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Das „Opferentschädigungsgesetz“ gab den von Gewalttaten Betroffenen die Möglichkeit, auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes zu erhalten. Eine Entschädigung für Sachschäden wurde hingegen nicht gesetzlich verankert. Der Anwendungsbereich umfasste nur vorsätzliche Schädigungen. Fahrlässige Körperverletzungen konnten keine Ansprüche begründen. Darüber hinaus blieben auch vorsätzliche Schädigungen durch Kraftfahrzeuge oder Anhänger unberücksichtigt, sodass Straßenverkehrsdelikte aus dem Anwendungsbereich herausfielen. Ein wesentliches Mitverschulden des Verletzten konnte im Rahmen der Versagungsgründe des § 2 OEG berücksichtigt werden. Die Entschädigung erfolgte nach versorgungsrechtlichen Grundsätzen[7].
Für weitere Ausführungen zur Opferentschädigung nach dem „Opferentschädigungsgesetz“, vgl. Teil 11.
Anmerkungen
Zur Entwicklung sowie internationalen Einflüssen auf den Verletztenschutz im Strafverfahren, vgl. etwa Böttcher in FS Egg, 65 ff.; Haverkamp Forum Kriminalprävention, 45 ff.; Jahn Rationalität und Empathie, S. 146 ff.; Anders ZStW 124 (2012) S. 383 ff.
BGBl. I, 1181 v. 15.5.1976.
So die sinngemäße Begründung eines Gesetzesentwurfs über die Hilfe für die Opfer von Straftaten, eingebracht von der CDU/CSU-Fraktion, BT-Drucks. VI/2420 v. 12.7.1971.
So charakterisiert Schuler in Opferentschädigungsgesetz, S. 10.
Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 7/4614 v. 21.1.1976, S. 3; Rüfner JW 1976, 1249.
Rüfner JW 1976, 1249; Kunz/Zellner OEG Einführung, S. 2.
Zunächst war auch eine Entschädigung im Rahmen der gesetzlichen Unfallversicherung vorgeschlagen worden; vgl. dazu auch die Beschlüsse der sozialrechtlichen Arbeitsgemeinschaft des 49. Deutschen Juristentags, Bd. II, S. P 126 f.
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › III. 1. Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren vom 18.12.1986
III. 1. Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren vom 18.12.1986
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › III. 1. Gesetz zur Verbesserung der Stellung des Verletzten im Strafverfahren vom 18.12.1986 › 1. Vorgeschichte
1. Vorgeschichte
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Auch nach dem Erlass des sog. „Opferentschädigungsgesetzes“ fristete der von einer Straftat Betroffene in der wissenschaftlichen Diskussion noch ein „ausgesprochenes Schattendasein“[1]. Dies änderte sich in den frühen 80er Jahren. Der kriminologische Forschungszweig der Viktimologie, der sich ausschließlich mit Opfern von Straftaten beschäftigt, gewann zunehmend an Bedeutung. Der Gedanke, dem von einer Straftat Betroffenem als besonderem, da in eigenen Rechten verletzten, Zeugen auch im Strafverfahren eine dieser Stellung entsprechende Rolle zuzuweisen, hob sich von dem zuvor vorherrschenden Bestreben einer weitestgehenden Neutralisierung des Verletzten im Strafprozess ab. Dieser Neutralisierungsgedanke beruhte vor allem auf der Auffassung, dass ein Verletzter meist von Wut und Rache gesteuert wird, Vergeltung erstrebt und einer rationalen Konfliktverarbeitung im Wege steht[2]. Jung behandelte dann auf der Strafrechtslehrertagung in Bielefeld 1981 den Verletzten erstmals gleichrangig mit den übrigen Verfahrensbeteiligten.[3]
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Gleichzeitig war es im Rahmen des Abschlusses der Strafvollzugsreform zu einer Ernüchterung in Bezug auf den bis dato vorherrschenden täterorientierten Resozialisierungsgedanken gekommen und andere Strömungen konnten an Einfluss gewinnen. Im Rahmen der Opferforschung erkannte man, dass das Ziel des Strafprozesses, für Rechtsfrieden zu sorgen, nur dann effektiv erreicht werden kann, wenn neben einer Ahndung der Störung des Rechtsfriedens durch die Straftat auch eine Sühne der individuellen Beeinträchtigung des Verletzten erfolgt. Sühne als Ziel von Strafrecht und Strafprozess könne nur unter Berücksichtigung beider Aspekte vollständig erreicht werden. Daneben wurde von Vertretern der viktimologischen Forschung hervorgehoben, dass die wenigsten Verletzten ein Mitverschulden an der Tat treffe und ein erheblicher Teil von ihnen daher hilfs- und schutzbedürftig sei.[4] Außerdem habe sich der Verletztenzeuge als wichtigste Instanz strafrechtlicher Sozialkontrolle herausgestellt, da ein Großteil der Strafverfahren erst durch private Anzeigen in Gang gesetzt würde und somit die Leistungsfähigkeit der staatlichen Strafverfolgung maßgeblich vom Anzeigeverhalten der Bevölkerung abhänge. Dieses werde dadurch gefördert, dass man dem Verletzten eine angemessene Stellung im Strafverfahren einräume. Diese Stellung müsse vornehmlich darauf gegründet sein, dass man den Verletzten, ebenso wie den Beschuldigten, als Subjekt und nicht nur aufgrund seiner Zeugenrolle als Objekt des Verfahrens anerkenne.[5] Dies folge schon aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Zeugen gem. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG, aus dem das Bundesverfassungsgericht ein Recht auf ein faires Verfahren, insbesondere auf eine angemessene Behandlung und Ehrenschutz abgeleitet habe.[6] Rieß hat insoweit auch auf den „Grundsatz der Waffengleichheit“ hingewiesen, der für den Verletzten Schutzpositionen erfordere, die ihm eine Verteidigung gegen Angriffe und Verantwortungszuweisungen durch den Beschuldigten ermögliche.[7] Allerdings war in der Viktimologie auch stets anerkannt, dass die Stärkung der Rechte der Verletzten nicht auf Kosten der Rechte des Beschuldigten, dessen Täterschaft ja noch nicht feststeht, erfolgen darf.
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Diese Überlegungen mündeten im Jahr 1984 in die auf dem 55. Deutschen Juristentag erhobene Forderung, die Schutzrechte des Verletzten auszubauen und insbesondere die sich aus rechtlich zulässigen Verteidigungsstrategien des Angeklagten ergebenden Härten für den Verletzten so weit als möglich auszugleichen und die Mitwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten des Verletzten so auszugestalten, dass er seine legitimen Interessen im Falle ihrer Bedrohung selbst zur Geltung bringen kann.[8] Daneben fanden gerade in dieser Zeit einige öffentlichkeitswirksame Strafverfahren im Zusammenhang mit Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung statt, die für die Betroffenen erhebliche Belastungen mit sich brachten.
Vor diesem Hintergrund nahm sich der Gesetzgeber sehr schnell dem Problem der Stellung und der Rechte des Verletzten an. Während man noch kurz zuvor in Erwägung gezogen hatte, die Rechte der Verletzten zugunsten einer Entlastung der Justiz im Bereich des Strafverfahrens einzuschränken, änderte sich diese Meinung rasch in entgegengesetzter Richtung. Nach Schünemann hatte sich der Gedanke einer Verbesserung der Verletztenposition so rasch um sich gegriffen, dass alle anderen Ansätze überflügelt wurden und „in Windeseile“ konnten die dem Bundestag vorliegenden Gesetzesentwürfe durchgebracht