterrechte spielten eine Rolle.
In England gab es bereits im späten 18. Jahrhundert eine Bewegung, die sich für die Abschaffung der Sklaverei einsetzte. Angehörige dieser Bewegung unterstützten die Klage des Sklaven James Somerset, der von seinem amerikanischen Eigentümer nach England gebracht worden und dort geflohen war. Sein Eigentümer hatte ihn an Bord eines Schiffes bringen lassen und beabsichtigte, ihn dort weiter festzuhalten. Somerset brachte eine habeas corpus-Klage ein. Das Gericht entschied, dass Somerset freigelassen