II. Situation des Verletzten nach der Straftat
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Durch eine Straftat wird nicht nur in Persönlichkeitsrechte des Verletzten eingegriffen. Oft sind auch die weiteren Tatfolgen für die betroffene Person ganz erheblich: So sind bei bestimmten Betroffenen große persönliche Verunsicherung sowie tiefgreifende psychische Destabilisierung bis hin zu lebenslang bleibenden Schäden festzustellen. Eine Linderung oder Bewältigung dieser Viktimisierungsfolgen[1] hängt oft nicht so sehr von der strafrechtlichen Bedeutung und Bewertung des Geschehens ab, sondern von verschiedenen psychischen und sozialen Faktoren in der Person des Betroffenen selbst bzw. seiner konkreten Lebenssituation.[2] So lösen die Folgen eines Wohnungseinbruchs, insbesondere bei gleichzeitigem Vandalismus, bei den Betroffenen oft große Unsicherheit und Ängste aus, die kaum oder nur schwer überwunden werden können. Vor allem aber sind es Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung und Gewaltdelikte, deren traumatische Folgen oftmals nur aufgrund ebenso schneller wie intensiver Beratung und Unterstützung sowie einer umfassenden Aufarbeitung beseitigt oder zumindest möglichst gering gehalten werden können. Während die materiellen Schäden zumeist zeitnah kompensiert werden können, dauern die psychischen Schäden noch längere Zeit an und können auch das soziale Umfeld, allen voran die weiteren Familienangehörigen des Betroffenen, nachhaltig beeinflussen. Dieser besonderen Situation des Verletzten muss daher seitens aller Verfahrensbeteiligter in ihrem Handeln außerhalb und innerhalb des Strafprozesses Rechnung getragen und auch in die jeweiligen taktischen Überlegungen mit einbezogen werden. Dies gilt natürlich vor allem für den Strafverteidiger, aber nicht zuletzt auch für den anwaltlichen Beistand des Verletzten.
Die traumatischen und posttraumatischen Belastungsstörungen sind in vielen Fällen nur mit intensiver Betreuung durch Beratungsstellen, Therapieeinrichtungen und medizinischer Behandlung aufzufangen. Die Beratung von Betroffenen, Zeugenbetreuung und finanzielle Unterstützung sind Aufgabenbereiche, denen sich staatliche und private Einrichtungen angenommen haben.[3]
Anmerkungen
Vgl. dazu aber auch kritisch Kölbel/Bork Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel, 9 ff., 38 f., 75 ff.; Volbert Ambivalenzen der Opferzuwendung, S. 197 ff.; Kölbel Ambivalenzen der Opferzuwendung, S. 213 ff.; Tolmein Ambivalenzen der Opferzuwendung, S. 233 ff.; Pfäfflin StV 97, 95 ff.; Haverkamp Forum Kriminalprävention, 46, 48 a.E. sowie Fn. 50; Maaß Der Schutz besonders sensibler Zeugen, S. 17 ff.
So auch Haupt/Weber u.a. Handbuch Opferschutz; Kölbel/Bork Sekundäre Viktimisierung als Legitimationsformel.
Vgl. hierzu auch Anhang 1 mit einer Liste von staatlichen und nichtstaatlichen Einrichtungen und Hilfsorganisationen sowie Anhang 2 mit Zeugenberatungsstellen.
Teil 2 Verletzter – Opfer – Anwalt des Verletzten › III. Verletztenanwalt – Strafverteidiger – Fachanwalt
III. Verletztenanwalt – Strafverteidiger – Fachanwalt
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Anwaltliche Vertretung steht auch dem von einer Straftat Betroffenen zu. Neben der freien Wahl eines Rechtsanwalts, die natürlich mit finanziellen Belastungen verbunden ist – zumindest sein kann –, hat der Verletzte in bestimmten Fällen von Gesetzes wegen den Anspruch auf einen Rechtsanwalt, der ihm auf Staatskosten beigeordnet wird. Dieser Verletztenanwalt hat sich vorrangig der Interessen des von einer Straftat Betroffenen anzunehmen, kann schon in einem frühen Verfahrensstadium prozessuale Rechte des Verletzten wahrnehmen und auf diese Weise neben der Betreuung seines Mandanten und seiner Angehörigen auch inhaltlich auf das Ermittlungs- und Strafverfahren Einfluss nehmen. Mit der Hervorhebung der Rolle als anwaltlicher Vertreter des Verletzten steigt die Verantwortung für den Verletzten – aber auch für das Prozessgeschehen. Die Zeiten, in denen beispielsweise der Nebenklägervertreter nur mehr oder weniger schmuckes Beiwerk des Strafprozesses war und sich meistens nur mit kurzen Worten den Anträgen und Ausführungen der Staatsanwaltschaft angeschlossen hat, gehören mit den neuen Rechten – aber auch Pflichten – der Vergangenheit an. Insbesondere die Aufgaben, die dem anwaltlichen Vertreter im Adhäsionsverfahren angetragen sind, erfordern viel Engagement, zusätzliches Fachwissen und taktisches Verständnis.
