Anmerkungen
BT-Drs. 11/4528, 172; BGH NJW 2013, 691 = FGPrax 2013, 26 = NJ 2013, 160.
OLG Düsseldorf FamRZ 1996, 1373.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › IX. Die Anhörung des Betroffenen › 2. Form der Anhörung
2. Form der Anhörung
278
Die Anhörung des Betroffenen erfolgt in nichtöffentlicher Sitzung, § 170 Abs. 1 S. 1 GVG. Der Betroffene und der Verfahrenspfleger sind rechtzeitig zu laden (§ 32 Abs. 2 FamFG). Zur Ladungsfrist trifft das FamFG keine ausdrückliche Regelung, die Bestimmungen aus der ZPO können aber als angemessen betrachtet werden. Sie sollen in Anwaltsprozessen mindestens eine Woche betragen, in anderen mindestens drei Tage (§ 217 ZPO).
Der Grundsatz der Nichtöffentlichkeit ist eine Schutzvorschrift zu Gunsten des Betroffenen. Dieser ist daher befugt, die Beteiligung einer Person seines Vertrauens zu verlangen, § 170 Abs. 1 S. 3 GVG, § 274 Abs. 4 FamFG. Die Vertrauensperson kann auch als Beistand, § 12 FamFG, teilnehmen. Das Gericht muss die Vertrauensperson nicht laden. Anderen Personen sowie der Öffentlichkeit allgemein kann, sofern der Betroffene ihrer Anwesenheit nicht widerspricht, die Teilnahme an der Anhörung gestattet werden, § 170 Abs. 1 S. 2 GVG. In Frage kommt vor allem der Mitarbeiter der Betreuungsbehörde.
279
Beispiel
Der Verfahrenspfleger der Frau Ingrid K., Rechtsanwalt Thomas O., bittet darum, dass Stationsreferendar Benjamin N. an der Anhörung partizipieren kann.
280
Die Entscheidung des Gerichts, sonstige Personen nicht zuzulassen, ist unanfechtbar. Demgegenüber kann der Betroffene mit dem Rechtsmittel der Beschwerde gegen die Nichtzulassung einer Person seines Vertrauens vorgehen. Bei der Durchführung der Anhörung ist auf die Art, den Grad der Erkrankung bzw. die Behinderung des Betroffenen Rücksicht zu nehmen und die Kommunikation entsprechend anzupassen.[1]
281
Das Betreuungsgericht kann den nach § 280 FamFG beauftragten Sachverständigen an der Anhörung teilnehmen lassen.[2] Es muss den Sachverständigen zur Anhörung laden, sofern dies der Betroffene oder der Verfahrenspfleger beantragte zwecks Erläuterung seines Gutachtens, analog §§ 398, 402 ZPO.
282
Es ist in das Ermessen des Gerichts gestellt, ob es im Rahmen der Anhörung des Betroffenen einen Sachverständigen, der nicht notwendig identisch sein muss mit demjenigen, der nach § 280 FamFG das Gutachten erstattete, hinzuzieht. Die Anwesenheit eines Sachverständigen ist nicht mehr in das Belieben des Gerichts gestellt, wenn nur auf diesem Wege eine Kommunikation mit dem Betroffenen, der hierzu noch im Stande ist, ermöglicht wird.
283
Beispiel
Der gehörlose Jens H. ist der Gebärdensprache mächtig. Bei der Anhörung ist zwingend ein Sachverständiger durch das Gericht zuzuziehen, der in der Lage ist, die Wünsche von Herrn H. zu verstehen und zu artikulieren.
284
In einem solchen oder ähnlichen Fall tritt auf Seiten des Gerichts eine Ermessensreduzierung auf Null ein, d.h., jede andere Entscheidung als die, einen Sachverständigen bei der Anhörung hinzuzuziehen, wäre verfahrensfehlerhaft und ein Verstoß gegen das Gebot zur umfassenden Aufklärung des Sachverhalts, § 26 FamFG. Allein auf diese Art und Weise wird der gesetzgeberische Auftrag realisiert, dass falsche Weichenstellungen zu Lasten des Betroffenen vermieden werden, die allein aus dem Umstand resultieren, dass das Gericht nicht in der Lage ist, die verbale oder nonverbale Kommunikation des Betroffenen zu verstehen.
