b) Rechtsstellung von Zeugen und Verletzten
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Verbessert wird durch das OrgKG auch der Zeugenschutz durch Änderung der §§ 68, 168a, 200, 222 StPO, § 172 GVG. Das Begleitgesetz vom 23. Juli 1992[102] erstreckt die berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechte auf Berater für Fragen der Betäubungsmittelabhängigkeit (§ 53 Abs. 1 Nr. 3b, 97 StPO). Weitere Einzeländerungen betreffen die Erstreckung der berufsbezogenen Zeugnisverweigerungsrechte auf psychologische Psychotherapeuten und Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten (§ 53 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 StPO)[103].
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Allein der Verbesserung der Zeugenstellung ist das Zeugenschutzgesetz vom 30. April 1998[104] gewidmet, das insbesondere, aber nicht nur auf Erfahrungen mit der Vernehmung kindlicher Zeugen in Verfahren wegen sexuellen Missbrauchs reagiert. Ermöglicht und mitunter empfohlen wird die Aufzeichnung von Zeugenaussagen auf Bild- und Tonträger (§ 58a StPO), die in der Hauptverhandlung verwertbar sind (§ 255a StPO). Ermöglicht wird auch eine audiovisuelle Distanzvernehmung (§ 247a StPO). Ferner können Zeugen (§ 68b StPO) und Nebenkläger (§ 397a StPO) nun anwaltlichen Beistand gestellt bekommen. Das Opferanspruchssicherungsgesetz (OASG) vom 8. Mai 1998[105] verschafft dem Verletzten ein gesetzliches Pfandrecht an Forderungen, die Tatbeteiligte durch eine öffentliche Darstellung der Tat („Vermarktung“) gegen Dritte erwerben.
II. Die Entwicklung von 1998 bis 2005
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In der 14. und 15. Legislaturperiode wurden 160 Vorschriften der StPO durch 49 Gesetze geändert.[106] Vielfach handelte es sich um Folgeänderungen, so z.B. machte die Einführung der vorbehaltenen und nachträglichen Sicherungsverwahrung in §§ 66a, 66b StGB entsprechende Verfahrensregeln (§§ 268d, 275a StPO) und Zuständigkeitsregeln nötig (§§ 74f, 120a GVG).[107]
1. Modernisierung
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Unter dem Stichwort Modernisierung lässt sich das Gesetz zur Stärkung der Unabhängigkeit der Richter und Gerichte vom 22. Dezember 1999[108] fassen, das die 1972 eingeführte Präsidialverfassung der Gerichte überarbeitet. Aufgrund des Zustellungsreformgesetzes vom 25. Juni 2001[109] gelten für die Zustellung im Strafverfahren die Vorschriften der ZPO entsprechend (§ 37 Abs. 1 StPO).
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Das Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004 hat sich die Modernisierung auf die Fahnen geschrieben, ist aber weniger innovativ als dass es Entwicklungen der Praxis nachvollzieht, so durch die Abschaffung der Regelvereidigung (§§ 59 bis 66 n.F. StPO) und der Erweiterung der Sachentscheidungsbefugnis der Revisionsgerichte in § 354 Abs. 1a und 1b StPO[110]. In Verhandlungen vor dem Amtsrichter kann dieser nun auf einen Protokollführer verzichten (§ 226 Abs. 2 StPO), wodurch die ohnehin verfehlte absolute Beweiskraft des Protokolls gem. § 274 StPO, die eine personale Trennung von Richter und Protokollführer voraussetzt, noch problematischer wird. Weiter verlängert werden die Unterbrechungsfristen in § 229 StPO; die Ersetzung des Personalbeweises durch den Urkundsbeweis wird durch die Erweiterung und Neufassung der Verlesungsmöglichkeiten in §§ 251, 256 StPO vorangetrieben. Eine bloße Änderung des Sprachgebrauchs, die jedoch von der Polizei lange gewünscht worden war, ist die Umbenennung der „Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft“ in § 152 GVG in „Ermittlungspersonen“. Vereinfacht wurden die Regelungen über Wahl und Heranziehung der Schöffen.[111]
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Eine Rechtsgrundlage für den elektronischen Rechtsverkehr mit Gerichten und Staatsanwaltschaften wird mit § 41a StPO geschaffen;[112] die die Einzelheiten regelnde Rechtsverordnung ist noch nicht erlassen worden. Die „elektronische Akte“ lässt im Strafverfahren noch etwas auf sich warten.[113]
2. Ermittlungsbefugnisse
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Das StVÄG 1999[114] regelt den Steckbrief (Ausschreibung zur Festnahme) neu in detaillierten Vorschriften (§§ 131 bis 131c StPO), wandelt die zuvor zumeist als bloße Aufgabenzuweisungen verstandenen Generalklauseln der §§ 161, 163 StPO in Befugnisse für niederschwellige Eingriffe um und ergänzt sie um die Vorschrift über die längerfristige Observation (§ 163f StPO).
