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Teilweise wird verlangt, das gerichtliche Anschreiben müsse den Betroffenen darüber aufklären, dass er zum einen verlangen kann, eine Vertrauensperson bei der Anhörung hinzuzuziehen, § 279 Abs. 3 FamFG, § 170 Abs. 1 S. 3 GVG, und dass zum anderen weiterhin einer Anhörung in seiner üblichen Umgebung widersprochen werden kann, § 278 Abs. 1 S. 3 FamFG. Dem ist jedoch nicht so. Eine derartige Belehrungspflicht ist weder gesetzlich vorgeschrieben noch ergibt sie sich aus einer gerichtlichen Fürsorgeverpflichtung. Ein Unterbleiben der Unterrichtung kann nicht mit Rechtsmitteln angegriffen werden. Der Reformgesetzgeber wollte es gerade dem Fingerspitzengefühl des tätigen Richters überlassen, wie im Einzelnen die gebotene Unterrichtung des Betroffenen vonstatten geht.[3]
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Eine Unterrichtung des Betroffenen durch das Gericht sieht etwa wie folgt aus:
Muster Unterrichtung des Betroffenen über Betreuungsanregung durch das Betreuungsgericht
Sehr geehrte Frau/sehr geehrter Herr,
Auf Grund Ihres Antrags vom (. . .)/einer Anregung prüft das Betreuungsgericht, ob Ihnen ein Betreuer zur Seite gestellt werden soll, der Sie bei der Regelung der nachstehenden Angelegenheiten unterstützt:
(. . .)
Das Gericht wird im Weiteren die Betreuungsbehörde (. . .) einschalten und um Abgabe eines Sozialberichts bitten. Man wird sich von dort aus mit Ihnen zwecks Terminsvereinbarung in Verbindung setzen.
Ferner hat das Gericht Herrn Dr. Frieder R., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, beauftragt, ein Sachverständigengutachten zur Erforderlichkeit einer Betreuungsanordnung zu erstellen. Der Sachverständige wird mit Ihnen von sich aus Kontakt aufnehmen.
Teilen Sie bitte dem Gericht ggf. unverzüglich Einwände gegen die Person des Sachverständigen mit.
Nach Vorliegen des Sozialberichtes und des Sachverständigengutachtens, die Ihnen ebenso zugestellt werden, wird das Gericht Sie in Ihrer Wohnung persönlich anhören, es sei denn, dass Sie hiergegen Widerspruch erheben. Bei der Anhörung kann auch eine Person Ihres Vertrauens zugegen sein.
Teilen Sie bitte mit, ob Sie bereits eine Vorsorgevollmacht, Patientenverfügung oder Betreuungsverfügung verfassten und wer dieses Dokument in Händen hält.
Mit freundlichen Grüßen
(Richterin am Amtsgericht)
Anmerkungen
BT-Drs. 11/4528, 172.
Jurgeleit/Bucic Freiwillige Gerichtsbarkeit, S. 669.
BT-Drs. 11/4528, 172.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › VI. Der Sozialbericht der Betreuungsbehörde
VI. Der Sozialbericht der Betreuungsbehörde
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Der Gesetzgeber legte in den Gesetzesmotiven zum BtG nieder, dass ein Gutachten über die „sozialen Gesichtspunkte“ des Betroffenen einzuholen ist.[1] Es kann sich demgemäß als ein schwerer Mangel der nach § 26 FamFG vom Gericht zu veranlassenden umfassenden Sachverhaltsaufklärung darstellen, wenn das Einholen eines so genannten Sozialberichts, § 279 Abs. 2 FamFG, § 8 S. 2 BtBG, unterbleibt.[2] Nach der vorbezeichneten Vorschrift ist die Betreuungsbehörde verpflichtet, das Gericht bei der Sachverhaltsfeststellung zu unterstützen. Voraussetzung ist allerdings ein konkreter Ermittlungsauftrag des Betreuungsgerichtes.[3] Die Behörde ist nur im Rahmen der vom Betreuungsgericht festgestellten Aufklärungsbedürftigkeit zu Ermittlungen befugt. Die Betreuungsbehörde darf allenfalls in dem kaum denkbaren Fall des greifbar sachfremden gerichtlichen Nachsuchens eine Tätigkeit verweigern.[4] Bei seinen Anfragen sind also vom Betreuungsgericht konkrete Angaben darüber vorzunehmen, zu welchem Sachverhalt eine Unterstützung bzw. Stellungnahme der Behörde erwartet wird.