Anmerkungen
Jurgeleit/Bucic BtR, § 278 FamFG Rn. 12.
BT-Drs. 16/6308, 267.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › IX. Die Anhörung des Betroffenen › 3. Unterbleiben der Anhörung
3. Unterbleiben der Anhörung
285
§ 34 Abs. 2 i.V.m. § 278 Abs. 4 FamFG bestimmt, dass die persönliche Anhörung des Betroffenen nur dann unterbleiben kann, sofern nach dem ärztlichen Gutachten hierdurch erhebliche Nachteile für dessen Gesundheit zu befürchten sind oder dieser nach dem unmittelbaren Eindruck des Gerichts offensichtlich nicht in der Lage ist, seinen Willen kundzutun.
286
Zu den Voraussetzungen im Einzelnen: Die gesundheitlichen Nachteile, die bei dem Betroffenen eintreten können, müssen „erheblich“ sein, d.h. es muss die Gefahr einer ernstlichen Beeinträchtigung des Gesundheitszustands bestehen.[1] Ein vorübergehender Zustand ohne weitere Folgen genügt nicht. Auf die Anhörung kann nicht verzichtet werden, wenn den gesundheitlichen Nachteilen durch gezielte Maßnahmen, wie etwa einer effektiven Medikation, begegnet werden kann.
287
Zur Feststellung der Gesundheitsgefährdung ist ein ärztliches Gutachten erforderlich. Dieses ist von dem Sachverständigen nach vorheriger Untersuchung des Betroffenen schriftlich zu erstellen. In dem Gutachten soll der Sachverständige für das Gericht nachvollziehbar darlegen, welcher Gesundheitsschaden genau und aus welchem Grund bei dem Betroffenen zu erwarten ist. Die pauschale ärztliche Behauptung, die Anhörung wirke sich für den Betroffenen gesundheitsgefährdend aus, reicht nicht aus. Im Übrigen ist es Sache des Gerichts zu entscheiden, ob es die dargestellten Gründe für stichhaltig erachtet oder nicht.
288
Sieht das Gericht wegen des vorliegenden ärztlichen Gutachtens von der Anhörung des Betroffenen ab, so ist zwingend ein Verfahrenspfleger zu bestellen.[2] Das Gericht hat in seinem abschließenden Beschluss über die Betreuerbestellung die Gründe für die nicht erfolgte persönliche Anhörung des Betroffenen darzulegen.[3]
289
Beispiel
Beate K., die Tochter des vermögenden Siegfried D., der gerne Geld für Frauen ausgibt, hält ihren Vater für verschwendungssüchtig und beantragt eine Betreuung. Das von dem Gericht eingeholte Sachverständigengutachten kommt zu dem Schluss, dass Siegfried D. krankheitsbedingt den Überblick über seine finanziellen Verhältnisse verloren hat. Beate K. will selbst Betreuerin werden, diesen Umstand allerdings ihrem Vater verschweigen. Um eine persönliche Anhörung zu vereiteln, legt sie ein dezidiertes Gutachten des mit ihr befreundeten Neurologen Dr. Bruno N. vor, aus dem sich ergibt, dass hierdurch erhebliche gesundheitliche Gefahren für Herrn D. entstünden. Richter Ole E. erlässt daraufhin ohne weitere Anhörung von Siegfried D. eine Endentscheidung. Als er den Beschluss über die Betreuerbestellung von seiner Haushälterin vorgelesen bekommt, legt der Betroffene über Rechtsanwalt Klaus P. hiergegen das Rechtsmittel der einfachen Beschwerde ein.
290
Im vorliegenden