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Wie bereits für den stationären Bereich hervorgehoben, ist die postoperative Phase auch bei ambulanten Operationen besonders haftungsträchtig, so dass hier strenge Sicherheitsanforderungen bestehen.[137]
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(b) Es genügt deshalb nicht, dass ein kleines Kind nach dem Eingriff (Ohrkorrektur) ohne Pulsoxymeter und EKG nur vom Vater überwacht wird. Merkt dieser zu spät, dass mit dem Kind „etwas nicht stimmt“, und erleidet dieses dadurch einen Herzstillstand mit der Folge eines apallischen Syndroms, tragen die beiden für die Narkose und die Organisation zuständigen Anästhesisten die Verantwortung.[138]
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(c) Ebensowenig entspricht es dem postoperativen anästhesiologischen Überwachungsstandard, wenn der noch nicht völlig ansprechbare Patient nach einer arthroskopischen Knieoperation mit Kreuzbandersatzplastik und dabei erfolgter Opioidapplikation ohne EKG und Pulsoxymeter im Aufwachraum von einer Auszubildenden im Hinblick auf Puls und Blutdruck kontrolliert wird, der Anästhesist den Patienten lediglich mittels Blickkontakt „im Auge“ behält und gelegentlich nach ihm schaut. Tritt unter diesen Umständen ein zu spät bemerkter respiratorischer Atemstillstand ein, der zu einer schweren Hirnschädigung führt, so liegt eine fahrlässige Körperverletzung vor, die das LG Stuttgart mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen ahndete.[139]
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(d) Das forensische Risiko ambulanter Eingriffsdurchführung zeigt anschaulich folgender Fall, zu dem zunächst in I. Instanz eine Verurteilung der beiden Angeklagten durch das AG Limburg a. d. Lahn (Schöffengericht)[140] und auf Berufungen der Angeklagten in II. Instanz durch das LG Limburg a. d. Lahn[141] eine Verfahrenseinstellung gemäß § 153a Abs. 2 StPO – mithin ohne Schuldfeststellung – erfolgten:
• | Der Anklagevorwurf bezog sich auf die Zahnbehandlung bei einem 10-jährigen Mädchen in der Praxis eines Zahnarztes/Oralchirurgen unter Beteiligung eines Anästhesisten zur Durchführung einer Vollnarkose. Nach Abschluss der Zahnbehandlung und Ausleitung der Narkose sei die kleine Patientin in einen Aufwachraum verlegt worden, wobei es sich um einen gewöhnlichen Zahnarztbehandlungsraum ohne apparative Vorrichtungen zur Überwachung von Patienten in der postoperativen Phase gehandelt haben soll. Dort habe die schlafende Patientin lediglich der kontinuierlichen Obhut ihrer Mutter unterlegen, wobei im weiteren Verlauf nur sporadische Nachfragen durch Zahnarzthelferinnen ohne fachliche Ausbildung zur Überwachung narkotisierter Patienten zum jeweils aktuellen Zustandsbild erfolgt seien. Während dessen seien der Zahnarzt und der Anästhesist durch die Behandlung eines anderen Patienten in Anspruch genommen gewesen. Nach gewisser Zeit sei die Atmung des Kindes unregelmäßig geworden und habe dann ganz ausgesetzt, was zu Reanimationsmaßnahmen führte. Anschließend erfolgte die Verlegung des Kindes in ein örtliches Krankenhaus sowie noch am gleichen Tage in eine anderweitige Kinderklinik. Dort sei sieben Tage später der Tod des Kindes wegen eines hypoxischen Hirnödems als Folge eines Herzkreislaufversagens eingetreten. Die Staatsanwaltschaft postulierte in der Anklageschrift, aufgrund eines möglichen schnellen Eingreifens habe bei dem Kind ein Herzkreislaufversagen und in der Folge der Eintritt eines hypoxischen Hirnödems mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verhindert werden können, wenn es postoperativ durch Apparate und Fachpersonal adäquat überwacht worden wäre. Dabei habe die ordnungsgemäße postoperative Überwachung des Kindes grundsätzlich dem Verantwortungsbereich des beteiligten Anästhesisten unterlegen, allerdings habe auch der Zahnarzt als Betreiber der Praxis sorgfaltswidrig gehandelt. Für seine Person gelte der Vertrauensgrundsatz nicht unbegrenzt. Vielmehr sei ein Einschreiten geboten, wenn der fachbereichsfremde Arzt (hier: Zahnarzt) Fehlleistungen des weiteren Arztes (hier: Anästhesist) erkennt oder diese wegen Evidenz hätte erkennen können. Darüber hinaus habe der Zahnarzt erhöhten eigenen Sorgfaltspflichten unterlegen, da er auf seiner Homepage auch hinsichtlich einer anästhesiologisch adäquaten Behandlung seiner Patienten geworben habe. |
• | Nach 8-tägiger Hauptverhandlung verurteilte das AG Limburg a.d. Lahn den Anästhesisten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten und den Zahnarzt zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und drei Monaten, wobei die festgesetzten Freiheitsstrafen zur Bewährung ausgesetzt wurden. Eine umfängliche Mitteilung des – nicht in Rechtskraft erwachsenen! – Urteils erfolgte unter der Überschrift „Organisationsverantwortung von Praxisinhabern“[142], welche wohl im Kontext der so bezeichneten Problematik von „Tätern hinter den Tätern“ in Gesundheitseinrichtungen[143] gesehen werden sollte. |
Das LG Limburg a. d. Lahn konstatierte in II. Instanz in seinem o. a. Beschluss zur Verfahrenseinstellung gem. § 153a Abs. 2 StPO allerdings unter anderem Folgendes:
„Die umfangreich durchgeführte Berufungshauptverhandlung hat zu neuen und ergänzenden Erkenntnissen zur Komplexität des zu beurteilenden Verfahrensgegenstandes geführt. Die Sachkunde der Kammer wurde gegenüber der erstinstanzlichen Bewertung durch die Vernehmung weiterer 4 Sachverständiger u.a. auf den Gebieten der Kardiologie und Oralchirurgie erheblich und zielführend erweitert.
Ergänzende Zeugenvernehmungen führten zudem zu neuen Erkenntnissen, die bei der Verurteilung der Angeklagten in erster Instanz nicht berücksichtigt werden konnten.
Ob deshalb der Tod des Kindes […] auf