Aufgrund der Erfahrungen mit den ersten Verfahren wegen der terroristischen Gewalttaten der RAF wurde die Höchstzahl der Wahlverteidiger begrenzt (§ 137 StPO) und die Verhandlung in Abwesenheit des verhandlungsunfähigen oder sich ordnungswidrig verhaltenden Angeklagten ermöglicht (§§ 231a, 231b StPO),[51] das Erklärungsrecht nach jeder Beweisaufnahme beschränkt (§ 257 unter Streichung des 1964 eingeführten damaligen § 257a StPO), die Ordnungsmittel bei Ungebühr erweitert in §§ 177, 178 GVG usw.
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Zwischendurch erging das Gesetz über das Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter von Presse und Rundfunk vom 25. Juli 1975,[52] das die §§ 53, 97 und 98 StPO ergänzte und die §§ 111m, 111n StPO einfügte, weil das BVerfG die Regelungen der entsprechenden Zeugnisverweigerungsrechte in den Landespressegesetzen für nichtig erklärt hatte.[53]
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Drei weitere Gesetze sollten der Bekämpfung des Terrorismus dienen. Das oft als erstes Antiterrorismusgesetz bezeichnete StGBÄndG vom 18. August 1976[54] schuf den Tatbestand der Bildung terroristischer Vereinigungen (§ 129a StGB) und als flankierende verfahrensrechtliche Maßnahmen die Strafverfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts in § 120 GVG, die entsprechende Inhaftierungsmöglichkeit in § 112 Abs. 3 StPO, den Verteidigerausschluss auch in anderen Verfahren (§§ 138a, 138c StPO) sowie die Überwachung des schriftlichen Verkehrs des Verteidigers mit dem inhaftierten Beschuldigten (§§ 148 Abs. 2, 148a StPO). Als Reaktion auf die Entführung des Arbeitgeberpräsidenten Schleyer wurde das sog. „Kontaktsperregesetz“ vom 30. September 1977[55] erlassen, das die vollständige Unterbrechung jeden Kontakts zwischen inhaftierten Terroristen und der Außenwelt ermöglichte (§§ 31 bis 37 EGGVG). Das auf die Ermordung von Ponto, Schleyer und Buback folgende StPÄG vom 14. April 1978[56] erweiterte die Durchsuchungsbefugnisse, führte Ermächtigungen für Kontrollstellen (§ 111 StPO) und Identitätsfeststellungen ein (§§ 163b, 163c StPO), senkte bei Verfahren nach § 129a StGB die Verdachtsschwelle für den Verteidigerausschluss und sah Trennscheiben für das mündliche Verteidigergespräch vor, die die Übergabe von Schriftstücken und anderen Gegenständen verhindern sollen (§ 148 Abs. 2 S. 3 StPO).
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Demgegenüber knüpfte das StVÄG 1979[57] zwar an das 1. StVRG an, sollte jedoch nach den Worten des damaligen Bundesjustizministers „keine echte Weiterführung der … begonnenen Totalerneuerung“[58] des Strafverfahrensrechts bedeuten. Vielmehr wurde der Akzent noch stärker auf die Verfahrenserleichterung und Beseitigung von Ablaufhemmnissen gelegt, insbesondere durch eine Vielzahl von Maßnahmen gegen die als missbräuchlich angesehene Ausübung von Verfahrensrechten.[59] Dazu gehören die Möglichkeit der Fortführung des Verfahrens trotz Ablehnungsgesuchs (§ 29 Abs. 2 StPO), Besetzungsrügepräklusion in erstinstanzlichen Verfahren vor dem LG und OLG (§§ 222a, 222b StPO), Irrevisibilität unanfechtbarer Zwischenentscheidungen (§ 336 S. 2 StPO), Einführung des – die Prinzipien der Mündlichkeit und Öffentlichkeit beeinträchtigenden – Selbstleseverfahrens (§ 249 Abs. 2 StPO) und Einschränkung der Verwendung präsenter Beweismittel in § 245 StPO. Der Vereinfachung dienen insbesondere die erweiterten Möglichkeiten der Beschränkung des Verfahrensstoffs in §§ 154, 154a StPO, Vereinfachung der Protokollierung gem. §§ 168, 168a StPO, „Beurlaubung“ eines Angeklagten, sofern die gegen mehrere Mitangeklagte geführte Hauptverhandlung ihn nicht betrifft (§ 231c StPO) usw.[60] Strafbefehle können nun auch vom Schöffengericht erlassen werden.
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In der Zeit zwischen 1979 bis 1986 war das Strafverfahrensrecht überwiegend bloßen Folgeänderungen ausgesetzt[61] wie der Einfügung der Umweltdelikte in das StGB durch das 18. StrÄndG,[62] der § 10a StPO folgt, der Schaffung der Reststrafenaussetzung bei lebenslanger Freiheitsstrafe durch das 20. StrÄndG,[63] worauf § 454 StPO folgt, sowie Änderungen der §§ 453 ff. StPO als Konsequenz des 23. StrÄndG,[64] das die Strafaussetzung auf Bewährung insgesamt erweiterte. Das im Zeichen der Terrorismusbekämpfung stehende StPÄG vom 19. April 1986[65] führte den Datenabgleich in § 163d StPO ein, das Terrorismusbekämpfungsgesetz vom 19. Dezember 1986[66] dehnte mit der erstinstanzlichen Zuständigkeit des Oberlandesgerichts die Verfolgungszuständigkeit des Generalbundesanwalts aus (§§ 120 Abs. 2, 142a Abs. 4 GVG n.F.). Die im Gesetzentwurf enthaltene, als fakultatives Verfolgungshindernis ausgestaltete Kronzeugenregelung[67] ließ sich nicht durchsetzen[68] und wurde wenig später im StGBÄndG 1989[69] realisiert.