Hinweis
Wie der Strafverteidiger, der bei der Verteidigung seines Mandanten auch die Belange des Verletzten in seine Überlegungen mit einzubeziehen hat, ist der Verletztenanwalt seinerseits gut beraten, die Rechte des Verletzten maßvoll und auf Augenhöhe wahrzunehmen und diese nicht durch überzogenes Handeln und Auftreten vor Gericht zu schmälern oder gar zu verspielen.
Verantwortungsbewusstes Verhalten gegenüber dem Mandanten und dessen fach- und sachkundige Interessenvertretung im Strafprozess gilt sowohl für den Verteidiger als auch für den Verletztenanwalt. In beiden Fällen wird eine zusätzliche Qualifikation als „Fachanwalt für Strafrecht“ dringend angezeigt sein. Dass die Fachanwaltsbezeichnung auch einem Rechtsanwalt zu verleihen ist, der überwiegend als Verletztenanwalt auftritt, hat der Anwaltsgerichtshof beim BGH bereits vor Jahren entschieden[1]. Bei der derzeitigen Entwicklung und Fortschreitung der Opferrechte wurde bereits mehrfach die Frage aufgeworfen, ob man nicht einen „Fachanwalt für Opferrechte“ brauche.[2] Diesem Ansinnen ist jedoch nach hiesiger Auffassung entgegenzutreten, jedenfalls dann, wenn diese Diskussion in Bezug auf die Vertretung des Verletzten im Strafverfahren geführt wird. Anders als beispielsweise im Zivilrecht, bei dem es verschiedene Fachanwaltstitel gibt, die ein eigenständiges Rechtsgebiet innerhalb des Zivilrechts darstellen und sich vergleichsweise trennscharf voneinander abgrenzen lassen[3], besteht auf dem Gebiet des Strafrechts hingegen zu Recht ein einheitlicher Fachanwaltstitel, nachdem das gesamte Strafrecht insgesamt mit- und ineinander verzahnt ist und einzelne Bereiche kaum sinnvoll voneinander getrennt und abgegrenzt werden können. Mit der gleichen Berechtigung müsste andernfalls auch ein Fachanwalt für Betäubungsmittelstrafrecht, Wirtschaftsstrafrecht oder Sexualstrafrecht eingeführt werden. Im Rahmen der Diskussion ist zweifelsohne zutreffend, dass die anwaltliche Vertretung des Verletzten auch fundierte Kenntnisse außerhalb des Strafrechts erforderlich macht, so etwa im Bereich der Traumatologie, der Psychologie, des Familienrechts, des Sozialrechts oder auch der Mediation. Jedoch ist auch für den Verteidiger mehr als nur ein Blick über den Tellerrand erforderlich, um den eigenen Mandanten umfassend und sachgerecht beraten zu können. So sind je nach Mandat beispielsweise auch umfassende Kenntnisse im Bereich des Ausländer-, Beamten- oder Steuerrechts erforderlich. Letztlich scheint die Diskussion seitens der Befürworter eines entsprechenden Fachanwaltstitels möglicherweise auch allein aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus geführt zu werden, was jedoch keinesfalls einen auch nur ansatzweise legitimierenden Grund darstellen kann. Angezeigt erscheint indes die Forderung, im Rahmen der strafrechtlichen Fachanwaltsausbildung die Vertretung der Opferinteressen sowie den Blickwinkel des Verletzten deutlich stärker als bislang zu betonen. Dies gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass es keineswegs der Fachanwalt für Strafverteidigung, sondern der Fachanwalt für Strafrecht ist, der in § 1 FAO erfasst ist.[4]
Anmerkungen
BGH Beschl. v. 8.11.2004 – AnwZ (B) 84/03 (AnwGH Baden-Württemberg).