19
Dies zeigte sich deutlich während einiger spektakulärer Prozesse wegen Kindesmissbrauchs, die dann auch den wesentlichen Anstoß zu einer Gesetzesreform gaben. In einem dieser Prozesse verlegte eine Strafkammer des LG Mainz mit Zustimmung aller Verfahrensbeteiligter die Vernehmung der Kinder in einen gesonderten Raum[1], um diesen die unmittelbare Konfrontation mit den möglichen Tätern sowie die psychische und physische Belastung einer Vernehmung im Sitzungssaal mit zahlreichen anwesenden Personen zu ersparen. Das Ganze geschah ohne hinreichende gesetzliche Grundlage, fand jedoch breite Zustimmung. Die Vorlage des Bundesrates zu einem „Zeugenschutzgesetz“ beschränkte sich noch auf die Zeugenschutzproblematik hinsichtlich Jugendlicher und Kinder.[2] Der Bundestag folgte jedoch einem weitergehenden Entwurf der Koalitionsfraktionen[3], der auch die Rechte sonstiger gefährdeter Zeugen berücksichtigte und eine abweichende Regelung in Bezug auf Vernehmungen in der Hauptverhandlung enthielt. Nachdem schließlich im Vermittlungsausschuss ein Kompromiss gefunden wurde, trat das sog. „Zeugenschutzgesetz“[4] am 1.12.1998 in Kraft.
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › IV. Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes vom 30.4.1998 › 2. Wesentlicher Inhalt
2. Wesentlicher Inhalt
20
Das „Zeugenschutzgesetz“ führte vor allem die Video-Aufzeichnung von Zeugensog. vernehmungen und die zeitgleiche Bild-Ton-Übertragung von einem anderen Ort in die Hauptverhandlung ein. Besonders wichtige Neuregelungen betrafen die Möglichkeit der Bestellung von anwaltlichen Zeugen- und Verletztenbeiständen auf Staatskosten. Nach dem neuen § 68b StPO konnte einem Zeugen, der ersichtlich zur Wahrnehmung seiner Befugnisse nicht selbst in der Lage war, nunmehr für die Dauer seiner richterlichen oder staatsanwaltschaftlichen Vernehmung ein Zeugenbeistand beigeordnet werden, wenn anders seinen schutzwürdigen Interessen nicht genügt werden konnte. Mit der Regelung der §§ 397a sowie 406g StPO wurde es für den nebenklageberechtigten Verletzten möglich, sich auf Staatskosten einen Rechtsanwalt für die gesamte Verhandlung beiordnen zu lassen. Daneben enthielt das „Zeugenschutzgesetz“ eine geringfügige Erweiterung des Kataloges der zur Nebenklage berechtigenden Delikte. Für die Vernehmung von jugendlichen Zeugen sah das Gesetz einige Sonderregelungen vor.
21
Mit dem „Zeugenschutzgesetz“ waren hohe Erwartungen in der Rechtspraxis verbunden. Der damit geschaffene weitreichende prozessuale Schutz von Zeugen war für nicht wenige Anlass zur Mahnung, den wesentlichen Zweck des Strafverfahrens, dem Beschuldigten ein rechtsstaatliches Verfahren und effektive Verteidigungsmöglichkeiten zu gewährleisten, nicht aus den Augen zu verlieren[5]. In der wissenschaftlichen Diskussion über den erreichten Zeugenschutz wurden verschiedene Aspekte herausgearbeitet, die einer weiteren Verstärkung des Zeugenschutzes entgegenstünden. Neben dem Recht des Beschuldigten auf ein faires Verfahren, rückte mitunter auch das staatliche Interesse an der Tataufklärung in den Blickpunkt des Interesses: So sei bspw. ein grundsätzliches Recht auf Zeugnisverweigerung im Falle der Gefährdung auch deshalb zu weitgehend, weil andernfalls der Angeklagte durch Drohungen vorhandene Zeugen als Beweismittel ausschalten könnte[6].
Anmerkungen
Sog. „Mainzer Modell“; siehe LG Mainz NJW 1996, 208.
BR-Drucks. 13/4983 v. 19.6.1996.
BT-Drucks. 13/7165 v. 11.3.1997.
BGBl. I, 820 v. 8.5.1998.
vgl. etwa Rieß NJW 1998, 3240, 3243; Caesar NJW 1998, 2313, 2317.
BGHSt 33, 70; ausführlich vgl. dazu Teil 6.
Teil 1 Die Entwicklung der Schutzrechte zugunsten des Verletzten › V. Täter-Opfer-Ausgleich – Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs vom 20.12.1999
V. Täter-Opfer-Ausgleich – Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs vom 20.12.1999
22
Die Möglichkeiten sowie Vor- und Nachteile eines Täter-Opfer-Ausgleichs sind seit langem Gegenstand der wissenschaftlichen Diskussion[1]. Konkrete Gestalt hatte dieses Institut erstmals im Rahmen des sog. „Opferschutzgesetzes“ aus dem Jahre 1986[2] in der Weise angenommen, dass § 46 StGB entsprechend ergänzt wurde. Nachdem der Täter-Opfer-Ausgleich durch das „1. Gesetz zur Änderung des Jugendgerichtsgesetzes“ vom 30.9.1990[3] in den Katalog möglicher Weisungen des JGG aufgenommen wurde, fügte schließlich das sog. „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ vom 28.10.1994[4] nach den Empfehlungen des 59. Deutschen Juristentags 1992 den § 46a StGB in das Strafgesetzbuch ein. Dennoch blieb das Rechtsinstitut in der Praxis nahezu bedeutungslos. Um dem Täter-Opfer-Ausgleich mehr Geltung zu verschaffen, wurde dieser schließlich durch das „Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs“ vom 20.12.1999[5] im Katalog des § 153a Abs. 1 S. 2 StPO sowie in § 155a StPO verankert. Dadurch erhielt dieser auch eine verfahrensrechtliche Grundlage.[6]
Anmerkungen
Einen Überblick über die Positionen der Befürworter liefert BMJ (Hrsg.) TOA in Deutschland, 1998; ablehnend z.B. Naucke Neue Kriminalpolitik 1990, 13-17.
BGBl. I, 2496 v. 24.12.1986.
BGBl. I, 1853 v. 5.9.1990.
BGBl. I, 3186 v. 4.11.1994.
BGBl. I, 2491 v. 27.12.1999.
ausführlich zu TOA, vgl. Teil 6 Rn.