I. Sachverhalt
Die Betroffene wurde mehrfach von Nachbarn und der Polizei als hilflose Person aufgegriffen und nach Hause gebracht. Der Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung lagen folgende Vorkommnisse zu Grunde:
– | 26.5.2015: Die Betroffene steht nachts am geöffneten Schlafzimmerfenster im ersten Stock ihres Hauses und schreit längere Zeit um Hilfe. Die Betroffene argwöhnt, in einem Museum eingeschlossen zu sein und Hilfe zu benötigen. Dies bezeugten mir gegenüber die Nachbarn … |
– | 6.2.2016: Die Betroffene irrt nachts um 22 Uhr barfuß und lediglich mit einem Hemd bekleidet durch die Straße. Glücklicherweise führt der Nachbar XY gerade seinen Hund aus und bringt die inzwischen völlig ausgekühlte Betroffene zurück in ihr Haus. |
– | 18.2.2016: Die Betroffene wird in leicht bekleideten Zustand 150 m von ihrer Haustür entfernt vom Nachbarn AB in verwirrtem, orientierungslosem Zustand vor dem Grundstück mit der Hausnummer 78 vorgefunden. |
– | 24.2.2016: Die Betroffene irrt hilflos in der Hermannstraße umher, wird von der Polizei aufgegriffen und nach Hause gebracht. |
Glücklicherweise konnte bis dato durch ein gut funktionierendes nachbarschaftliches Netz Schlimmeres verhindert werden. Ich tätigte persönliche Rücksprachen mit den vorbezeichneten Nachbarn, die mir glaubhaft die vorstehenden Ereignisse schilderten.
II. Rechtslage
Das planlose Herumirren eines Betroffenen ohne Beachtung des Straßenverkehrs und ohne notwendige Kleidung stellt sich nach der Rechtsprechung (OLG München OLGReport 2006, 73; OLG Frankfurt/Main FamRZ 1994, 992) als eine erhebliche Selbstgefährdung i.S.d. §§ 1906 Abs. 1 Nr. 1 dar (Jurgeleit/Kieß Betreuungsrecht, 3. Auflage, § 1906 BGB, Rn. 19).
In Ansehung der geschilderten selbstgefährdenden Verhaltensweisen der Betroffenen ist deren weiterer Verbleib in ihrer Häuslichkeit nicht länger vertretbar. Das Leben und die körperliche Unversehrtheit der Betroffenen bedürfen des Schutzes vor eigengefährdendem Verhalten. Das gerichtsseits eingeholte Gutachten des psychiatrischen Sachverständigen bekräftigt dies in beeindruckender Form. Es wird die Diagnose einer fortgeschrittenen Demenz mit Weglauftendenz, am ehesten vom Alzheimer-Typ, beschrieben.
Nach alledem ist die von dem Betreuer initiierte geschlossene Unterbringung in einem speziell für Demenzkranke ausgerichteten Wohnprojekt zu befürworten.
Unterschrift Verfahrenspflegerin
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Dem folgenden Bericht liegt eine Verfahrenspflegerbestellung II. Instanz zu Grunde. Das Amtsgericht hatte eine Betreuerbestellung vorgenommen mit den Aufgabenkreisen Vermögenssorge, Wohnungsangelegenheiten, Aufenthaltsbestimmung, Postangelegenheiten sowie Vertretung vor Behörden und Gerichten. Zudem wurde im Aufgabenkreis der Vermögenssorge ein Einwilligungsvorbehalt angeordnet. Ferner hatte die Betroffene kurz vor der Betreuerbestellung eine notarielle Vorsorgevollmacht an Herrn B. erteilt. Dieser hatte wegen umfangreicher Renovierungs- und Instandsetzungsarbeiten an dem Wohn- und Mietshaus der Betreuten zahlreiche Aufträge an Bauhandwerker erteilt. Herr B veranlasste den Ausgleich von Handwerkerrechnungen vom Konto der Betroffenen. Die Wirksamkeit der Vorsorgevollmacht war fraglich.
