Als Delegationsfehler ist systematisch zwischen einem
1. | Auswahlverschulden (Delegation auf einen ungenügend qualifizierten Mitarbeiter), |
2. | Instruktions- bzw. Informationsmängeln und einem |
3. | Überwachungsverschulden (mangelnde Kontrolle der Aufgabenerledigung) |
zu unterscheiden, wobei sich allgemein auch Koordinationsmängel realisieren können.
Dies betrifft die vertikale Arbeitsteilung zum einen innerhalb der ärztlichen Hierarchie und zum anderen zwischen ärztlichem und nichtärztlichem Bereich.
Dabei ist es ein Wesensmerkmal vertikaler Arbeitsteilung, dass der rangniedrigere Mitarbeiter nicht bloß „erfüllungshalber“ beauftragt wird, sondern die ihm übertragene – ursprünglich fremde – Aufgabe infolge der Delegation bzw. Anweisung als eigene zu erfüllen hat, solange der ranghöhere Arzt sie ihm nicht wieder entzieht.[187] Infolgedessen gilt der Vertrauensgrundsatz. Danach darf jeder Beteiligte davon ausgehen, dass sein Partner den ihm obliegenden Aufgabenanteil mit der gebotenen Sorgfalt wahrnimmt und deshalb in seinem Arbeitsbereich für die ihm anvertraute Aufgabe primär selbst haftet. Nur so kann eine angemessene Haftungsrestriktion im Arztrecht erreicht werden. Deren Grenzen sind hier jedoch naturgemäß wesentlich enger gesteckt als bei der kollegialen Zusammenarbeit mehrerer gleichberechtigter Ärzte verschiedener oder gleicher Fachgebiete. „Der nachgeordnete Arzt haftet nur bei einem allein von ihm zu verantwortenden Verhalten, etwa weil ihm eine Behandlung zur selbstständigen Ausführung überlassen oder er durch voreiliges Handeln“ weisungswidrig tätig wird, „pflichtwidrig eine gebotene Remonstration unterlässt oder ihm ein Übernahmeverschulden vorgehalten werden kann“[188]. Da der nachgeordnete ärztliche und pflegerische Dienst in eine hierarchische Struktur eingebunden ist, wird er haftungsrechtlich geschützt und seine Verantwortung im Rahmen dieser Unterordnung eingeschränkt.[189]
(1) Die „Allzuständigkeit“ des Chefarztes
268
Für den Chefarzt einer Abteilung gilt im Ausgangspunkt das „Prinzip der Allzuständigkeit“, das heißt, es gibt im fachlich-sachlichen Bereich nichts, was außerhalb seiner Kompetenz läge und ihn nichts anginge („Chefarztprinzip“). Bei ihm liegt die Endverantwortung für die ordnungsgemäße, d.h. dem „Standard eines erfahrenen Facharztes“[190] entsprechende Behandlung der Patienten. Zur Sicherung dieses Standards hat er nicht nur nach bestem Wissen und Können die erforderlichen ärztlichen Anordnungen zu treffen oder Erledigungen selbst wahrzunehmen und z.B. mindestens einmal wöchentlich bei allen Kranken seiner Abteilung Visite zu machen, sondern durch adäquate organisatorische Vorgaben und Kontrollmaßnahmen für einen geordneten Dienstbetrieb zu sorgen. Betreffend den Abteilungsleiter einer Universitätsklinik formulierte das OVG Nordrhein-Westfalen seine Aufgabenstellung wie folgt:
„Er ist für eine sachgerechte Organisation des Umgangs mit den Patienten verantwortlich. Organisationspflichten bestehen dabei auch hinsichtlich der Verabredung und Überwachung von Patiententerminen sowie bezüglich der Aufklärung der Patienten. Darüber hinaus hat der Leitende Arzt insbesondere für die Überwachung des nachgeordneten Personals zu sorgen, geeignete Kontrollverfahren vorzusehen und bei Auswahl und Einsatz der Mitarbeiter auf deren Qualifikation zu achten. Ihn trifft ferner die Pflicht, die Mitarbeiter über typische Fehler und Gefahren zu belehren und sie anzuleiten“. [191]
Im konkreten Fall ging es um die Sicherstellung der fristgerechten Vornahme einer durch einen Konsiliararzt vorgeschlagenen Kontrolluntersuchung, für die aber organisatorische Vorgaben in Form eines formalisierten Verfahrens bestanden, so dass eine Haftung des beklagten Direktors der Kinderklinik ausschied. Die „am Maßstab höchstmöglicher Patientensicherheit orientierte Organisation der ärztlichen Versorgung stellt eine Kernaufgabe des Chefarztes dar“.[192]
