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Zusammenfassend ist der Richter für alle Maßnahmen zuständig, die grundrechtssensibel sind. Dem Rechtspfleger obliegt im Wesentlichen die Aufsichtsführung über die Amtstätigkeit des Betreuers und deren Beratung, §§ 1908i, 1837 Abs. 1 und 2 BGB. Anfangs hatte zunächst Bayern von der Landesöffnungsklausel Gebrauch gemacht. Nach der Verordnung zur Aufhebung von Richtervorbehalten (vom 15.3.2006, BayGVBl., 170) ist in Bayern der Rechtspfleger auch für die Bestellung von Ergänzungsbetreuern (§ 1899 Abs. 4 BGB) und die Ersatzbestellung von Betreuern nach dem Tod des bisherigen Betreuers (§ 1908c BGB) zuständig. In Rheinland-Pfalz ist durch Verordnung vom 15.5.2008 mit Wirkung vom 1.1.1999 in fast vollem Umfang von der Öffnungsklausel Gebrauch gemacht worden, ausgenommen ist nur die erstmalige Betreuerbestellung zu Beginn der Betreuung. Diese verbleibt beim Richter. Insgesamt gilt aber auch weiterhin, dass ein Geschäft, das eigentlich der Rechtspflegerzuständigkeit unterliegt, stets auch wirksam durch den Richter vorgenommen werden kann (§ 8 Abs. 1 RPflG).
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In Württemberg gelten (noch bis 2017) landesrechtliche Besonderheiten gem. Art. 147 EGBGB, 36 LFGG BW. Danach ist der Bezirksnotar neben dem Richter für betreuungsrechtliche Entscheidungen zuständig, es sei denn es ist eine dem Amtsgericht vorbehaltene Aufgabe betroffen, § 37 LFGG BW. Hiernach bleiben dem Amtsgericht vorbehalten: freiheitsentziehende Maßnahmen (§§ 1846, 1906 BGB), Vorführungen nach § 278 Abs. 5 FamFG, alle Entscheidungen in Unterbringungssachen (§§ 312 ff. FamFG) und in Bezug auf Einwilligungsvorbehalte (§ 1903 BGB), Genehmigungsentscheidungen in Bezug auf Vaterschaften (§ 1596 Abs. 1 S. 3 BGB), medizinische Behandlungen (§ 1904 BGB), Sterilisationen (§ 1905 BGB) und Kastrationen (§ 6 KastrG) sowie Betreuungsanordnungen aufgrund dienstrechtlicher Bestimmungen.
Anmerkungen
Abgedruckt z.B. in der HK-BUR-Gesetzessammlung.
BT-Drs. 11/4528, 165.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › III. Die Verfahrensbeteiligung
III. Die Verfahrensbeteiligung
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Im Rahmen der Reform des FGG durch das Gesetz über das Verfahren in Familiensachen und der freiwilligen Gerichtsbarkeit (FamFG) zum 1.9.2009 wurden die an einem Betreuungs- (und Unterbringungs-)verfahren Beteiligen erstmals im Detail definiert. An der Verfahrensbeteiligung machen sich seit dem 1.9.2009 Anhörungs-, Akteneinsichts- und Beschwerderechte fest. Wer Beteiligter ist, bestimmt grundsätzlich § 7 FamFG. Dort ist der Beteiligtenbegriff gesetzlich definiert. Die vorbezeichnete Regelung wird für das Betreuungsverfahren durch § 274 FamFG (und für das Unterbringungsverfahren durch § 315 FamFG) ergänzt. Das Gesetz unterscheidet sogenannte „Mussbeteiligte“ und „Kannbeteiligte“.
