Hinsichtlich des Behandlungsagierens des Anästhesisten wird in diesem Beschluss in Relation zum Agieren des Zahnarztes festgestellt, „naheliegender“ komme
„eher eine fehlerhafte medizinische Beurteilung zur Verlegungsfähigkeit des Kindes in den Ruheraum durch den (angeklagten Anästhesisten) in Frage, mithin eine einmalige Fehleinschätzung“.
Diese eventuell „einmalige Fehleinschätzung“ betraf den Aspekt, ob das Kind angesichts seines konkreten postnarkotischen Zustands „bereits“ in einen „Ruheraum“ (nicht: „Aufwachraum“, siehe oben) verlegt werden durfte.
Neben den „erheblichsten Bedenken“ hinsichtlich einer Strafbarkeit des Zahnarztes und der Annahme einer allenfalls „naheliegend eher“ in Rede stehenden einmaligen Fehleinschätzung des Anästhesisten waren für die Kammer für eine Verfahrenseinstellung gem. § 153a Abs. 2 StPO – mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft und der beiden Angeklagten – ein „(komplexer Ursachenzusammenhang) zwischen möglichem ärztlichen Fehlverhalten und dem Tod des Kindes“ maßgeblich. So war von den Sachverständigen in der II. (Tatsachen-)Instanz weitergehend problematisiert worden,
• | dass das Kind unter einem Williams-Beuren-Syndrom litt, was eventuell Bedeutung für das Eintreten und die Beherrschbarkeit der postoperativen Komplikation hatte, und |
• | wie sich die weitere Behandlung des Kindes bis zu seinem Tod in der Kinderklinik gestaltet hat. |
252
(e) Medizinisch und rechtlich risikoträchtig ist auch die Analgosedierung für diagnostische und therapeutische Maßnahmen, wozu es der Einhaltung struktur- und prozessqualitativer Mindestanforderungen bedarf.[145]
So führte in einem vom AG München entschiedenen Fall[146] ein niedergelassener Frauenarzt in seiner Praxis ambulant eine Gebärmutterausschabung unter „Sedierung ohne zweiten Arzt“[147] bei Einsatz des Medikaments Propofol durch. Nach Beendigung des Eingriffs bemerkte der Angeklagte, dass sich bei der Patientin aufgrund der Sedierung zwischenzeitlich ein Atemstillstand realisiert hatte, was zur Asystolie mit hypoxisch-hypoxämischer Schädigung des Gehirns und schließlichem Tod der Patientin führte. Das AG verurteilte den Gynäkologen zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und acht Monaten (ohne Aussetzung der Vollstreckung), da er diese Behandlung ohne gehörige apparative Ausstattung (insbesondere: mangelnder Einsatz einer Pulsoxymetrie) und ohne Anwesenheit eines zweiten Arztes bzw. eines Anästhesisten zur Überwachung der Atmung der Patientin – auch bei fehlender Möglichkeit des kurzfristigen Hinzutretens eines Anästhesisten – nicht hätte durchführen dürfen.
Auf entsprechend begrenzte Berufung des Angeklagten wegen der Nicht-Aussetzung der Vollstreckung der Freiheitsstrafe zur Bewährung durch das Amtsgericht wurde diese vom LG München I unter Annahme einer Reihe besonderer (insbesondere persönlicher) Umstände im Sinne des § 56 Abs. 2 StGB gewährt.[148]
253
(f) Ein weiteres Beispiel bietet das – zivilrechtliche – Urteil des BGH zur Überwachung sedierter Patienten.
Der Chefarzt hatte seinen Patienten, bei dem eine Magenspiegelung durchgeführt werden sollte, vor der Sedierung über die Risiken des invasiven Eingriffs aufgeklärt und belehrt, dass er nach dem Eingriff kein Kraftfahrzeug führen dürfe. Eine entsprechende Belehrung hatte der Patient bereits durch seinen Hausarzt erhalten. Da am Untersuchungstag das Kind des Patienten erkrankt und seine Frau daher nicht abkömmlich war, kam er mit dem eigenen Wagen, sagte dem Arzt aber, er werde mit dem Taxi nach Hause fahren.
Der große und schwergewichtige Patient erhielt zur Sedierung 20 mg Buscopan und 30 mg Dormicum. Nach der gegen 8.30 Uhr vorgenommenen Untersuchung verblieb der Patient zunächst eine halbe Stunde im Untersuchungszimmer unter Aufsicht, danach hielt er sich auf dem Flur vor den Dienst- und Behandlungsräumen des Chefarztes auf, der wiederholt Blick- und Gesprächskontakt zu ihm hatte. Ohne vorher entlassen worden zu sein, entfernte er sich kurz vor 11.00 Uhr und fuhr mit seinem Pkw weg. Dabei geriet er nur wenig später aus ungeklärter Ursache auf die Gegenfahrbahn und stieß mit einem Lastzug zusammen. Bei dem Unfall erlitt er tödliche Verletzungen.
