4. Klimaklagen
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Angesichts dieser im Großen und Ganzen doch recht zahnlosen Regelungen war es ein Paukenschlag, als im Mai 2021 das Bezirksgericht Den Haag den Ölmulti Shell auf eine Klage von Umweltverbänden dazu verurteilte, seine CO2-Emissionen bis zum Jahr 2030 um 45 % verglichen mit dem Niveau von 2019 zu senken.[59] Shell sei als Verursacher mit verantwortlich für die Erderwärmung und die gefährlichen Folgen für die niederländische Bevölkerung, die Bewohner des Wattenmeergebiets und die Rechte der Menschen in den Niederlanden und müsse daher die Vorgaben des Pariser Abkommens umsetzen. Shell sei dabei nicht nur die eigenen CO2-Emissionen, sondern auch für die Emissionen seiner Kunden – der Fluggesellschaften, der Autofahrer an den Tankstellen und der Hausbesitzer, die mit Öl und Gas heizen und seiner Zulieferer verantwortlich. Das Urteil ist zwar noch nicht rechtskräftig, dürfte aber den Druck auf klimaschädliche Tätigkeiten von Konzernen weiter erhöhen. Ob ein solches Urteil auch in Deutschland möglich wäre, ist indes fraglich, weil die Regelungen zum Verbandsklagerecht in den Niederlanden deutlich weiter gefasst sind als in Deutschland. Ausgeschlossen ist es aber dennoch nicht, da die Entscheidung nicht auf das einfache Klimaschutz-Fachrecht, sondern direkt auf das Pariser Abkommen und die Europäische Menschenrechtskonvention gestützt wurde.
I. Problemaufriss
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Wie eben gezeigt sind die multilateralen Bemühungen zur Rettung des Weltklimas bei weitem nicht ausreichend. Viele Staaten oder Weltregionen setzen sich daher selbst unabhängig von der Bereitschaft anderer Staaten mitzugehen, eigene ambitionierte Ziele. Solche unilateralen Klimaschutzmaßnahmen, die nicht global in multilateralen Verträgen geschehen, sondern nur von einzelnen Staaten und Staatengemeinschaften wie z.B. der EU ausgehen, können daher einerseits eine wichtige Vorreiterrolle und Anstoßfunktion für den Rest der Weltgemeinschaft sein. Andererseits besteht aber immer die Gefahr der Beeinträchtigung der Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie, denn effektive Maßnahmen zur Senkung des CO2 Ausstoßes wie z.B. eine hohe CO2-Steuer oder Emissionszertifikate i.H.v. 100 € pro Tonne CO2 stellen eine erhebliche Kostenbelastung insbesondere für die energieintensive Industrie wie z.B. Stahlerzeugung, Kupfererzeugung, Aluminium-, Glas- oder Zementindustrie dar. Denn Konkurrenten aus Weltregionen mit geringeren oder gar keinen klimapolitischen Ambitionen können dadurch ihre Waren deutlich günstiger anbieten. Hinzu kommt das Problem des Carbon Leakage[60]: Es besteht die Gefahr, dass die heimische Industrie in die klimapolitisch weniger ambitionierten Staaten oder Weltregionen abwandert und dort wenig bis gar nicht mit kostspieligen Auflagen zum Klimaschutz belastet wird. Im Endeffekt kann dies zu einer (Über-)kompensation von CO2-Einsparungen durch erhöhte Emissionen im Ausland führen und damit die unilateralen Klimaschutzmaßnahmen im eigenen Land konterkarieren.[61] Es stellt sich also die Frage, wie unilaterale Klimaschutzmaßnahmen so ausgestaltet werden können, dass weder die Wettbewerbsfähigkeit der heimischen Industrie leidet noch es zu Carbon Leakage Effekten kommt.[62] Hierzu hat das Europäische Parlament im März 2021 einen Vorschlag gemacht, der eine CO2-Abgabe auf Importe von Ländern vorsieht, wenn diese Länder bei der Produktion dieser Güter keinen ausreichenden Klimaschutzstandards einhalten.[63]
1. Klimaschutz und Welthandelsrecht
