c) Rechtsstellung des Verletzten
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Das Gesetz zur strafverfahrensrechtlichen Verankerung des Täter-Opfer-Ausgleichs und zur Änderung des Gesetzes über Fernmeldeanlagen vom 20. Dezember 1999[131] nimmt die Möglichkeit des Täter-Opfer-Ausgleichs in § 153a StPO auf und fügt §§ 155a, 155b StPO ein.
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Das Opferrechtsreformgesetz vom 24. Juni 2004[132] enthält eine Fülle von Nachbesserungen, Erweiterungen und Präzisierungen und will das Adhäsionsverfahren attraktiver gestalten u.a. durch die Möglichkeit eines Vergleichs (§ 405 StPO). Vor dem Strafrichter und dem Schöffengericht können statt der Aufnahme der wesentlichen Ergebnisse der Vernehmungen nun auch Tonbandaufzeichnungen gemacht werden (§ 273 Abs. 2 S. 2 bis 4 StPO n.F.), die im Berufungsverfahren abgespielt werden dürfen (§ 323 Abs. 2 StPO), um Opferzeugen eine zweimalige gerichtliche Vernehmung zu ersparen.
58
Die Erweiterung des § 154c StPO durch das 37. StrÄndG vom 11. Februar 2005[133] soll die Anzeigebereitschaft des Opfers einer Nötigung oder Erpressung fördern.
4. Internationales
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Die Ratifikation des Rom-Status des Internationalen Strafgerichtshofs[134] und die Schaffung des Völkerstrafgesetzbuchs[135] erforderten einige Anpassungen, namentlich die Einschränkung der Immunitätsvorschriften im neuen § 21 GVG. Zuständig für die Verfolgung der Völkerstraftaten sind der Generalbundesanwalt und im ersten Rechtszug die Oberlandesgerichte.[136] Von der Verfolgung der dem Universalitätsprinzip unterliegenden Völkerstraftaten kann nach Maßgabe des neuen § 153f StPO abgesehen werden.
III. Die Entwicklung von 2005 bis 2013
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In der 16. und 17. Legislaturperiode wurden durch 40 Gesetze 215 Änderungen an Vorschriften der StPO vorgenommen.
1. Modernisierung
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Das 2. Justizmodernisierungsgesetz vom 22. Dezember 2006[137] enthält nur wenige Änderungen der StPO. § 47 Abs. 3 StPO regelt nun, dass bei Durchbrechung der Rechtskraft nach Wiedereinsetzung in den vorigen Stand die Haft- und Unterbringungsbefehle sowie sonstige Anordnungen, die zum Zeitpunkt des Eintritts der Rechtskraft bestanden haben, wieder wirksam werden. Entsprechendes gilt bei der Rechtskrafterstreckung auf Mitangeklagte, § 357 S. 2 StPO.
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Wohl auch unter der Rubrik „Modernisierung“ einzuordnen ist das Verständigungsgesetz vom 29. Juli 2009,[138] das im Wesentlichen die Rechtsprechung des BGH zu den Urteilsabsprachen kodifiziert mit der Zentralvorschrift des § 257c StPO und einigen flankierenden Normen (§§ 35a, 160b, 202a, 212, 257b StPO) nebst Änderungen der §§ 243, 267, 273 und 302 StPO. Der Gesetzgeber hat ohne Problembewusstsein und in der falschen Annahme, dies entspreche der herrschenden Meinung in der Wissenschaft, gemeint, dass diese Regelung mit den bisherigen in der StPO geltenden Prozessmaximen vereinbar sei.[139] Das BVerfG hat das theorielose Gesetz in einer weithin theorieabstinenten Entscheidung im Angesicht einer massiv gesetzeswidrigen Praxis „derzeit“ für verfassungskonform erklärt.[140]
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Mit § 154f StPO wurde 2009[141] ein Pendant zu § 205 StPO geschaffen und nun auch der Staatsanwaltschaft die vorläufige Einstellung des Verfahrens ermöglicht, wenn ein Verfahrenshindernis vorliegt. Das Gesetz zur Stärkung der Täterverantwortung vom 15. November 2012[142] ergänzt § 153a StPO um die Auflage der Teilnahme an sozialen Trainingskursen, das 5. Gesetz zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes und anderer Gesetze vom 28. August 2012[143] die Auflage der Teilnahme an einem Aufbau- oder Fahreignungsseminar nach Maßgabe des StVG.
