1. Vorgeschichte
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Mit dem Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 15.4.2015[1] wurde die Umsetzung der europarechtlichen Mindestvorgaben bezüglich der Verfahrensrechte von Verletzten im Strafverfahren verfolgt, die durch die „Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe“[2] notwendig wurden. Soweit nicht bereits in der Vergangenheit geschehen, hätten die notwendigen Rechtsänderungen bereits bis zum 16.11.2015 umgesetzt werden müssen. Neben Befürwortern, die sich allen voran auf Seiten von Opferschutzverbänden befanden, kam es auch im vorliegenden Gesetzgebungsverfahren zu heftiger Kritik aus Wissenschaft sowie insbesondere strafverteidigender Praxis, die bis heute anhält[3], nachdem das Kernstück, nämlich die gesetzliche Verankerung der psychosozialen Prozessbegleitung und das damit einhergehende „Gesetz über die psychosoziale Prozessbegleitung im Strafverfahren“ zum 1.1.2017 in Kraft getreten ist.[4] Durch die psychosoziale Prozessbegleitung sollten besonders schutzbedürftige Opfer die Möglichkeit bekommen, vor, während und nach der Hauptverhandlung auf professionellem Wege begleitet zu werden.
Nach Stellungnahmen der mitberatenden Ausschüsse, einer öffentlichen Sachverständigenanhörung am 15.6.2015 sowie anschließenden weiteren Beratungen hat schließlich der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz in seiner Beschlussempfehlung sowie seinem Bericht zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung diesen in bestimmten Bereichen, insbesondere bezüglich § 406g StPO, geändert.[5] Schließlich trat das „3. Opferrechtsreformgesetz“ nach den erforderlichen Abstimmungen im Bundestag und Bundesrat am 31.12.2015 bzw. 1.1.2017 in Kraft.[6]
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › XII. Gesetz zur Stärkung der Opferrechte im Strafverfahren vom 21.12.2015 › 2. Wesentlicher Inhalt
2. Wesentlicher Inhalt
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Inhaltlich kam es durch das „3. Opferrechtsreformgesetz“ insbesondere zur Ausweitung der Informationsrechte des Verletzten sowie – spiegelbildlich – zur Einführung umfangreicher Unterrichtungspflichten der Strafverfolgungsbehörden. So wurde etwa in § 48 Abs. 3 StPO für den Fall eines Verletztenzeugen eingeführt, dass ihn betreffende Verhandlungen, Vernehmungen und sonstige Untersuchungshandlungen unter Berücksichtigung seiner besonderen Schutzbedürftigkeit zu erfolgen haben. Ausgehend von § 48 Abs. 3 S. 2 StPO ist deshalb insbesondere eine mögliche Vernehmung des Zeugen in Abwesenheit des Angeklagten nach § 168e StPO bzw. die audiovisuelle Vernehmung entsprechend § 247a StPO oder ein Ausschluss der Öffentlichkeit von der Teilnahme an der Hauptverhandlung gem. § 171b Abs. 1 GVG zu prüfen. Ebenfalls kann in Betracht kommen, zu prüfen, inwieweit auf Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen verzichtet werden kann. Des Weiteren sieht § 158 StPO nunmehr vor, dass dem Anzeigeerstatter auf seinen Antrag hin eine schriftliche Anzeigebestätigung zu erteilen ist. Gem. § 158 Abs. 1 S. 4 StPO sollen dort auch die vom Verletzten gemachten Angaben zu Tatzeit, Tatort sowie angezeigter Tat mit aufgenommen werden. Für den Fall, dass der Anzeigeerstatter der deutschen Sprache nicht hinreichend mächtig ist, hat er gem. § 158 Abs. 4 StPO Anspruch auf Hilfestellung durch einen Sprachmittler. In diesem Fall ist die entsprechende Benachrichtigung in eine ihm verständliche Sprache zu übersetzen. Ferner wurden in § 406d StPO die Informationsrechte des Verletzten zum Verfahrensstand erweitert, etwa bezüglich der Unterrichtung über den Zeitpunkt und den Ort der Hauptverhandlung sowie die gegen den Angeklagten erhobenen Beschuldigungen. Schließlich wurden die Hinweispflichten in den §§ 406i – k StPO neu geordnet und gefasst.[7] Die weitreichendsten Änderungen des „3. Opferrechtsreformgesetzes“, zum Teil auch als „Kernstück“ oder auch „Meilenstein“ bezeichnet[8] erfolgten in § 406g StPO in Form der neu eingeführten „psychosozialen Prozessbegleitung“, die zum 1.1.2017 ein Recht des Verletzten auf Beistand und ein damit korrespondierendes Anwesenheitsrecht des psychosozialen Prozessbegleiters bei Vernehmungen im Ermittlungsverfahren bzw. während der Hauptverhandlung formte. Zudem haben die von schweren Gewalt- oder Sexualstraftaten Betroffenen einen Rechtsanspruch auf Beiordnung eines solchen Prozessbegleiters auf Kosten der Staatskasse.
Anmerkungen
BT-Drucks. 18/4621 vom 15.4.2015.
vgl. dazu Teil 1, X Rn. 41 ff.
vgl. etwa Löffelmann recht + politik 2014, S. 1 ff.; Pollähne StrafV 2016, 675 ff.; Haverkamp ZRP 2015, 53 f.; Ferber NJW 2016, 279 ff.; Kett-Straub ZiS 2017, 341 ff.; Stgn. des Deutschen Anwalt Vereins durch die Task Force „Anwalt für Opferrechte“ unter Beteiligung des DAV-Ausschusses Strafrecht im Dezember 2014, Stgn. Nr. 66/2014.
vgl. dazu Kett-Straub ZiS 2017, 341 ff.; Riekenbrauk ZJJ 2016, 25 ff.; Neuhaus StrafV 2017, 55 ff.; Eisenberg ZJJ 2016, 33 ff.; Ferber NJW 2016, 281 f.; Freudenberg NK 2013, 99 ff.
BT-Drucks. 18/6906 v. 2.12.2015.
BGBl. I, 2525 v. 30.12.2015.
vgl. hierzu Teil 5, Kapitel IV, 1 e) Rn. 150 sowie Burhoff ZAP 2016, 861 ff.
Pollähne StrafV 2016, 676; Daimagüler Rn. 3; Kett-Straub ZiS 2017, 341; Neuhaus StrafV 2017, 55, Ferber NJW 2016, 281 f.
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › XIII. Weitere Gesetze
XIII. Weitere Gesetze
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Diese wesentlichen Entwicklungslinien im Bereich der Verletztenrechte wurde natürlich auch von weiteren Gesetzen umrahmt, in denen ebenfalls Vorschriften zum Schutz des Verletzten enthalten waren. Dazu gehört bspw. das sog. „Zeugenschutzharmonierungsgesetz“ vom 11.12.2001[1], in dem besondere Zeugenschutzmaßnahmen, etwa das Verschaffen einer Tarnidentität, geregelt war. Das „Gesetz zur Stärkung der Rückgewinnungshilfe und der Vermögensabschöpfung bei Straftaten“ vom 24.10.2006[2] sah bessere Möglichkeiten zu Gunsten des Verletzten vor, Ersatz für materielle Schäden zu erhalten. Das „3. Gesetz zur Änderung des Opferentschädigungsgesetzes“ vom 25.6.2009[3] erweiterte den Anwendungsbereich dahingehend, dass Verletzte von im Ausland erlittenen Gewalttaten in Umsetzung der EU-Richtlinie 2004/80/EG bessergestellt wurden.
Anmerkungen
BGBl. I, 3510 v. 17.12.2001.