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Der anzufertigende Sozialbericht soll Aufschluss über die Lebensverhältnisse und das soziale Umfeld des Betroffenen geben.
Der Sozialbericht soll sich nach dem Willen des Gesetzgebers insbesondere auf folgende Kriterien beziehen:
1. | persönliche, gesundheitliche soziale Situation des Betroffenen, |
2. | Erforderlichkeit der Betreuung einschließlich geeigneter anderer Hilfen (§ 1896 Abs. 2 BGB), |
3. | Betreuerauswahl unter Berücksichtigung des Vorrangs der Ehrenamtlichkeit (§ 1897 BGB) und |
4. | diesbezügliche Sichtweise des Betroffenen. |
Auf diesem Wege erhält das Gerichts beispielsweise Kenntnis von einer bereits existierenden Vollmacht oder aber einer Patientenverfügung des Betroffenen zu Gunsten eines Dritten, was gegebenenfalls die Erforderlichkeit der Betreuungsanordnung entfallen lässt. Ferner wird hierdurch dem Sachverständigen das zeitraubende Erheben einer Sozialanamnese erspart. Dem Arzt sollte vor der Erstellung seines Sachverständigengutachtens bereits der Sozialbericht vorliegen, § 280 Abs. 2 S. 2 FamFG.[5] Allein dieses Vorgehen stellt eine interdisziplinäre Beurteilung der Betreuungsbedürftigkeit sicher.
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Zwar ist im Gegensatz zur persönlichen Anhörung des Betroffenen durch das Gericht nach § 278 FamFG und der Vorlage eines Sachverständigengutachtens nach § 280 FamFG ein Bericht der Betreuungsbehörde nicht zwingend erforderlich für eine Betreuerbestellung.[6] Die Relevanz der Einbeziehung der Betreuungsbehörde in das anhängige Betreuungsverfahren unterstreicht jedoch auch der Abschlussbericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe „Betreuungsrecht“ in ihrem Abschlussbericht aus dem Jahre 2003. Dort war vorgeschlagen worden, die Betreuungsbehörde regelhaft um Stellungnahmen zu ersuchen und sogar im Zuge einer Strukturreform als „Eingangsinstanz“ zu nutzen.[7] Mit dem am 1.7.2014 in Kraft getretenen Gesetz zur Stärkung der Funktionen der Betreuungsbehörde ist nun die obligatorische Stellungnahme der Betreuungsbehörde (§ 279 Abs. 2 FamFG i.V.m. § 8 Abs. 1 BtBG) in das Betreuungsrecht aufgenommen worden.
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In der Tat bietet eine frühe Einschaltung der Betreuungsbehörde den Vorteil, dass deren besonders sozialpädagogisch geschulte Mitarbeiter im Vorfeld eines gerichtlichen Anhörungstermins die Angelegenheit mit dem Betroffenen erörtern und diesen gezielt auf das weitere Verfahren vorbereiten können. Zudem können aufgrund der Verzahnung der Betreuungsbehörde mit Sozialleistungsträgern, karitativen Einrichtungen und Beratungsstellen die Möglichkeiten alternativer Hilfen eruriert werden (§ 4 Abs. 2 BtBG). Der Hinweis auf andere Hilfen seitens der Betreuungsbehörde an den Betroffenen im Rahmen eines Beratungsangebots und die Vermittlung insbesondere an Sozialleistungsträger sollen aus der Sicht der Justizministerien „überflüssigen“ Betreuungen vermeiden helfen. Inwieweit tatsächlich oft komplexer und beeinträchtigter Personen überfordernder Mitwirkungserfordernisse insbesondere im Sozial- und Steuerrecht diese Hinweise wirklich betreuungsvermeidend wirken können, sei an dieser Stelle skeptisch betrachtet.