4. Die Modernisierungskunst des Gesetzgebers
Bei näherer Betrachtung entpuppt sich das modernisierte Sachmängelrecht als ein buntes Gemisch aus Kaufrecht und allgemeinem Schuldrecht, denn die §§ 437-441 verweisen umfänglich auf die allgemeinen Vorschriften der §§ 280, 281, 283, 284, 311a, 323, 326, die ihrerseits auch noch heftig aufeinander verweisen.
Beispiele
- | Nicht weniger als sechs Vorschriften: die §§ 437 Nr. 2, 434, 326 I 3, 326 V, 275, 323 befassen sich mit dem Rücktritt für den Fall, dass die Nacherfüllung unmöglich ist. |
- | Ebenso viele Vorschriften: die §§ 437 Nr. 3, 434, 275, 280 I, III, 283 oder § 311a II regeln den Schadensersatz statt einer unmöglichen Nacherfüllung. |
Diese Art von Schuldrechtsreform mag modern sein, praxis- oder gar bürgerfreundlich ist sie nicht, transparent schon gar nicht. Die neue Regelung ist schlichtweg unübersichtlich. Wenn man etwas über die Sachmängelhaftung erfahren will, muss man ständig im BGB hin- und herblättern. Außerdem wimmelt es im neuen Kaufrecht von blassen, unbestimmten Rechtsbegriffen, die Rätsel aufgeben, statt sie zu lösen. Das geniale, weil übersichtliche System des BGB, das die allgemeinen Regeln vor die Klammer setzt, damit man sie weiter hinten nicht dauernd wiederholen, ja nicht einmal mehr auf sie verweisen muss, wird durch den modernisierten Paragrafen-Mix zerstört.
5. Die Rechtsgrundlagen für die Sachmängelhaftung und ihre Ausnahmen
5.1 Die Anspruchs- und Rechtsgrundlagen
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§ 437 Nr. 1 mit § 439 I ist Anspruchsgrundlage für Nacherfüllung und lässt dem Käufer die Wahl zwischen Mängelbeseitigung und Ersatzlieferung einer mangelfreien Sache.
§ 437 Nr. 3 ist Anspruchsgrundlage für Schadensersatz in mehrfacher Ausführung, wie die Verweisung auf die §§ 280, 281, 283 offenbart, und für Aufwendungsersatz nach § 284.
§ 437 Nr. 2 ist die Rechtsgrundlage für ein Rücktritts- oder Minderungsrecht, zwei Gestaltungsrechte, zwischen denen der Käufer wählen kann und die er durch Erklärung gegenüber dem Verkäufer ausübt.
Die Rechtsfolgen des erklärten Rücktritts stehen in §§ 346, 347, und das sind Anspruchsgrundlagen für die Rückgabe der Kaufsache und die Rückzahlung des Kaufpreises nebst Nutzungs- und Wertersatz. Dass auch das Minderungsrecht ein Gestaltungsrecht sei, sagt deutlich § 441 I 1. Dagegen ist § 441 IV Anspruchsgrundlage für die Erstattung des überzahlten Kaufpreises.
Der Käufer hat diese Rechte nur wegen derjenigen Mängel, die er mit der Nacherfüllungsforderung gerügt hat[78].
Eine Zumutung für jeden Praktiker ist die neumodische Konstruktion des § 437, der die „Rechte des Käufers bei Mängeln“ zwar aufzählt, aber nicht selbst regelt, sondern auf eine Vielzahl anderer Vorschriften verweist, die zu allem Überdruss nur dann gelten sollen, „wenn die Voraussetzungen … vorliegen und soweit nicht ein anderes bestimmt ist“. Der ausdrückliche Hinweis darauf, dass eine Rechtsnorm nur gelten soll, wenn ihre Voraussetzungen erfüllt seien, ist der steile Gipfel moderner Gesetzgebungskunst.
