Weder während noch nach der Operation erhielt der Patient Cortisol-Präparate, so dass sich die Frage stellte, welchem der Ärzte, den Operateuren (HNO-Ärzten) oder der Anästhesistin, dieser Behandlungsfehler zuzurechnen war.
Das OLG hatte alle drei Ärzte sowie den Krankenhausträger zu Schadensersatz verurteilt. Der BGH hingegen hob das Urteil gegen die HNO-Ärzte auf und verwies die Sache an das OLG zur weiteren Sachaufklärung und Entscheidung zurück. Im Übrigen beließ er es bei der Verurteilung der Anästhesistin und des Krankenhausträgers.
In den Urteilsgründen heißt es zur Abgrenzung der Verantwortung von Operateur und Anästhesist in der prä-, intra- und postoperativen Phase:
• | „Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, ist in der präoperativen Phase der Anästhesist für die Vorbereitung der Narkose zuständig. Seine Sache ist es, das geeignete Betäubungsmittel auszuwählen und den Patienten durch sorgfältige Prämedikation hierauf einzustellen. Dazu gehört auch, dem Patienten diejenigen Medikamente zu verabreichen, die ihm aufgrund seines Gesundheitszustands schon zu diesem Zeitpunkt zur Aufrechterhaltung seiner vitalen Funktionen in der Narkose gegeben werden müssen. Präoperativ waren deshalb […] allein die Anästhesistin und nicht die (HNO-Ärzte) für die Substituierung der fehlenden NNB-Hormone bei dem Patienten verantwortlich“. |
• | „In der intraoperativen Phase, also während der Dauer des chirurgischen Eingriffs selbst, waren sowohl die Operateure als auch die […] Anästhesistin mit der Behandlung […] befasst. Auch für diesen Zeitraum gilt der […] Grundsatz der horizontalen Arbeitsteilung, und zwar dahin, dass der Chirurg für den operativen Eingriff mit den sich daraus ergebenden Risiken, der Anästhesist für die Narkose einschließlich der Überwachung und Aufrechterhaltung der vitalen Funktionen des Patienten zuständig ist“ […] Die HNO-Ärzte durften „mangels gegenteiliger Umstände vor Beginn des operativen Eingriffs von einer sorgfältigen Prämedikation“ des Patienten „einschließlich der erforderlichen Substituierung der fehlenden NNR-Hormone durch ausreichend dosierte Cortisolgaben seitens der Anästhesistin ausgehen. Das entspricht dem dargelegten Grundsatz der Arbeitsteilung […] Auch die längere Dauer des Eingriffs und der relativ hohe Blutverlust des Patienten führen hier zu keiner anderen Betrachtung […]“ |
• | Ob bei der postoperativen Behandlung des Patienten den HNO-Ärzten ein Fehlverhalten zur Last gelegt werden kann, entschied der BGH nicht. Zwar ist die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Narkoseärzten und Operateuren regelmäßig so gestaltet, „dass der Patient dann, wenn er nach der Operation auf die normale Krankenstation zurückgelangt, von dem Anästhesisten wieder in die Obhut der jeweiligen Operationsärzte entlassen wird“. Die Rücknahme des Patienten auf die Krankenstation bedeutet jedoch „nicht ohne weiteres, dass nunmehr stets der dortige Stationsarzt sofort wieder für die Medikation zuständig wird. Vielmehr wird in der Regel vom Anästhesisten angeordnet, welche Medikamente der Patient im Anschluss an die Operation erhalten soll“. |
Der Verantwortungsbereich der Anästhesistin in der postoperativen Phase scheint uns hier nicht richtig bestimmt. Denn ob der Anästhesist auf der HNO-Station „Anordnungen“ treffen darf, ist fraglich, und außerdem lag der Notfallausweis des Patienten auf der Station vor, so dass dessen Krankheit den dort tätigen Ärzten und dem Pflegepersonal bekannt war.[96]
