Die Auswahlmöglichkeiten des Verletzten in Bezug auf seinen anwaltlichen Beistand wurden durch die §§ 138 Abs. 3, 142 Abs. 1 StPO erweitert. Die den als Verletztenbeistand tätigen Rechtsanwalt betreffenden Regelungen in den §§ 406f, 406g StPO a.F. wurden deutlich ergänzt, so dass bei Vernehmungen des Verletzten auch dem Beistand des nebenklagebefugten Verletzten die Anwesenheit gestattet war. Er war vom Termin der Hauptverhandlung zu benachrichtigen, wenn die Beauftragung dem Gericht angezeigt oder er als Beistand bestellt worden war. Die zur Nebenklage Befugten waren zur Anwesenheit in der Hauptverhandlung berechtigt, auch wenn sie später als Zeugen vernommen werden sollten, wie sich aus § 406g Abs. 1 StPO a.F. ergab.
cc) Informationspflichten gegenüber Verletzten sowie deren Angehörigen und Erben
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Für die staatlichen Organe war es nach § 406h StPO a.F. nunmehr verpflichtend, Verletzte auf die Möglichkeit hinzuweisen, dass und welche Hilfe bzw. Unterstützung sie von Opferhilfeeinrichtungen in Anspruch nehmen könnten. Diese Pflicht bestand insbesondere im Hinblick auf die Nebenklagebefugnis, die Durchsetzung vermögensrechtlicher Ansprüche im Adhäsionsverfahren, die Geltendmachung von Versorgungsansprüchen nach Maßgabe des sog. „Opferentschädigungsgesetzes“, die Anträge auf Erlass von Anordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz und die Unterstützung und Hilfe durch staatliche und private Hilfseinrichtungen.
dd) Anzeige von Auslandsstraftaten
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In Umsetzung des „Rahmenbeschlusses über die Stellung von Opfern im Strafverfahren“[4] sah nunmehr § 158 Abs. 3 StPO vor, dass der Verletzte, der in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union von einer Straftat betroffen war, die Möglichkeit hatte, diese Tat in Deutschland anzuzeigen und über die Staatsanwaltschaft die Weiterleitung der Anzeige an den Mitgliedsstaat zu bewirken.
ee) Vorläufige Einstellung des Verfahrens bei Abwesenheit des Beschuldigten durch die Staatsanwaltschaft
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Nach § 154f StPO konnte die Staatsanwaltschaft bei unbekanntem Aufenthalt des Beschuldigten oder bei einem in seiner Person liegenden Hindernis das Verfahren vorläufig einstellen, wenn der Sachverhalt so weit wie möglich aufgeklärt und die Beweise so weit wie nötig gesichert waren. Damit wurde die Gesetzeslücke bei noch nicht erfolgter Anklage zu § 205 StPO geschlossen.
b) Heraufsetzung der Schutzaltersgrenze für Verletzte und Zeugen
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Die Schutzaltersgrenze für Kinder und Jugendliche wurde in den §§ 60 Nr. 1, 397a Abs. 1 Nr. 4 StPO sowie § 172 GVG von 16 auf 18 Jahre angehoben und damit eine Angleichung an verschiedene internationale Abkommen, wie der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen, der EU-Grundrechtscharta und weitere verschiedene Übereinkommen des Europarats vorgenommen. Mit der Anhebung der Schutzaltersgrenze für jugendliche Verletzte und Zeugen von Straftaten wurde auch die Altersgrenze im Jugendstrafverfahren für jugendliche Täter angepasst. Unter erleichterten Bedingungen konnte nun ein Verletztenanwalt gem. § 80 Abs. 3 S. 2 JGG i.V.m. § 395 Abs. 4 StPO beigeordnet werden.
c) Stärkung der Rechte von Zeugen
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Durch die Neufassung des § 48 Abs. 1 StPO wurde aus Gründen der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit die allgemein anerkannte Pflicht eines Zeugen, vor Gericht auszusagen, gesetzlich normiert. § 68b Abs. 1 und Abs. 2 StPO stellten klar, dass Zeugen bei allen Vernehmungen, also auch schon bei Vernehmungen durch die Polizei, einen anwaltlichen Beistand hinzuziehen konnten, sofern dies nicht die geordnete Beweiserhebung beeinträchtigte. Die Beiordnung eines Rechtsanwalts als Zeugenbeistand für besonders schutzwürdige Zeugen wurde durch § 68b Abs. 2 StPO ebenfalls vereinfacht. Ablehnende Entscheidungen der Staatsanwaltschaft konnten zudem gerichtlich überprüft werden. § 163 Abs. 3 StPO stellte in einem umfassenden Katalog klar, welche Vorschriften zum Schutz von Zeugen von der Polizei zu beachten sind. In § 68 Abs. 2 und Abs. 3 StPO wurden die Rechte der Zeugen erweitert, in bestimmten Fällen keine Angaben zu ihrem Wohnsitz machen zu müssen. § 68 Abs. 4 StPO regelte, dass Zeugen bei entsprechender Gefährdungslage auch nach Abschluss ihrer Vernehmung noch die Entfernung der Angaben zu ihrer Identität oder zu ihrem Wohnort aus der Akte verlangen konnten.
Anmerkungen
BGBl. I, 2280 v. 31.7.2009.
Vgl. dazu etwa Schroth NJW 2009, S. 2916 ff. m.w.H.; Lüderssen in FS Hirsch S. 879.
So in der Bgr. des RegE, BR-Drucks. 178/09 v. 20.2.2009, S. 1 (13).
Vgl. hierzu Teil 1, VI. Rn. 23 f.
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › X. EU-Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten vom 25.10.2012
X. EU-Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten vom 25.10.2012
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › X. EU-Richtlinie über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten vom 25.10.2012 › 1. Vorgeschichte
1. Vorgeschichte
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Bereits im Jahr 2001 hatte der ER einen „Rahmenbeschluss über die Stellung von Opfern im Strafverfahren“ erlassen, der auf eine grundlegende Angleichung der prozessualen Rechte von Verletzten in den Mitgliedsstaaten zielte, die durch Verbrechen zu Schaden gekommen waren. Die „Richtlinie 2012/29/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2012 über Mindeststandards für die Rechte, die Unterstützung und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI“[1] vom 14.11.2012 hatte die weitere Stärkung und Harmonisierung der Rechte von Verbrechen Betroffenen zum Ziel und diente nicht zuletzt auch der Umsetzung des „Stockholmer Programms“ des ER, in dem die Leitlinien der Union im Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik für die Jahre 2010–2014 festgelegt worden waren. Dort wurde betont, dass jedenfalls bestimmte Gruppen von Verletzten einer besonderen Unterstützung sowie eines besonderen rechtlichen Schutzes bedürfen und dies einen „integrierten und koordinierten Ansatz“ auf dem Gebiet der Rechte des Verletzten erforderlich mache.[2] In Umsetzung dieser Bestrebungen erfolgte schließlich im Mai 2011 die Vorlage eines ganzen Maßnahmenpaketes zur Stärkung der Verletztenrechte in der EU, das auf drei Säulen stand: Einerseits einer „Mitteilung über die Stärkung der Opferrechte in der EU“[3], andererseits einem „Richtlinienvorschlag über Mindeststandards für die Rechte und den Schutz von Opfern von Straftaten sowie für die Opferhilfe“ und schließlich einem „Verordnungsvorschlag über die gegenseitige Anerkennung von Schutzmaßnahmen im Bereich des Zivilrechts“[4].[5]