BGBl. I, 1580 v. 30.6.2009.
Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten
Inhaltsverzeichnis
II. Situation des Verletzten nach der Straftat
III. Verletztenanwalt – Strafverteidiger – Fachanwalt
IV. Mandatsübernahme – Aufklärung der Mandantschaft – Glaubhaftigkeitsgutachten
V. Betreuung der Mandanten – Hilfsorganisationen
VI. Verhalten des Verletzten während der Hauptverhandlung
VIII. Kosten – Rechtsanwaltsvergütung
Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › I. Begriff Verletzter – Opfer
I. Begriff Verletzter – Opfer
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Die Suche nach einem einheitlichen Rechtsbegriff des Verletzten ist bislang erfolglos geblieben. Unterschieden wird zwischen dem engen Verletztenbegriff, der gewissermaßen das Spiegelbild des Rechtsgutträgers darstellt, und einem weitergehenden Verletztenbegriff, wonach Verletzter jede natürliche oder juristische Person sein kann, deren Interessen bzw. Rechtsgüter zumindest mittelbar durch die Straftat betroffen sind bzw. in die eingegriffen wird.[1] Zum Teil wird dieser weite Verletztenbegriff aber wieder dahingehend eingeschränkt, dass die verletzte Norm jedenfalls auch dem Schutz des Betroffenen dienen muss.[2] Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Verletzter ist, wer durch die Straftat in seinem persönlichen Rechtskreis betroffen ist.[3]
Die Begriffe „Verletzter“ und „Opfer“ werden dabei weitgehend synonym gebraucht, wobei der Begriff „Opfer“ stark viktimologisch geprägt und emotional aufgeladen ist. Zudem weist er mehr in die Richtung von prozessualen Abwehrrechten und gerichtlicher Fürsorgepflicht bzw. unterstreicht die besondere staatliche Verantwortung, Eingriffe in die Sphäre des Verletzten möglichst gering zu halten und auf ein absolutes Mindestmaß zu reduzieren[4]. Trotzdem muss der Verletzte, der in seiner Zeugeneigenschaft für Gericht, Staatsanwaltschaft und Verteidigung als zentrales Beweismittel des Strafverfahrens und Quelle für die Erforschung der Wahrheit fungiert, prozessual in dieser Zeugenrolle bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens verbleiben.
Obwohl der Gesetzgeber zwischenzeitlich in mehreren sogenannten „Opferschutzgesetzen“ insbesondere die Bestimmungen der StPO sowie des GVG umfangreich ergänzt und erweitert hat, findet sich dort der Begriff des „Opfers“ – mit Ausnahme im Zusammenhang mit dem sog. „Täter-Opfer-Ausgleich“ – nicht. Stattdessen wird weitgehend vom „Verletzten“ gesprochen. Angesichts einer ohnehin emotional sehr aufgeladenen Debatte, die bedauerlicherweise zum Teil die erforderliche Objektivität und Sachlichkeit vermissen lässt, sofern es um die Begründung bzw. Rechtfertigung von Teilhaberechten des Verletzten am Strafprozess geht, tut eine Objektivierung und Versachlichung not, da auf diese Weise der einzelne Betroffene aus dem normativ und emotional aufgeladenen Kontext der Opferstellung herausgelöst und der Blick auf den eigentlichen Kern des Strafrechts, nämlich den Schutz von Rechtsgütern[5], fokussiert werden kann.
Mit Blick auf die europäische Ebene ergibt sich aus der sog. „EU-Opferschutzrichtlinie“[6] in Art. 2 Ziff. 1 lit. a ein Opfer- bzw. Verletztenbegriff, der zumindest im Wege der unionsrechtskonformen Auslegung mittelbare Auswirkung auf das deutsche Strafverfahrensrecht und auch dessen Sprachgebrauch entfaltet. Demnach können „Opfer“ alle natürlichen Personen sein, die eine körperliche, geistige oder seelische Schädigung oder einen wirtschaftlichen Verlust, der direkte Folge einer Straftat war, erlitten haben. Aber auch Familienangehörige einer Person, deren Tod eine direkte Folge einer Straftat ist und die durch den Tod dieser Person eine Schädigung erlitten haben, fallen darunter[7]. Eine zusätzliche Erweiterung erfährt der Begriff der Familienangehörigkeit durch Art. 2 Ziff. 1 lit. b, wonach nicht nur der Ehepartner des Opfers erfasst ist, sondern auch diejenige Person, die mit dem Opfer stabil und dauerhaft in einer festen intimen Lebensgemeinschaft zusammenlebt und mit diesem einen gemeinsamen Haushalt führte, sowie darüber hinaus Angehörige in direkter Linie, die Geschwister sowie die Unterhaltsberechtigten des Verletzten. Damit werden von der „EU-Opferschutzrichtlinie“ auch gleich- bzw. verschiedengeschlechtliche nichteheliche Lebenspartner erfasst[8].
Anmerkungen
M-G/S StPO § 406d Rn. 2; Pfeiffer StPO § 406d Rn. 1; HK-StPO/Kurth/Pollähne § 406d Rn. 2; BeckOK-StPO/Weiner § 406d Rn. 1.
SK-StPO/Velten Vor § 406d Rn. 5; KMR-StPO/Stöckel § 406d Rn. 11.
vgl. dazu Jung ZStW 1981, 1147-1176 m.w.H.
Jung ZStW 93 (1981), S. 1147.
Vgl. dazu auch Zöller in FS Paeffgen S. 719, 722 f.; Anders ZStW, 124 (2012), S. 378 f.
Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates v. 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des
Rahmenbeschlusses 2001/220/JI (ABl. L315, 57 v. 14.11.2012).
Vgl. dazu auch die Erwägungsgründe 16 ff. der Richtlinie sowie Zöller in FS Paeffgen S. 722 f.
Bock ZIS 2013, 201, 205; Daimagüler Der Verletzte im Strafverfahren,