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Das StPOÄndG 2002 vom 20. Dezember 2001[115] schafft mit den §§ 100g, 100h StPO die zunächst bis zum 1. Januar 2005 befristeten – weil der Gesetzgeber die Absicht einer systematisch stimmigen Gesamtregelung hegte[116] – Grundlagen für Auskünfte über Telekommunikationsverbindungsdaten als Ersatz für den alten § 12 FAG. Bald danach wurde die Aufenthaltsbestimmung via Mobilfunk (sog. IMSI-Catcher) in § 100i StPO hinzugefügt.[117] Nach der Entscheidung des BVerfG zum „großen Lauschangriff“[118] hat der Gesetzgeber alsbald nach den Vorgaben des Gerichts eine komplizierte Neuregelung in §§ 100c bis 100e StPO erlassen,[119] die die eigentümliche Figur einer nur für die Entscheidung über die Wohnraumbewachung zuständigen Spezialstrafkammer schuf[120].
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Die strafprozessuale DNA-Analyse ist mehrfach erweitert worden[121] unter Beibehaltung des Richtervorbehalts; die DNA-Reihenanalyse („Massengentest“) hat eine Grundlage in § 81h StPO gefunden[122].
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Nachdem die Rechtsprechung des BVerfG die Anforderungen an die Eilkompetenz bei Durchsuchungen verschärft hat, hat der Gesetzgeber in § 22c GVG einen die Gerichtsgrenzen überschreitenden richterlichen Bereitschaftsdienst vorgesehen.[123] Bei einer Durchsuchung können seit dem 1. JuMoG die Papiere des Betroffenen auf staatsanwaltliche Anordnung hin nun auch von Polizeibeamten durchgesehen werden (Änderung des § 110 StPO).[124] Die Pflicht, den Betroffenen über den Termin der Durchsicht zu informieren (Aufhebung des § 110 Abs. 3 StPO), wurde gestrichen, weil der Beidrückung des eigenen Siegels des Betroffenen keine Bedeutung mehr zukomme,[125] womit allerdings der Wegfall der Teilnahme bei der Durchsicht nicht erklärt wird.
a) Rechtsstellung des Beschuldigten
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Das StVÄG 1999[126] verbessert das Akteneinsichtsrecht (§ 147 Abs. 5 und 7 n.F. StPO), das nun erstmals, wie von der EMRK gefordert, auch dem unverteidigten Beschuldigten gewährt wird, allerdings nur eingeschränkt. Dem achten Buch werden detaillierte Vorschriften über die Erteilung von Auskünften, Akteneinsicht und sonstige Verwendung von Informationen für verfahrensübergreifende Zwecke hinzugefügt (§§ 474 bis 491 StPO n.F.). Auch die Vorschriften über Dolmetscher und Verständigungshilfen bei Hör- oder Sprachbehinderten, §§ 186, 187 GVG, wurden verbessert.[127]
b) Rechtsstellung des Zeugen
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Als Begleitmaßnahme zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität ist das Gesetz zur Harmonisierung des Schutzes gefährdeter Zeugen vom 11. Dezember 2001[128] ergangen, da zuvor der Schutz solcher Zeugen auf unzureichender Rechtsgrundlage erfolgte, nämlich gestützt entweder auf die polizeirechtlichen Generalklauseln, den strafrechtlichen Notstand oder Verwaltungsrichtlinien.