Der BGH stellte – im Gegensatz zu den beiden Vorinstanzen – fest:
„Jedenfalls die tatsächlich erfolgte Unterbringung auf dem Flur ohne die Möglichkeit einer ständigen Beobachtung reichte nicht aus, um den Patienten daran zu hindern, sich ggf. unbemerkt zu entfernen und die Gefahr eines selbst gefährdenden Verhaltens auszuschließen“. Die dem Chefarzt obliegende Garanten- und „Fürsorgepflicht hätte es erfordert, den Patienten in einem Raum unterzubringen, in dem er unter ständiger Überwachung stand und ggf. daran erinnert werden konnte, dass er das Krankenhaus nicht eigenmächtig verlassen durfte. In Betracht kam insoweit ein Vorzimmer oder ein besonderes Wartezimmer“. [149]
(3) Fallgruppen 2-4: Zusammenarbeit zwischen Facharzt für Allgemeinmedizin und anderen Fachärzten, niedergelassenem Arzt und Krankenhausarzt sowie bei Hinzuziehung eines Konsiliarius
254
Der Vertrauensgrundsatz als tragendes haftungseinschränkendes Kriterium gilt auch in den übrigen Fällen horizontaler Arbeitsteilung:
255-
266
1. |
Der Allgemeinmediziner/Hausarzt, der „seinen“ Patienten z.B. zum Internisten oder Röntgenologen schickt, damit dieser das unklare Krankheitsbild abklärt, darf auf die von diesen Fachärzten erhobenen Befunde bei der Weiterbehandlung des Kranken grundsätzlich – nach Maßgabe des Überweisungsauftrags[150] – ebenso vertrauen[151] wie die Krankenhausärzte etwa auf die Befunde des niedergelassenen Arztes, allerdings nur, wenn sie relativ kurz vor der Operation oder sonstigen ärztlichen Maßnahmen erhoben wurden. Denn die Befunde können sich „mit dem Gesundheits- oder Krankheitszustand ändern“.[152] Dabei gilt der Grundsatz, „dass der jeweils behandelnde Arzt die Verantwortung trägt“, sie also „auf ihn übergeht, wenn er einen Patienten übernimmt“.[153] Der hinzugezogene Arzt „haftet für Fehlleistungen in seinem Fachgebiet eigenständig“.[154] So träfe z.B. den Facharzt für Laboratoriumsmedizin, der bei der Untersuchung einer ihm vom Gynäkologen zugeleiteten Blutprobe einer schwangeren Frau zu falschen Werten gelangt (hier: Rhesus-Faktor „positiv“), die alleinige strafrechtliche Verantwortung, wenn der Fehler ihm in seiner Praxis unterlaufen ist.[155] Deshalb ist er nicht verpflichtet, „sich an diagnostische Ansichten und therapeutische Anweisungen des vorbehandelnden Arztes zu halten“, umgekehrt aber „berechtigt“, ihnen zu folgen, solange nicht „Bedenken gegen die Untersuchungsmethode oder die Qualität der Untersuchungsinstitution bestehen“ bzw. eine offenkundige Fehldiagnose oder ein offensichtlich fehlerhafter Therapievorschlag vorliegen. Lassen sich „die übernommenen Befunde mit dem bestehenden Krankheitsbild nicht in Übereinstimmung bringen oder weichen sie von anderen Befunden auffallend ab, so sind sie nicht verlässlich“[156], das heißt, sie können keine Vertrauensgrundlage sein und müssen deshalb im Interesse des Patienten wiederholt bzw. überprüft werden.
Im Falle der Überweisung des Patienten zur weitergehenden Befunderhebung bestimmen sich die Behandlungspflichten – und umgekehrt der Umfang des Vertrauensgrundsatzes im Wechselspiel von Überweisendem und Überweisungsempfänger – nach Maßgabe des „in der Überweisung genannten Auftrag(s). Der Überweisungsempfänger ist an den Inhalt der Überweisung gebunden. Er darf ohne Einwilligung des überweisenden Arztes eigenmächtig gar keine weitergehenden Untersuchungen durchführen, weil er damit in die Behandlung des vom Patienten gewählten Arztes eingreifen würde (… mit weiteren Rechtsprechungsnachweisen …). Deshalb
|