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§ 22 will die Gläubiger schützen, deren Forderung durch die Verschmelzung gefährdet ist. Dies setzt die Gläubigereigenschaft bei Wirksamwerden der Verschmelzung voraus, da andernfalls der Anspruch durch die Verschmelzung nicht gefährdet werden könnte. Daraus folgt, dass die Gläubigereigenschaft im Zeitpunkt des Wirksamwerdens der Verschmelzung und damit bei Eintragung der Verschmelzung im Register des übernehmenden Rechtsträgers vorhanden sein muss. Neugläubiger ab Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister des übernehmenden Rechtsträgers sind nach § 15 Abs 1 und Abs 2 HGB bis zur Bekanntmachung der Eintragung geschützt. Gläubiger, denen die Verschmelzung bis zu diesem Zeitpunkt nicht bekannt ist, können somit ebenfalls noch Sicherheitsleistung verlangen. IE bedeutet dies, dass im Grundsatz die Gläubiger, die im Zeitpunkt der Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister Gläubiger des übernehmenden oder eines übertragenden Rechtsträgers sind, sowie Gläubiger, die die Gläubigereigenschaft im Zeitraum zwischen der Eintragung der Verschmelzung im Handelsregister und der Bekanntmachung der Eintragung erlangen und denen die Verschmelzung nicht bekannt ist, Sicherheitsleistung nach § 22 verlangen können (ebenfalls auf den Zeitpunkt der Bekanntmachung als maßgebenden Zeitpunkt abstellend Schulte in Böttcher/Habighorst/Schulte, § 22 Rn 7; Marsch-Barner in Kallmeyer, § 22 Rn 3; Maier-Reimer/Seulen in Semler/Stengel, § 22 Rn 12; für die Eintragung als maßgebenden Zeitpunkt Grunewald in Lutter, § 22 Rn 7; Stratz in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, § 22 Rn 6).
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Weitere Voraussetzung ist, dass der Anspruch bis zu dem vorgenannten Zeitpunkt entweder entstanden oder wenigstens begründet ist. Der Anspruch ist dann begründet, wenn der Rechtsgrund für den Anspruch im maßgebenden Zeitraum gelegt ist (Grunewald in Lutter, § 22 Rn 7; Maier-Reimer/Seulen in Semler/Stengel, § 22 Rn 10). Diese Grundsätze gelten sowohl für auf einmalige Leistung gerichtete Schuldverhältnisse als auch für Dauerschuldverhältnisse. Bei Dauerschuldverhältnissen fallen damit auch die erst künftig entstehenden Ansprüche unter § 22 (Schröer DB 1999, 317). Eine zeitliche Grenze für künftige Ansprüche, deren Rechtsgrund im maßgebenden Zeitraum gelegt ist, gibt es nach dem Wortlaut des § 22 nicht. Damit wäre ein weit in die Zukunft reichendes, uU „endloses“ Sicherheitsverlangen denkbar. Ein solcher umfassender Anspruch begegnet im Hinblick auf den Zweck der Sicherheitsleistung Bedenken. Je weiter die zu sichernden Ansprüche in der Zukunft liegen desto weniger lässt sich eine Sicherheitsleistung mit Risiken aus der Verschmelzung begründen. Die Sicherheitsleistung ist deshalb entsprechend §§ 26, 160 HGB auf die Ansprüche, die innerhalb von fünf Jahren ab Bekanntmachung der Eintragung der Verschmelzung in das Register des betroffenen Rechtsträgers fällig werden, zu begrenzen (BGH DB 2014, 2760 für die Sicherheitsleistung bei Beendigung eines Beherrschungs- oder Gewinnabführungsvertrags – die dort angeführten Gründe sind auch für die Sicherheitsleistung bei Verschmelzung zutreffend; Jäger DB 1996, 1069, 1071; aA die hM, vgl etwa Grunewald in Lutter, § 22 Rn 7, Vossius in Widmann/Mayer, § 22 Rn 20, Marsch-Barner in Kallmayer, § 22 Rn 3 sowie die Vorauflage).
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Sicherungsfähig sind weiter befristete und auflösend bedingte Ansprüche (so auch Knott DB 1996, 2423, 2425). Gleiches gilt für Ansprüche, die noch von einer Gegenleistung oder sonstigen Leistung des Gläubigers abhängen (Grunewald in Lutter, § 22 Rn 8). Die Gläubiger sind auch in diesen Fällen schutzwürdig, da sie andernfalls nur die Möglichkeit hätten, vom Vertrag Abstand zu nehmen. Aufschiebend bedingte Ansprüche fallen ebenfalls unter § 22 (ebenso Grunewald in Lutter, § 22 Rn 7). Bei aufschiebend bedingten Ansprüchen ist der Rechtsgrund für ihre Entstehung bereits gelegt. Der Anspruch auf Sicherheitsleistung entfällt in derartigen Fällen bzw eine etwa gewährte Sicherheit ist zurück zu geben wenn feststeht, dass die aufschiebende Bedingung nicht mehr eintreten kann.
III. Gefährdung des Anspruchs
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Sicherheitsleistung kann nur verlangt werden, wenn die Erfüllung des Anspruchs durch die Verschmelzung gefährdet wird. Die Gefährdung muss ursächlich auf die Verschmelzung zurückgehen.
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Die Gefährdung muss konkret gegeben sein; eine abstrakt theoretische Gefährdungsmöglichkeit reicht nicht aus (BGH DB 2002, 1598, 1599). Die Gefährdung muss also durch die Verschmelzung entstehen oder sich objektiv erhöhen (vgl dazu zB LG AugsburgBeckRS 2011, 18537). Dies ist dann nicht der Fall, wenn die Gefährdungslage bereits vor der Verschmelzung vorhanden war.
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Eine Gefährdung der Forderung liegt für die Gläubiger des übertragenden Rechtsträgers bspw vor, wenn die Liquiditätssituation des übernehmenden Rechtsträgers angespannt ist (und die des übertragenden Rechtsträgers dies nicht war), wenn die wirtschaftliche Situation des übernehmenden Rechtsträgers negativ ist (nicht aber die des übertragenden Rechtsträgers), für die Gläubiger des übernehmenden Rechtsträgers zB dann, wenn die auf den übernehmenden Rechtsträger übergehenden Passiven die übergehenden Aktiven übersteigen und dadurch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des übernehmenden Rechtsträgers beeinträchtigt wird, wenn aufgrund der Verschmelzung die Liquidität des übernehmenden Rechtsträgers beeinträchtigt wird. Die Gefährdung kann dargetan werden durch Vorlage von Kennziffern zB für das Eigenkapital, den cash-flow, das DVFA-Ergebnis und zwar je im Vergleich des betroffenen Rechtsträgers vor Verschmelzung und des fusionierten Unternehmens nach Verschmelzung.
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Folgende weitere Fälle der Gefährdung einer Forderung aufgrund Verschmelzung sind denkbar (vgl zu Gefährdungslagen für Gläubiger bei Verschmelzungen auch bei Kalss ZGR 2009, 74):
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Reduzierung der Eigenkapitalgrundlage. Insoweit kommen verschiedene Fallgestaltungen in Betracht.
Zur Durchführung der Verschmelzung ist nicht zwingend vorgeschrieben, dass das gebundene Kapital des übernehmenden Rechtsträgers um den Betrag des gebundenen Kapitals des übertragenden Rechtsträgers (oder einen darüber hinausgehenden Betrag) erhöht wird (Simon Der Konzern 2004, 191; aA Petersen in Der Konzern 2004, 185 und in GmbHR 2004, 728, der sich für eine zwingende Summierung
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