117
Hinweis
Soweit der Beschwerdeführer sich sowohl durch eine Maßnahme im Rahmen des Ermittlungsverfahrens als auch dessen (mehrfache) Bestätigung im anschließenden gerichtlichen Verfahren belastet sieht, hat er grds. alle Entscheidungen der Kette zum Gegenstand der Verfassungsbeschwerde zu machen. Zudem genügt er auch nur so dem Bezeichnungserfordernis des § 92 BVerfGG.[61]
1. Gegen Entscheidungen welchen Gerichts?
118
Grundsätzlich kann gegen Entscheidungen jedes Gerichts Verfassungsbeschwerde eingelegt werden.
a) Entscheidungen des BVerfG als Beschwerdegegenstand?
119
Die Entscheidungen des BVerfG einschließlich seiner Kammern gehören aber nicht zu den Akten der öffentlichen Gewalt i. S. d. § 90 Abs. 1 BVerfGG. Sie sind also selbst keine tauglichen Angriffsgegenstände. Ihre Überprüfung unter dem Gesichtspunkt einer Grundrechtsverletzung würde, wie das Gericht ausführt, dem Wesen dieser Entscheidungen widersprechen.[62] Allerdings besteht in Fällen groben prozessualen Unrechts die Möglichkeit der Gegenvorstellung.[63]
120
Hinweis
Der Anwalt sollte diesen frist- und formlosen Rechtsbehelf aber schon im Interesse des Schutzes seines Rufs nur dann nutzen, wenn er sicher ist, dass das BVerfG einen entscheidungserheblichen Gesichtspunkt verkannt hat. Das wird bei Nichtannahmebeschlüssen ohne Begründung kaum der Fall sein können, weil die inhaltlichen Erwägungen der Kammer überhaupt nicht vollständig transparent sind. Auch bei Kurzbegründungen (vgl. § 93d Abs. 1 S. 3 BVerfGG) ist der stereotype Schlusssatz, nach dem von einer „weiteren“ Begründung abgesehen wird, kaum eine Einladung zu einer aussichtsreichen inhaltlichen Auseinandersetzung mit der Beschlusssubstanz. Erfolgreiche Gegenvorstellungen gegen BVerfG-Kammerbeschlüsse sind höchst selten. Dem Verfasser ist lediglich eine bekannt.[64]
b) Entscheidungen der Landesverfassungsgerichte
121
Zur öffentlichen Gewalt gehören aber die Verfassungsgerichte der Länder. Ihre Entscheidungen können mit der Verfassungsbeschwerde angefochten werden.[65]
2. Gegen welche Teile gerichtlicher Entscheidungen?
122
Nicht nur der Tenor, sondern auch die Art der Begründung einer gerichtlichen Entscheidung kann den Beschwerdeführer in seinen Rechten verletzen; hier gehen Fragen des Beschwerdegegenstandes und der Beschwer (allgemeines Rechtsschutzbedürfnis) ineinander über. Dies soll bspw. dann der Fall sein, wenn der Beschwerdeführer mangels Beweises freigesprochen wurde, obwohl sich aus den Urteilsgründen selbst der Beweis für die Unschuld ergibt.[66] Die Beschwerde ist aber unzulässig, wenn der Beschwerdeführer sich ausschließlich gegen Entscheidungsgründe wendet, welche die angegriffene Entscheidung nicht, jedenfalls aber nicht allein tragen.[67] Auch Rechtsausführungen in den Gründen einer Entscheidung allein sollen grds. keine Beschwer begründen können (Grundsatz der Tenorbeschwer).[68] Es gibt also nach h. M. nicht nur im strafrechtlichen Schrifttum, sondern auch nach Auffassung des BVerfG kein subjektiv-öffentliches Recht auf einen Freispruch aus den „richtigen“ Gründen. Differenzierter ist aber die Frage zu sehen, ob es ein Recht gibt, aus rechtlich tragfähigen Gründen freigesprochen zu werden, und welche Folgerungen sich daran knüpfen.[69]
a) Zwischenentscheidungen
123
Gerichtliche Entscheidungen, die der Urteilsfällung vorausgehen und denen keine Außenwirkung zukommt, sind nach st. Rspr. des BVerfG[70] mit der Verfassungsbeschwerde grds. nicht anfechtbar.
124
Solche Zwischenentscheidungen können nur dann mit der Verfassungsbeschwerde angegriffen werden, wenn der angebliche Verfassungsverstoß im Ausgangsverfahren zum Gegenstand der fachgerichtlichen Nachprüfung gemacht werden kann, die Zwischenentscheidung also nach dem jeweiligen Prozessrecht selbstständig anfechtbar ist. Die Problematik steht damit in engem Zusammenhang mit dem Erfordernis der Erschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 BVerfGG). Der Sinn des Ausschlusses der Verfassungsbeschwerde gegen Zwischenentscheidungen liegt darin, dass Verfassungsverstöße in der Regel noch mit der Anfechtung der Endentscheidung gerügt werden können. Deshalb lässt das BVerfG die Verfassungsbeschwerde nur gegen solche Entscheidungen in selbstständigen Zwischenverfahren zu, die über eine für das weitere Verfahren wesentliche Rechtsfrage abschließend befinden und in weiteren Instanzen nicht mehr nachgeprüft und korrigiert werden können.[71]
125
Die Anfechtung eines Zwischenbescheids ist deshalb nach st. Rspr. nur dann zuzulassen, „wenn ein dringendes schutzwürdiges Interesse daran besteht“, und eine „Abwägung privater und öffentlicher Interessen“ sowie die „Prozess- und Arbeitsökonomie“ dies gebieten. Dies soll vor allem dann zutreffen, wenn dem Beschwerdeführer durch die Nichtanfechtung ein bleibender Nachteil entstünde, der sich später gar nicht mehr oder jedenfalls nicht mehr vollständig beheben ließe. Die selbstständige Anfechtbarkeit eines Zwischenbescheides ist nach diesen Grundsätzen regelmäßig nur zu bejahen, wenn er gleichzeitig eine materielle Rechtsfrage zum Gegenstand hat, mit deren Bejahung oder Verneinung das weitere Schicksal des Verfahrens steht und fällt. Im Folgenden sollen die nach der Spruchpraxis des Gerichts wichtigsten Fälle während der einzelnen Stadien eines Strafverfahrens beleuchtet werden:
(1) Haftbefehl
126
Man kann sich auf den Standpunkt stellen, dass der Haftbefehl – obgleich er vor allem eine verfahrenssichernde Funktion hat – im Verhältnis zu dem Verfahren in der Hauptsache eine Zwischenentscheidung ist. Unabhängig von der zweifelhaften dogmatischen Überzeugungskraft dieser Einordnung – in der Hauptverhandlung geht es nicht um die Rechtmäßigkeit des Haftbefehls, etwa in puncto Haftgrund oder Verhältnismäßigkeit, sondern um Schuld oder Unschuld –[72], sind nach der Karlsruher Praxis sowohl der Haftbefehl selbst[73] als auch der Beschluss über die Zulässigkeit einer Auslieferung aufgrund eines Haftbefehls[74] mit der Verfassungsbeschwerde isoliert anfechtbar.
(2) Strafbefehl
127
In einem älteren Beschluss hat das BVerfG[75] – für einen Sonderfall – die Anfechtbarkeit