Anmerkungen
A.A. BayObLG BtE Nr. 8 zu § 67 FGG.
Pohl BtPrax 1992, S. 19/23.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › IX. Die Anhörung des Betroffenen
IX. Die Anhörung des Betroffenen
252
Nach § 278 FamFG ist die vorherige Anhörung des Betroffenen durch das Gericht in folgenden Situationen obligat:
– | Bestellung eines Betreuers oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes, § 278 FamFG, |
– | Erweiterung um oder auf einen nicht unerheblichen Aufgabenkreis, § 293 Abs. 1, 2 FamFG, |
– | Verlängerung der Betreuerbestellung oder des Einwilligungsvorbehaltes, § 295 Abs. 1 S. 1 FamFG, |
– | Bestellung eines weiteren Betreuers unter Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung, § 293 Abs. 3 FamFG, |
– | der nicht unwesentlichen Erweiterung des Kreises der einwilligungsbedürftigen Willenserklärungen, § 293 Abs. 1 FamFG, |
– | Genehmigung einer Sterilisation, § 297 Abs. 3 FamFG oder einer Kastration, § 6 KastrG, |
– | Genehmigung einer gefährlichen Untersuchung, Heilbehandlung oder ärztlichen Eingriffs, § 298 Abs. 1 FamFG, |
– | Weitere Genehmigungen im Rahmen des § 299 FamFG (Soll-Regelung bei Genehmigungen nach §§ 1821–1823, 1825 BGB, Muss-Regelung bei Genehmigungen nach § 1907 Abs. 1 BGB – Wohnungsaufgabe). |
253
Das Gericht hat den Betroffenen grundsätzlich persönlich anzuhören, §§ 34 Abs. 1 Nr. 2, 278 Abs. 1 S. 1 FamFG. Eine fernmündliche oder schriftliche Anhörung ist ebenso wenig wie die Anhörung eines Verfahrensbevollmächtigten ausreichend; der Betreuungsrichter ist zur Verschaffung eines persönlichen Eindrucks verpflichtet, § 278 Abs. 1 S. 2 FamFG.
254
Demgegenüber besteht keine Verpflichtung zur Anhörung des Betroffenen bei der Bestellung eines Gegenbetreuers nach §§ 1792, 1908i Abs. 1 BGB.[1] Einer erneuten Anhörung des Betroffenen bedarf es auch dann grundsätzlich nicht, wenn zunächst nur eine sog. Kontrollbetreuung angeordnet wurde und diese innerhalb von sechs Monaten erweitert worden ist.[2]
255
Das Ziel der Vorschrift liegt zum einen in einer Stärkung des Kontakts zwischen dem Betroffenen und dem Gericht, um auf diesem Wege zu einer Optimierung bei der Aufklärung aller entscheidungserheblichen Umstände zu gelangen.[3] Die Anhörung in der vertrauten Umgebung des Betroffenen (Wohnung, Pflegeheim, Betreutes Wohnen, Strafanstalt usw.) dient also dazu, dem Gericht verwertbare Erkenntnisse von der Persönlichkeit des Betroffenen, seinen Lebensverhältnissen und seinem sozialen Umfeld zu vermitteln; seine sozialen Kontakte und anderweitige Hilfen können so bei der Bestimmung der Aufgabenkreise und der Betreuerauswahl besser berücksichtigt werden.
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Zum anderen wird durch die Vorschrift das Verfassungsgebot des rechtlichen Gehörs konkretisiert, Art. 103 Abs. 1 GG, und sichergestellt, dass das Gericht den für seine Entscheidung unmittelbaren Eindruck von dem Betroffenen erhält. Funktionell zuständig zur Vornahme der Anhörung ist der für die Sachentscheidung zuständige Richter. Bei einem Dezernatswechsel ist – zur Vermeidung von Belastungen für den Betroffenen – eine erneute