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Als einheitlicher Gerichtsstand für Straftaten, die außerhalb des Geltungsbereiches dieses Gesetzes von Soldatinnen oder Soldaten der Bundeswehr in besonderer Auslandsverwendung (§ 62 Abs. 1 SG) begangen werden, wurde durch Gesetz vom 21. Januar 2013[144] in § 11a StPO die Stadt Kempten festgelegt. Zu den Vorteilen der Zuständigkeitskonzentration gehört die sachliche Spezialisierung (Kenntnis der militärischen Abläufe und Strukturen, Erfahrung mit Auslandsermittlungen). Kempten wurde gewählt, weil die bayerische Justiz dort bereits eine entsprechende Schwerpunktstaatsanwaltschaft eingerichtet hatte.[145]
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Das Gesetz zur Intensivierung des Einsatzes von Videokonferenztechnik in gerichtlichen und staatsanwaltlichen Verfahren vom 25. April 2013[146] erlaubt in einer Reihe von Situationen den Einsatz der zeitgleichen audiovisuellen Übertragung, so in § 58b StPO bei der Zeugenvernehmung außerhalb der Hauptverhandlung, bei der Haftprüfung (§ 118 Abs. 2 StPO) und der Anhörung im Rahmen der sofortigen Beschwerde (§ 462 Abs. 2 S. 2 StPO), bei der Vernehmung eines Angeklagten, der von der Pflicht zum Erscheinen entbunden wurde, durch das zuständige Gericht nach § 233 Abs. 2 S. 3 StPO. Auch ein Sachverständiger kann zugeschaltet werden nach § 247a Abs. 2 StPO, sofern es nicht um Unterbringung geht, ebenso der Dolmetscher nach Maßgabe des neuen § 185 Abs. 1a GVG.
2. Ermittlungsbefugnisse
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Die Vorschriften über die Telekommunikationsüberwachung wurden 2007 umfassend überarbeitet,[147] die §§ 100a, 100b, 100f bis 101 StPO neu gefasst, die Straftatenkataloge erweitert und etliche Präzisierungen namentlich von Datenverwendungsregeln (z.B. § 161 Abs. 2 n.F. StPO) vorgenommen. In Umsetzung der Richtlinie 2004/24/EG wird die „Vorratsdatenspeicherung“ von Telekommunikationsverbindungsdaten eingeführt (§ 100g StPO, §§ 113a, 113b TKG), die das BVerfG mit Urteil vom 2. März 2010 für nichtig erklären wird[148]. Generell wird der Sprachgebrauch von (Ermittlungs-)„Richter“ auf „Gericht“ und von „Informationen“ auf „Daten“ umgestellt.
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Ergänzend wird § 100j StPO neu eingefügt durch das Gesetz zur Änderung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft vom 20. Juni 2013,[149] der die Auskunft über und Speicherung von Bestandsdaten im Sinne von §§ 111, 113 Abs. 1 S. 1 und 2 TKG ermöglicht.
a) Rechtsstellung des Beschuldigten
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Als Reaktion auf die Plenarentscheidung des BVerfG vom 30. April 2003[150] hat der Gesetzgeber die sogenannte Anhörungsrüge in §§ 33a, 356a StPO eingefügt,[151] deren Unterlassen zur fehlenden Ausschöpfung des Rechtswegs führt, womit auch der Weg zum BVerfG verschlossen ist.
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Angesichts der zahlreichen Verurteilungen Deutschlands durch den EGMR wegen überlanger Verfahrensdauer (Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK), namentlich der Rüge fehlenden Rechtsschutzes,[152] sieht das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren vom 24. November 2011[153] einen Entschädigungsanspruch bei unangemessener Dauer eines Strafverfahrens einschließlich des Vorverfahrens (§§ 198, 199 GVG) vor, der bei der