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Mit dem StVÄG 1987[70] knüpft der Gesetzgeber thematisch an das 1. StVRG und StVÄG 1979 an, insofern es vorrangig wieder um Entlastung, Vereinfachung und Beschleunigung geht. Zugleich wird deutlich, dass der noch das 1. StVRG beherrschende Impuls zu einer Gesamtreform nun endgültig erstorben ist.[71] Das Gesetz enthält eine Vielzahl punktueller Regelungen, wie die Verlängerung der Unterbrechungsfristen (§§ 229, 268 StPO), Erweiterung des Selbstleseverfahrens in § 249 Abs. 2 StPO, Verlesbarkeit nichtrichterlicher Protokolle im allseitigen Einverständnis gem. § 251 Abs. 2 S. 1 a.F. (entspricht heute § 251 Abs. 1 Nr. 1 StPO), Erweiterung der Bezugnahmen in den Urteilsgründen nach § 267 Abs. 4 S. 1 StPO und Einschränkung des Inhaltsprotokolls § 273 Abs. 2 StPO. Die in § 328 Abs. 2 a.F. StPO enthaltene Befugnis des Berufungsgerichts, wegen eines Verfahrensfehlers zurückzuverweisen, entfällt. Das Strafbefehlsverfahren soll vorrangig genutzt werden und wird deshalb modernisiert, der Strafbefehlsantrag in der Hauptverhandlung eingeführt (§ 408a StPO), die Einspruchsfrist verlängert, der unanfechtbare Strafbefehl dem rechtskräftigen Urteil gleichgestellt (§ 410 StPO) bei erleichterter Wiederaufnahme (§ 373a StPO). Gestärkt wird aber auch das Recht auf Verteidigung, indem der Beschuldigte nun mehr Einfluss auf die Auswahl des Pflichtverteidigers bekommt (§ 142 StPO), das Verbot der Mehrfachverteidigung wieder eingeschränkt (§§ 146, 146a StPO) und die notwendige Verteidigung ausgebaut wird.
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Den Beginn einer neuen inhaltlichen Entwicklungslinie[72] markiert der Erlass des zeitgleich mit dem StVÄG 1987 in Kraft getretenen Opferschutzgesetzes vom 18. Dezember 1986.[73] Der internationale rechtspolitische Trend, der das mutmaßliche[74] Tatopfer bzw. den Verletzten als eigenständigen Akteur des Strafverfahrens sieht und mittlerweile bald vier Jahrzehnte anhält, löste in Deutschland zu Beginn der 1980er Jahre eine Reformdiskussion aus, die den 55. DJT beschäftigte[75] und schließlich rasch[76] zu einem ersten Gesetz führte, das dem bisher im Strafprozess allenfalls als Zeuge oder Augenscheinsobjekt fungierenden Opfer Ansätze einer eigenen Rolle zuwies. Neu geregelt wurde die Nebenklage und für alle Verletzten die Beteiligtenbefugnisse und Informationsrechte der §§ 406d bis 406h StPO. Eine Erweiterung des Persönlichkeitsschutzes, namentlich des Schutzes vor Bloßstellung des Verletzten in der Öffentlichkeit und vor unzumutbarer Konfrontation mit dem mutmaßlichen Schädiger, ist in § 68a StPO (Vermeidung von Fragen aus dem persönlichen Lebensbereich), § 247 S. 2 StPO (Entfernung des Angeklagten) und § 171b GVG (Ausschluss der Öffentlichkeit bei Erörterung von Umständen aus dem persönlichen Lebensbereich eines Verletzten) vorgesehen. Verstärkt in den Blick rückt auch die Schadenswiedergutmachung, die durch Änderungen im Adhäsionsverfahren (§§ 403 ff. StPO), Berücksichtigung bei der Vollstreckung von Geldstrafen (durch Gewährung von Zahlungsaufschub, § 459a StPO) und Strafzumessungsrelevanz von Ausgleichsbemühungen des Täters (§ 46 Abs. 2 S. 2 StGB) gefördert werden soll.
C. Die Zeit von 1987 bis heute
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Die folgende Entwicklung ist nicht mehr von umfassenden und langfristigen Vorhaben geprägt, vielmehr wird der Gesetzgeber zumeist reaktiv tätig, vor allem immer wieder zur Justizentlastung und zur „Bekämpfung“ bestimmter Erscheinungsformen der Kriminalität sowie zur Gestaltung von Einzelthemen. Im Folgenden wird versucht, die wichtigsten der zahlreichen Änderungen thematisch zu ordnen, wobei nicht selten mehrfache Zuordnungen möglich sind; der Übersicht halber werden zeitliche Unterteilungen nach je zwei bis drei Wahlperioden vorgenommen. Die leitenden Themen,