5.2 Die Gegennormen
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Gegennormen, welche die Sachmängelhaftung des Verkäufers beschränken oder ausschließen und Einwendungen oder Einreden begründen, findet man nicht nur im Kaufrecht, sondern auch im allgemeinen Schuldrecht.
Nach § 444 lässt sich die Sachmängelhaftung des Verkäufers durch Vertrag beschränken oder ausschließen. Unabdingbar ist nur die Haftung des Verkäufers für seine Arglist, und vorformulierte Haftungsbeschränkungen scheitern leicht an § 309 Nr. 8b).
§ 442 I schließt die Sachmängelhaftung aus, wenn der Käufer den Sachmangel schon beim Kauf kennt oder grobfahrlässig nicht kennt.
§ 439 IV berechtigt den Verkäufer, eine unverhältnismäßig aufwendige Nacherfüllung zu verweigern.
Weitere Einwendungen gegen einzelne Rechte des Käufers liefern die §§ 275 I, II, 280 I 2, 286 IV, 323 VI, 325 V 2.
5.3 Die Beweislast für und gegen eine Sachmängelhaftung
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Nach allgemeiner Regel, die auch für die Sachmängelhaftung gilt, muss im Streitfall der Käufer als Anspruchsteller die anspruchs- oder rechtsbegründenden Tatsachen, der Verkäufer als Anspruchsgegner die rechtfeindlichen Einwendungen und Einreden beweisen.
Ob der Verkäufer die Mangelfreiheit oder der Käufer den Sachmangel beweisen muss, diese Frage beantwortet § 363[79]. Da der Verkäufer nach §§ 433 I 2, 439 eine mangelfreie Sache schuldet, muss er nach § 362 I beweisen, dass er diese Verpflichtung erfüllt habe.
Der Käufer muss erst dann den Sachmangel beweisen, wenn er die Kaufsache als Erfüllung angenommen hat[80].
5.4 Die unberechtigte Mängelrüge
Rügt der Käufer einen Mangel, wo keiner ist, verletzt er den Kaufvertrag und ist dem Verkäufer nach § 280 I 1 zum Schadensersatz verpflichtet, wenn er sich nicht nach § 280 I 2 entlastet. Freilich darf der Käufer auch zweifelhafte Mängelrechte einklagen oder sich damit gegen die Kaufpreisklage des Verkäufers verteidigen, denn dies ist der richtige Weg, den Mängelstreit auszutragen[81].
5.5 Der Gang der Darstellung
Das neue Sachmängelrecht wird in den folgenden Kapiteln näher vorgestellt. Die Kapitel 4–7 beschreiben die Rechte des Käufers auf Nacherfüllung, Rücktritt, Minderung und Schadensersatz, das 8. Kapitel einheitlich für alle Käuferrechte den Sachmangel, das 9. Kapitel den Gefahrübergang und das 10. Kapitel die Einwendungen und Einreden des Verkäufers gegen die Käuferrechte. Das 11. Kapitel behandelt die Beschaffenheitsgarantie, das 12. Kapitel die Rechtsmängelhaftung, das 13. Kapitel den Rechtskauf und das 14. Kapitel die Konkurrenz der Mängelrechte mit anderen Rechten des Käufers.
Die besonderen Regeln des Verbrauchsgüterkaufs sind Bestandteil des Verbraucherschutzes und werden im 15. Kapitel dargestellt.
1. Die Anspruchsgrundlage
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Nach § 437 Nr. 1 mit § 439 I hat der Käufer nach Lieferung einer mangelhaften Sache Anspruch auf Nacherfüllung, entweder auf Beseitigung des Mangels oder auf Lieferung einer mangelfreien Sache, und nach § 439 II jeweils auf Kosten des Verkäufers. Die Hilfsnorm des § 434 definiert den Sachmangel und bestimmt als maßgeblichen Zeitpunkt den Gefahrübergang nach §§ 446, 447.
Bild 13: Der Anspruch des Käufers auf Nacherfüllung