III. Rechte des anwaltlichen Zeugenbeistands
IV. Die Rechte des Zeugen bei Vernehmungen
V. Anwaltliche Aufgaben während der Zeugenvernehmung
VI. Die Rechte bei körperlichen Untersuchungen
VII. Kosten und Rechtsanwaltsvergütung
Teil 4 Die Pflichten und Rechte des Zeugen, insbesondere des Verletztenzeugen – Der anwaltliche Zeugenbeistand › I. Allgemeines und Zeugenpflichten
I. Allgemeines und Zeugenpflichten
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Die Verletzten von Straftaten werden im Strafverfahren regelmäßig als Zeugen benötigt und gemeinhin als „Opferzeugen“ bezeichnet, wobei der Begriff des „Opfers“ aufgrund seiner negativen Konnotation richtigerweise durch den Begriff des „Verletzten“ ersetzt werden sollte[1]. Oft sind diese das weitaus wichtigste Beweismittel und stehen im Mittelpunkt der Beweiserhebung. Dass der Zeugenbeweis vom Beweiswert her oft als ein schwaches Beweismittel anzusehen ist[2], steht seiner hohen Bedeutung in der Praxis nicht entgegen. In der Rolle als Zeuge stehen dem Verletzten alle Rechte und Pflichten zu, die auch ein gewöhnlicher Zeuge hat.
Die Stellung des Zeugen im Strafverfahren ist wesentlich geprägt durch seine Eigenschaft als persönliches Beweismittel. Als solches hat er in erster Linie Auskunft über seine Wahrnehmungen von einem in der Vergangenheit liegenden tatsächlichen Vorgang zu geben.[3] Daneben hat der Zeuge nach § 81c StPO – jedenfalls grundsätzlich[4] – seine körperliche Untersuchung zu dulden, d.h. er muss zur Untersuchung erscheinen und sich für diese zur Verfügung stellen. Zur aktiven Mitwirkung ist er hingegen nicht verpflichtet.
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In Bezug auf die Kundgabe seiner Wahrnehmungen ergeben sich für den Zeugen im Wesentlichen drei Pflichten[5]: Der Zeuge muss vor Gericht erscheinen, wahrheitsgemäß aussagen und seine Aussage – nötigenfalls – beeiden.[6]
Zeugenpflichten
• | Erscheinungspflicht gem. § 48 Abs. 1 StPO; |
• | Aussage- und Wahrheitspflicht gem. §§ 48 Abs. 1, 57 StPO; |
• | Beeidigungspflicht gem. §§ 57, 59 ff. StPO. |
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Diese Verpflichtungen werden nicht erst durch die StPO begründet, sondern stellen bereits staatsbürgerliche Pflichten dar.[7] Die Verpflichtung zum Erscheinen und Aussagen besteht gemäß § 161a Abs. 1 S. 1 StPO auch gegenüber der Staatsanwaltschaft. Gegenüber der Polizei besteht eine Erscheinenspflicht nach § 163 Abs. 3 S. 1 StPO dagegen nur, wenn der Ladung ein Auftrag der Staatsanwaltschaft zugrunde liegt.
Die Zeugenpflichten sind sanktionsbewehrt. Erscheint ein ordnungsgemäß geladener Zeuge nicht oder verweigert er unberechtigt das Zeugnis oder die Eidesleistung, können ihn als Ungehorsamsfolgen nach §§ 51, 70 StPO die Auferlegung der dadurch entstandenen Kosten, die Festsetzung von Ordnungsmitteln und gegebenenfalls die Anordnung der zwangsweisen Vorführung treffen. Dies gilt nicht bei rechtzeitiger Entschuldigung des Zeugen gem. § 51 Abs. 2 S. 1 StPO. Ein legitimer Entschuldigungsgrund liegt vor, wenn dem Zeugen das Erscheinen nicht zugemutet werden kann, wobei private und berufliche Pflichten grundsätzlich nachrangig sind.[8] Die Entschuldigung erfolgt rechtzeitig, sofern es dem Gericht nach ihrem Zugang im gewöhnlichen Geschäftsgang noch möglich ist, den Termin aufzuheben und andere Prozessbeteiligte abzuladen.
Der Zeuge ist zur wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet, vgl. § 57 StPO. Bei Verweigerung des Zeugnisses drohen ihm Zwangsmittel, insb. auch die Beugehaft nach § 70 Abs. 2 StPO. Entspricht die Zeugenaussage nicht der Wahrheit, so läuft der Zeuge Gefahr, dafür strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu werden, insb. wegen den §§ 153 ff. bis § 258 StGB.
Voraussetzung für die Beeidigung der Zeugenaussage ist gem. § 59 Abs. 1 S. 1 StPO, dass die Beeidigung aufgrund der ausschlaggebenden Bedeutung der Aussage oder zur Herbeiführung einer wahren Aussage notwendig ist. Mögliche Einschränkungen hiervon ergeben sich aus §§ 60, 61 StPO.
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Die Aufklärungspflicht der Strafverfolgungsorgane gebietet es, zur Wahrheitsfindung auch auf die Wahrnehmungen des Verletztenzeugen zurückzugreifen. Daneben stehen häufig auch gewichtige Verfahrensmaxime wie der Öffentlichkeitsgrundsatz einer weitgehenden Schonung des Zeugen im Rahmen der Hauptverhandlung entgegen. Insbesondere die Verletzten von Sexualstraftaten beklagen daher oft zu Recht, dass die Belastungen, denen sie im Rahmen der Hauptverhandlung ausgesetzt sind, den Beeinträchtigungen ihrer Rechte durch die Straftat selbst nicht wesentlich nachstehen. Nicht zuletzt sind es die sich im Laufe des Strafverfahrens wiederholenden Vernehmungen, die für Zeugen erhebliche Stresssituationen darstellen.[9]
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Im Strafverfahren hat der Zeuge stets Anspruch auf angemessene Behandlung und auf Ehrenschutz.[10] Die staatlichen Strafverfolgungsorgane sind dem Zeugen gegenüber verpflichtet, für seinen Schutz vor Lebens- oder Leibesgefahr, in die er durch die Mitwirkung in einem Strafverfahren geraten kann, zu sorgen. Dem Schutz des Zeugen dient insbesondere die Möglichkeit auf die Angabe einer Privatadresse zu verzichten oder die Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm.[11]
→ Muster 5, Rn. 527: Antrag auf Aufnahme in ein Zeugenschutzprogramm
Anmerkungen
Siehe Teil 1 Rn. 46 ff.
Rückel PdS 9, Rn. 32; Kühne NStZ 1985, 252. Ausführlich zu aussagepsychologischen Aspekten von Zeugenaussagen: Jansen PdS 29.
BGHSt 22, 347 f.; Einzelheiten zum Zeugenbeweis bei M-G/S StPO Vor § 48, Rn. 1 ff.
Grenze ist die Zumutbarkeit der Maßnahme gem. § 81c Abs. 4 StPO.
Allg. Meinung; vgl. HK-StPO/Gercke Vor § 48 Rn. 16; LR-StPO/Ignor/Bertheau