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Da unilaterale Klimaschutzmaßnahmen im Widerspruch zu den Prinzipien des Freihandels stehen können, etwa indem „grüne Zölle“ auf klimaschädliche oder klimaschädlich produzierte Ware erhoben werden, muss ihre Zulässigkeit am Maßstab des Welthandelsrecht gemessen werden. Beschränkt nämlich ein Staat den Import von Gütern aus Klimaschutzgründen, kann dieser gegen seine völkerrechtlichen Pflichten aus Handelsabkommen verstoßen.[64] Darüber hinaus können Handelsbeschränkungen je nach wirtschaftlichen Abhängigkeiten auch ein empfindliches und wirksames Mittel sein, auf den Produktionsstaat einzuwirken und so die Souveränität dieser Staaten beschränken. Betroffene Staaten befürchten zudem, dass Umweltschutz lediglich als Vorwand für Protektionismus dienen könnte.[65]
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Die wichtigsten Regeln des internationalen Wirtschaftsrechts sind seit 1995 unter dem Dach der WTO zusammengeführt. Es umfasst das grundlegende General Agreement on Tariffs and Trade (GATT) von 1947 aber auch zahlreiche weitere Abkommen wie z.B. das sogleich darzustellende TBT Abkommen.[66] All diese Regeln zielen auf die Liberalisierung internationaler wirtschaftlicher Transaktionen und sind daher in gewisser Weises der „natürliche Feind“ unilateraler Klimaschutzmaßnahmen.
2. TBT-Abkommen
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Unilaterale Klimaschutzmaßnahmen sind auf zweierlei Art möglich. Zum einen wäre es denkbar, klimaschädlich produzierte Produkte durch technische Produktstandards vom Heimatmarkt fernzuhalten.[67] In Frage kämen hier klimaschutzbezogene Produktbezeichnungen wie z.B. der Carbon Footprint des Produkts oder Energieeffizienzvorgaben.[68] Solche Maßnahmen müssten sich am sog. TBT-Abkommen messen lassen.[69] Allerdings dürften sich solche Maßnahmen schon deshalb als schwierig erweisen, weil sie voraussetzen, dass im Herkunftsland der Carbon Footprint überhaupt ermittelt wird, was bei einem Land ohne Klimaschutzambitionen kaum zu erwarten ist. Außerdem ist die genaue Ermittlung eines Carbon Footprints in der heutigen Welt internationaler Wertschöpfungsketten schon für sich genommen sehr teuer und komplex.[70] Aus diesen Gründen und aufgrund der ökonomischen Erkenntnis, dass das marktwirtschaftliche Mittel einer CO2-Bepreisung (sei es in Form einer CO2-Steuer, sei es in Form eines Emissionshandelssystems) Klimaschutz mit deutlich geringeren volkswirtschaftlichen Kosten erreichen kann, spielen technische Standards bei unilateralen Klimaschutzmaßnahmen derzeit noch eine eher untergeordnete Rolle.
a) GATT-Vorgaben für unilaterale Klimaschutzmaßnahmen
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Damit scheidet das als lex specialis anzusehende TBT-Abkommen aus mit der Folge, dass die allgemeinen GATT-Regeln der WTO anzuwenden sind. Für diese Prüfung wird die Einführung einer einheitlichen CO2-Steuer in der EU mit flankierenden grünen Zöllen zum Schutz der Wettbewerbsfähigkeit der EU und zur Vermeidung von Carbon Leakage angenommen.[71] Solche grünen Zölle sind an WTO-Vorgaben zu messen. Zum So müssen sie zunächst die Inländergleichbehandlung nach Art. III:2 GATT sicherstellen. Ist dies nicht der Fall, kommt nur noch eine Rechtfertigung auf Basis der allgemeinen Ausnahmen nach Art. XX GATT in Frage. Dabei ist zu beachten, dass seit der Shrimp/Turtle-Entscheidung des Appellate Body vom 22.10.2001[72] Art. XX GATT deutlich umweltfreundlicher ausgelegt wird als bisher. Dies gilt insbesondere für die hier interessierende Frage, ob und inwieweit unilaterale Maßnahmen nicht nur zum Schutz der eigenen Umwelt möglich sind, sondern auch auf die Produktionsmethoden anderer Staaten eingewirkt werden kann: Bei der Frage des Schutzes der Erdatmosphäre, die ja gerade ein „common