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Eine weitere Sperre ist Art. 194 Abs. 2 UAbs. 2 AEUV, wonach die ergriffenen Maßnahmen keine zwingend vorzunehmende Modifikation des Energiemix der Mitgliedstaaten nach sich ziehen dürfen. Denn dann würde der Energiemix der Mitgliedstaaten nicht mehr nur „berührt“, sondern in seinem Kern betroffen.[33] Kurzum kann die EU auf Basis des Art. 194 AEUV den Mitgliedstaaten nicht vorschreiben, mit welchen Energieträgern (Atomkraft, Kohle, Erdöl, Gas, erneuerbare Energien etc.) diese ihre Energieversorgung sicherstellen.[34] Regulatorische Maßnahmen, die z.B. verpflichtend einen bestimmten Prozentsatz des Anteils erneuerbarer Energie am Energiemix der Mitgliedstaaten vorsehen, oder die Verwendung bestimmter Techniken (etwa in Bezug auf die Energieeffizienz) vorschreiben, sind daher auf Basis dieses Kompetenztitels ausgeschlossen. Aus diesen Gründen sah z.B. der Europäische Rat davon ab, bei der Novellierung der Erneuerbare-Energien-Richtlinie (EE-Richtlinie) durch die RL 2018/2001/EG den Mitgliedstaaten bestimmte Quoten für erneuerbare Energien vorzuschreiben.[35] Solche Quoten könnten möglicherweise aber auf andere Kompetenztitel gestützt werden.[36]
3. Rechtsetzungsverfahren
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Auch hier gibt es zwei Arten von Rechtssetzungsverfahren. Die Regel sind nach Art. 194 Abs. 2 AEUV Mehrheitsentscheidungen im ordentlichen Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289 Abs. 1 i.V.m. Art. 294 AEUV durch das Europäische Parlament und den Rat nach Anhörung des Wirtschafts- und Sozialausschusses und des Ausschusses der Regionen. Abweichend von der grundsätzlichen Verfahrensvorschrift des Abs. 2 gibt Abs. 3 eine alleinige Entscheidungskompetenz des Rates vor für den Fall, dass die zu ergreifenden energiepolitischen Maßnahmen überwiegend steuerlicher Art sind. Dabei hat der Rat nach Art. 289 Abs. 2, 3 AEUV einstimmig im besonderen Gesetzgebungsverfahren und nach Anhörung des Europäischen Parlaments zu entscheiden. Auch dies würde z.B. für die Einführung einer CO2-Steuer aus Gründen der Energiepolitik gelten.[37]
1. Binnenmarktbezug
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Art. 114 Abs. 1 AEUV ist die Rechtsgrundlage zum Erlass binnenmarktrelevanter Maßnahmen. Der Begriff des Binnenmarkts[38] ist in Art. 26 AEUV definiert und umfasst einen Raum ohne Binnengrenzen, in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gemäß den Bestimmungen der Verträge gewährleistet ist. Darüber hinaus dienen Maßnahmen der Rechtsangleichung im Binnenmarkt nach ständiger Rechtsprechung aber auch dem Abbau von Wettbewerbsverzerrungen.[39] Möglich sind daher sowohl Rechtsakte, die die Verwirklichung der Marktfreiheit bezwecken und beinhalten, als auch solche, die sich auf die Marktgleichheit beziehen.
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Damit ist hier eine sehr weitgehende Tätigkeit des Unionsgesetzgebers möglich, die nicht nur den Erlass allgemeiner Rechtsangleichungsmaßnahmen, sondern auch von Einzelmaßnahmen erlaubt, soweit diese zur Verwirklichung des Binnenmarktes notwendig sind und allgemeine Maßnahmen daher nicht ausreichen.[40]
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Außerdem fordert die Formulierung „Angleichung nationaler Regelungen“ nicht zwingend, dass derartige Vorschriften bereits – zumindest in gewissen Mitgliedstaaten – bestehen. Vielmehr kann Art. 114 Abs. 1 AEUV auch dann herangezogen werden, wenn die geplante Maßnahme einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorbeugen soll, wobei das Entstehen von Hindernissen für den Binnenmarkt aber wahrscheinlich sein und die geplante Maßnahme ihre Vermeidung bezwecken muss.[41]
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Schließlich kann die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarktes auch dann betroffen sein, wenn es nicht um materielles Recht, sondern um institutionelle Aspekte geht[42]. Denkbar wären also auch neue EU Institutionen, die z.B. im Rahmen des Elektrizitätsbinnenmarkts Überwachungsaufgaben wahrnehmen.