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(d) Die vorstehenden Beispiele zeigen, dass gerade die unmittelbare postoperative und speziell postanästhesiologische Phase besonders haftungsträchtig sind. Auch alle bislang durchgeführten Untersuchungen haben übereinstimmend ergeben, dass in diesem kritischen Zeitraum ein erhöhtes Zwischenfallrisiko mit schwerwiegenden gesundheitlichen, oftmals auch tödlichen Folgen besteht, wenn es nicht rasch entdeckt und sachgemäß bekämpft wird. „Für den chirurgischen Patienten ist zu keiner Zeit seines Klinikaufenthalts die Gefahr einer Hypoxie so groß“ wie in dem unmittelbar postoperativen Stadium, betont auch die Rechtsprechung seit langem.[97] Deshalb muss gegen Überwachungsmängel, unzureichende Betreuung und Kontrolle des Patienten, Nachlässigkeiten des eingesetzten ärztlichen und nichtärztlichen Pflegepersonals, die zu frühe Verlegung vom Aufwachraum oder von der Intensiveinheit auf die Normalstation und gegen Zuständigkeitslücken Vorsorge getroffen werden.[98] Da der Patient in den ersten Stunden nach der Narkose einer kontinuierlichen Überwachung bedarf, muss nicht nur eine speziell unterwiesene Pflegekraft, sondern auch der für die Anästhesie verantwortliche Arzt jederzeit sofort einsatzbereit zur Verfügung stehen.[99] Konkret: Der Anästhesist bleibt auch nach der Extubation des Patienten verantwortlich, wenn er die Weiterbehandlung (infolge einer Atemdepression) übernommen hat oder „solange noch weiter die Gefahr unerwünschter Nachwirkungen der Narkose besteht“.[100] Er muss deshalb „etwa erforderliche ärztliche Kontrollen und die Beobachtung des Patienten vornehmen oder sicherstellen“ und „den in der chirurgischen Abteilung tätigen Arzt informieren“.[101] Keinesfalls darf der Anästhesist im Interesse des regulären Ablaufs des Operationsprogramms den von einer Atemstörung betroffenen Patienten verlassen, vielmehr ist dessen ständige Überwachung durch den erfahrenen und zuständigen Narkosearzt persönlich ein unabdingbares Gebot.[102]
Dies bedeutet, dass sich der Anästhesist u.U. ständig im Aufwachraum aufhalten muss, um notfalls sofort eingreifen zu können.[103] Die Verlegung eines Patienten auf die Krankenstation setzt eine „ausdrückliche ärztliche Anordnung“ voraus und darf nur geschehen, wenn sich der für den Aufwachraum zuständige Anästhesist „durch persönlichen Augenschein vom unbedenklichen Zustand des Patienten überzeugt hat“.[104] Hat ein Krankenhaus keinen Aufwachraum, muss der Patient für zumindest eine Stunde auf der Station eine Sitzwache erhalten, wodurch das Auftreten eines Zwischenfalls zwar nicht oder nicht immer verhindert, aber doch sofort bemerkt und dadurch sofort behandelt werden kann.[105] Ist ein Patient aufgrund seiner Krankengeschichte akut gefährdet und kommt es auf das rechtzeitige Erkennen von Symptomen an, müssen die Personen, die ihn überwachen, die dazu erforderliche fachliche Qualifikation haben. „Es darf jedenfalls nicht geschehen, dass – noch dazu in einer Universitätsklinik – ein Patient, bei dem mit einem lebensbedrohenden Zustand gerechnet werden muss, in eine Situation gelangt, in der ein solcher Zustand nach der Ausstattung dieser Station nicht (rechtzeitig) erkannt werden kann“.[106]
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(e) Für die ärztliche Praxis bedeuten diese Grundsätze, dass die Aufgaben- bzw. Zuständigkeits- und Verantwortungsbereiche zwischen den leitenden Ärzten im Krankenhaus im Allgemeinen und, soweit erforderlich, im konkreten Fall durch klare Absprachen, und zwar aus Beweisgründen schriftlich, festgelegt werden sollten, damit die jeweiligen Sorgfaltspflichten bestimmbar und für den Einzelnen voraussehbar sind. Das gilt z.B. auch für die Periduralanästhesie unter der Geburt. In der Frage, wer hier wann aufklären sollte, bedarf es einer klaren Regelung.[107] Dies gilt auch für die Aufklärung vor Bluttransfusionen[108]. Dadurch können zum einen unnötige Kompetenzkonflikte, zum anderen aber auch Lücken in der Patientenbetreuung und damit erhebliche Strafbarkeitsrisiken unter dem Gesichtspunkt der fahrlässigen Körperverletzung oder fahrlässigen Tötung vermieden werden.
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Wie wichtig insoweit exakte, allgemeine oder individuelle Abmachungen zwischen den beteiligten Ärzten oder Anordnungen des Krankenhausträgers sind, zeigt eine Entscheidung des LG Gießen[109]. Hier ging es um die Frage, ob der Anästhesist für den Tod eines 5-jährigen Kindes verantwortlich war, das nach einer Mandeloperation auf der Station in erheblichem Umfang nachgeblutet und dabei