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Muss-Beteiligte, §§ 7, 274 FamFG | Kann-Beteiligte, § 274 Abs. 4 Nr. 1 FamFG |
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Betroffener, § 274 Abs. 1 Nr. 1 FamFG | Nicht dauernd getrennt lebender Ehegatte, Lebenspartner (i.S.d. Lebenspartnerschaftsgesetzes; nicht: Lebensgefährten) |
Betreuer, soweit sein Aufgabenkreis betroffen ist, § 274 Abs. 1 Nr. 2 FamFG | Eltern, Großeltern, Pflegeeltern (§ 33 SGB VIII) |
Bevollmächtigter i.S.d. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB, soweit sein Aufgabenkreis betroffen ist, § 274 Abs. 1 Nr. 3 FamFG | Abkömmlinge (also Kinder und Kindeskinder; auch adoptierte Personen) |
Verfahrenspfleger, § 274 Abs. 2 FamFG | Geschwister, Vertrauenspersonen |
Betreuungsbehörde, § 274 Abs. 3 FamFG 1. auf eigenen Antrag in Verfahren über Betreuerbestellung oder Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, 2. Umfang, Inhalt oder Bestand von Entscheidungen der vorbezeichneten Art |
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Betreuer/Bevollmächtigte sind nur dann „Mussbeteiligte“, sofern ihr Aufgabenkreis betroffen ist, § 274 Abs. 1 Nr. 2 und 3 FamFG. Ein bestellter Verfahrenspfleger erhält mit seiner Hinzuziehung alle Beteiligtenrechte, § 274 Abs. 2 FamFG.
Der Antragsteller ist im Amtsverfahren stets Beteiligter, § 7 Abs. 1 FamFG. Als „Mussbeteiligte“ nach § 7 Abs. 2 FamFG hinzuzuziehen sind
– | Nr. 1: Diejenigen, deren Recht durch das Verfahren unmittelbar betroffen wird; |
– | Nr. 2: Diejenigen, die aufgrund des FamFG von Amts wegen oder eines anderen Gesetzes oder auf Antrag zu beteiligen sind. |
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Nach § 7 Abs. 2 FamFG müssen Personen, deren Rechte verletzt sein können, stets am Verfahren beteiligt werden. Die Möglichkeit einer Rechtsverletzung ist ausreichend. Davon abzugrenzen ist eine lediglich potentielle Gefährdung ideeller, sozialer und wirtschaftlicher Interessen.
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Hinweis
Das Gericht kann von Amts wegen oder auf Antrag weitere Personen als Beteiligte hinzuziehen, soweit dies im FamFG oder in einem anderen Gesetz vorgesehen ist, § 7 Abs. 3 FamFG. Das Gericht entscheidet durch Beschluss über die Hinzuziehung bzw. deren Ablehnung.
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Sofern bereits ein Betreuer bestellt ist, das betrifft also nicht das Betreuungsverfahren zur Erstbestellung, sondern nur Folgeverfahren, ist der Betreuer Beteiligter (Abs. 1 Nr. 2). Seltsamerweise findet sich darin die nachstehende Einschränkung, die nicht recht verständlich ist und in der Parallelvorschrift des Unterbringungsverfahrens (§ 315 FamFG) nicht vorhanden ist. Die Beteiligung kann auch konkludent, z.B. durch Übersendung von Schriftsätzen und Ladung erfolgen.[1] Die Beteiligtenstellung wird jeweils nur für ein konkretes und nicht für alle zukünftigen Verfahren erlangt.[2]
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Beispiel
Neffe N wird in dem anhängigen Betreuungsverfahren beteiligt. Nach erfolgter Betreuerbestellung des B wird dieser jedoch nicht automatisch beteiligt im Antragsverfahren auf Erweiterung der Befugnisse des Betreuers auf den Aufgabenkreis der Aufenthaltsbestimmung.
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Beteiligt ist der Betreuer nämlich nur dann, wenn sein Aufgabenkreis betroffen ist. Insbesondere bei der Bestellung mehrerer Betreuer (§ 1899 BGB) kann diese eingeschränkte Beteiligtenstellung bedeuten, dass einer der Betreuer keine Kenntnis eines laufenden Betreuungsverfahrens, z.B. zur Erweiterung von Aufgabenkreisen, erhält. Das ist kontraproduktiv. Die Einschränkung sollte daher restriktiv behandelt werden. Eine verfassungskonforme Auslegung der § 274 Abs. 1 Nr. 2 und 3 FamFG ist insbesondere im Lichte des Beschlusses des BVerfG vom 6.11.2008[3] geboten, der zu dem Begriff der materiell Beteiligten im Nachlassverfahren Stellung nahm und hierzu ausführte:
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Art. 103 Abs. 1 GG ist auch im Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit zu beachten. Das gilt unabhängig davon, ob die Anhörung