(a) Dienstanweisungen und Kontrolle bezüglich ärztlicher Dokumentation und Patientenaufklärung
269
Der Leiter einer Abteilung muss durch entsprechende Anweisungen und Kontrolle sicherstellen, dass die Eintragungen in die Krankenblätter vollständig, zeitgerecht und sachlich richtig erfolgen. Ihm obliegt es ferner, die nachgeordneten Ärzte über die von der Rechtsprechung entwickelten und seit dem 26.2.2013 gesetzlich verankerten Grundsätze zur Patientenaufklärung (vgl. §§ 630a ff. BGB) zu informieren und deren Einhaltung laufend zu überwachen[193]. Denn die Aufklärungspflicht ist keine rein ärztliche, der Weisungspflicht entzogene Angelegenheit, so dass der Chefarzt für mangelnde Aufsicht und schuldhaft unterlassene Anweisung bezüglich der Patientenaufklärung haftet. Dazu heißt es in einem Urteil des OLG Köln[194]:
„Die bloße Instruktion eines Arztes über die an eine Risikoaufklärung zu stellenden Anforderungen ohne jede Kontrolle, ob und in welchem Umfang diese Pflicht erfüllt wird, entlastet nicht; […] Auch die Kontrolle darüber, ob die Patienten sachgerecht und ausreichend aufgeklärt wurden, konnte der Chefarzt nicht in der Weise zufriedenstellend ausüben, dass er nur in schwierigen Fällen – vor wichtigen Operationen – Patienten darauf hinwies, dass jede Operation ein gewisses Risiko in sich berge, und diese fragte, ob sie die vom Stationsarzt gegebene Aufklärung (welche?) verstanden oder ob sie noch Fragen hätten. Gerade bei unvollständiger Aufklärung bestand die Gefahr, dass die Antworten auf diese Fragen zu einer unzutreffenden Schlussfolgerung führen konnten.“
Es genügt deshalb nicht, dass die (neue) Rechtslage und die neueste Aufklärungsjudikatur den Mitarbeitern im Rahmen der Fortbildung oder einer täglichen Morgenbesprechung zur Kenntnis gebracht werden. Nötig sind insoweit Dienstanweisungen. Darüber hinaus ist (z.B.) die Aushändigung des Gesetzestextes der §§ 630a-h BGB und eine Sammlung der wichtigsten neueren Aufklärungsentscheidungen sinnvoll, damit z.B. auch neu eingestellte Ärzte anhand von Beispielen die Aufklärungsanforderungen der Judikatur nachlesen können. Zudem besteht ohne eine solche Dokumentation die Schwierigkeit des Nachweises der Überwachung und Einhaltung der Aufklärungspflichten durch die nachgeordneten Ärzte.
270
Wie wichtig dies im konkreten Beispiel ist, zeigt folgende Entscheidung des BGH[195]:
Der Chefarzt einer Chirurgischen Klinik hatte bei der Patientin eine Divertikel-Operation am Zwölffingerdarm durchgeführt. Infolge einer Nahtinsuffizienz kam es danach zu einer schweren Bauchfell- und einer eitrigen Bauchspeicheldrüsenentzündung. Da sich ein Behandlungsfehler nicht feststellen ließ, kam es entscheidend darauf an, ob der Stationsarzt (mit Facharztqualifikation) die Patientin ordnungsgemäß über das mit der Operation verbundene Risiko einer Bauchspeicheldrüsenentzündung aufgeklärt hatte, was die Patientin verneinte. Auch hätte sie in Kenntnis eines solchen Risikos in die Operation nicht eingewilligt.
Das OLG Schleswig verneinte eine Haftung des Chefarztes, da ihm ein etwaiger Aufklärungsfehler des bereits 9 Jahre in der Abteilung fehlerfrei arbeitenden Facharztes (!) jedenfalls nicht zuzurechnen sei, doch hob der BGH das Urteil auf. Zwar müsse der Operateur nicht selbst aufklären, doch habe er, zumal als Chefarzt und damit als der für die ordnungsgemäße Organisation der Aufklärung in seiner Abteilung Verantwortliche, durch geeignete Maßnahmen und Kontrolle der Befolgung seiner Anweisungen sicherzustellen, dass der Patient tatsächlich über die Risiken der Operation informiert wurde. An diese Kontrollpflicht seien „strenge Anforderungen“ zu stellen. Dazu gehöre z.B. ein Gespräch mit dem Patienten