2. Klimaschutz und Binnenmarkt
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Zwar muss primäres Ziel immer die Gewährleistung des Binnenmarkts in Form des freien Verkehrs und des Abbaus von Wettbewerbsverzerrungen sein. Wie sich aber bereits aus Art. 114 Abs. 3 AEUV ergibt, wonach von einem hohen Schutzniveau für die Umwelt auszugehen ist, können darauf gestützte Maßnahmen durchaus auch Umweltschutz- und damit auch Klimaschutzaspekte haben, etwa z.B. dann, wenn in den Mitgliedstaaten unterschiedliche klimaschutzmotivierte technische Standards existieren und so Wettbewerbsverzerrungen drohen. Ein Beispiel dafür ist die Ökodesign-Richtlinie 2009/125/EG, bei der es um klimaschutz-motivierte Festlegung von Anforderungen an energieverbrauchsrelevante Produkte geht.[43] Weitere Beispiele sind die klimaschutz-motivierte Rechtsangleichung für die Energieverbrauchskennzeichnung auf Produkten durch die VO 2017/1369/EU[44] oder die Regelungen zur CO2-Emissionsreduktion bei Kraftfahrzeugen der VO 2019/631[45].
3. Rechtssetzungsverfahren
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Im Gegensatz zu den ersten beiden Kompetenzen, bei denen in bestimmten Fällen Einstimmigkeit erforderlich ist, kann bei der Rechtsangleichung immer mit Mehrheitsentscheidungen gearbeitet werden, denn es wird in Art. 114 Abs. 1 AEUV durchgehend das ordentliche Gesetzgebungsverfahren nach Art. 289, 294 AEUV für anwendbar erklärt. Das heißt, es wird mit qualifizierter Mehrheit entschieden, wobei die Kommission umfangreichere Harmonisierungsvorhaben regelmäßig durch die Vorlage von Grün- oder Weißbüchern einleitet.[46]
1. Harmonisierung der indirekten Steuern
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Von besonderer Bedeutung für die europäische Klimaschutzpolitik ist schließlich die auf Basis des Art. 113 AEUV mögliche Harmonisierung der indirekten Steuern und damit auch der Verbrauchssteuern. Denn damit erlangt die EU eine direkte Regelungskompetenz für Ökosteuern in Form von Klimaschutzsteuern wie Energiesteuer und Stromsteuer. Solche Maßnahmen kann aber der Rat nur einstimmig nach Anhörung des Europäischen Parlaments und des Wirtschafts- und Sozialausschusses erlassen. Auf dieser Basis wurde denn auch die Energiesteuerrichtlinie 2003/96/EG erlassen.[47] Die Vorgaben dieser Richtlinie sind strikt zu einzuhalten, wenn – wie derzeit diskutiert – eine nationale CO2-Steuer in welcher Form auch immer eingeführt werden soll.[48]
2. Einführung einer CO2-Steuer auf Unionsebene
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Umgekehrt entscheidet sich aber auch an Art. 113 AEUV die Frage, ob der EU die Kompetenz zur Einführung einer eigenen EU-weit geltenden CO2-Steuer zusteht. Bisher scheiterte die Einführung einer solchen Steuer schon an der nicht erreichten Einstimmigkeit,[49] vor allem, weil die Mitgliedstaaten keine fiskalischen Hoheitsrechte an die EU abgeben wollten. Es ist aber schon fraglich, ob Art. 113 AEUV überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Einführung einer solchen Steuer auf Ressourcenverbrauch sein kann. Denn es handelt sich hier nicht um eine Verbrauchssteuer wie die Energie- und Stromsteuer, bei denen Steuergegenstand der Verbrauch eines Gutes durch Letztverbraucher ist. Die CO2-Emissionen werden gerade nicht verbraucht, sondern in die Atmosphäre geblasen. Eine solche Steuer könnte daher ähnlich wie die deutsche Kernbrennstoffsteuer[50] schon am fehlenden Steuererfindungsrecht