100
Unter Art. 103 Abs. 1 GG fällt nicht nur der formell am Verfahren Beteiligte und damit bereits Hinzugezogene. Erfasst ist demgegenüber auch der materiell Betroffene. Wenn das Gericht weiß, dass eine bislang nicht bekannte Person in in ihren subjektiven Rechten betroffen ist, besteht eine Pflicht, Nachforschungen anzustellen.[4] Der Bevollmächtigte i.S.d. § 1896 Abs. 2 S. 2 BGB ist erstmals im Gesetz als formeller Mussbeteiligter genannt; es gilt die gleiche Einschränkung, wie beim Betreuer (Abs. 1 Nr. 3).
101
Die Betreuungsbehörde ist auf ihren Antrag zwingend als Beteiligte hinzuzuziehen (§ 274 Abs. 3 FamFG). Dies gilt für Verfahren über:
– | Nr. 1: Die Bestellung eines Betreuers oder die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts, |
– | Nr. 2: Umfang, Inhalt oder Bestand der in Nr. 1 genannten Art. |
Damit die Behörde entscheiden kann, ob sie einen Beteiligtenantrag stellt, muss sie von jedem Verfahren informiert werden. Die Stellung der Behörde ist (in Zusammenhang mit der Mitteilungspflicht des Gerichtes nach § 7 Abs. 4 FamFG) somit deutlich gestärkt worden. Es wird auch nicht danach unterschieden, ob das Betreuungsverfahren auf Antrag des Betroffenen oder von Amts wegen eingeleitet wurde.
102
Die Stellung der Angehörigen ist dagegen gegenüber dem früheren FGG eingeschränkt worden. Zum einen ist der Angehörigenbegriff in Abs. 4 Nr. 1 beschränkt, er betrifft nur noch nicht dauernd getrennt lebende Ehegatten und (eingetragenen) Lebenspartner, Eltern (incl. Pflege- und Großeltern), Kinder und Kindeskinder, Geschwister sowie eine Vertrauensperson des Betroffenen. Sie sind zwar genau wie die Betreuungsbehörde vom Beginn eines Betreuungsverfahrens zu verständigen und auf ihr Antragsrecht hinzuweisen (§ 7 Abs. 4 FamFG). Das Gericht entscheidet aber, ob es der Beteiligung zustimmt. Diese erfolgt nur, wenn die Beteiligung des Angehörigen im Interesse des Betroffenen liegt. Eigeninteressen der Angehörigen, z.B. bezüglich einer künftigen Erbschaft oder wegen Unterhaltsansprüchen, sollen keine Rolle mehr spielen. Eine Beteiligung kann jedoch auch stillschweigend durch das Gericht erfolgen, etwa durch das Übersenden von Schriftstücken oder die Ladung zu Terminen.[5]
103
Gegen die Ablehnung der Verfahrensbeteiligung kann binnen einer Notfrist von zwei Wochen sofortige Beschwerde eingelegt werden (§ 7 Abs. 5 FamFG i.V.m. §§ 569 Abs. 1 ff. ZPO). Letztlich ist als Kann-Vorschrift die Beteiligung des Bezirksrevisors als Vertreters der Staatskasse möglich, soweit deren Interesse durch den Ausgang des Verfahrens betroffen sein kann (Abs. 4 Nr. 2). Dies betrifft in der Praxis hauptsächlich Verfahren auf Festsetzung der Betreuervergütung sowie den Staatsregress nach § 1836e BGB. Das Unterbringungsverfahren kennt stattdessen als Kann-Regelung noch die Beteiligung des Einrichtungsleiters, in der der Betroffene lebt (§ 315 Abs. 4 Nr. 3 FamFG).
104
Diejenigen, die als von dem Betreuungsgericht als Beteiligte hinzugezogen wurden, sind – soweit gerichtsseits bekannt – von der Einleitung des Verfahrens zu benachrichtigen und über ihr Antragsrecht zu belehren, § 7 Abs. 4 FamFG. Die erstinstanzliche Hinzuziehung eines Beteiligten wirkt im Beschwerdeverfahren fort.[6] Verfahrenskostenhilfe (§§ 76 ff. FamFG, analog zur PKH) kann nur der bedürftige Beteiligte erhalten, der in eigenen Rechten betroffen ist. Für eine rein fremdnützige Verfahrensbeteiligung ist die Gewährung von Verfahrenskostenhilfe hingegen nicht möglich.[7]
Entsprechend Art. 36 und 37 des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen vom 24.4.1963 (BGBl. II 1969, 1585 sowie 1971, 1285) muss die konsularische Vertretung des Heimatstaates informiert werden, wenn für einen Ausländer ein Betreuungsverfahren eingeleitet wird und/oder eine Unterbringung erfolgt. Der Konsul wird dadurch allerdings nicht Verfahrensbeteiligter nach dem FamFG.
Anmerkungen
BGH NJW 2014, 1885.
LG Freiburg BtPrax 2013, 260.
BVerfG FamRZ 2009, 106 = NJW 2009, 138.
Kemper/Schreiber Familienverfahrensrecht, 3. Aufl. 2015, § 7 FamFG Rn. 21.
BGH BtPrax 2014, 174.
BGH BtPrax 2012, 174 (Ls) = FamRZ 2012, 1049 = FGPrax 2012, 182.
BGH BtPrax 2015, 24.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › IV. Der Amtsermittlungsgrundsatz
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › IV. Der Amtsermittlungsgrundsatz › 1. Amtsermittlungspflicht
1. Amtsermittlungspflicht
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Das Gericht hat im Rahmen eines anhängigen Betreuungsverfahrens von Amts wegen alle entscheidungserheblichen Tatsachen von sich aus zu ermitteln. Dies beruht auf dem in § 26 FamFG niedergelegten Amtsermittlungsgrundsatz (Untersuchungsgrundsatz, Inquisitionsmaxime). Dort heißt es wörtlich:
„Das Gericht hat von Amts wegen die zur Feststellung der entscheidungserheblichen Tatsachen erforderlichen Ermittlungen durchzuführen.“
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Es ist in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt, ob es formlose oder förmliche Ermittlungen zur Aufklärung des Sachverhalts betreibt, §§ 29 und 30 FamFG. Der Umfang der Ermittlungen ist durch das Gesetz bestimmt insofern, als § 26 FamFG von „erforderlichen“ Ermittlungen ausgeht. Das Gericht muss die objektive Wahrheit erforschen und ist nicht an die von den Beteiligten vorgetragenen Tatsachen gebunden. Insofern besteht ein entscheidender Unterschied zwischen einem Verfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit und einem Zivilprozess, der den Regeln der Zivilprozessordnung (ZPO) und dem Grundsatz der formellen Wahrheit unterliegt.
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Beispiel
Rechtsanwalt R klagt vier Jahre nach Mandatsende vor dem Amtsgericht seine Honorarrechnung gegen Mandant M ein. Dieser rügt Schlechtleistung und erhebt andere Einwendungen, vergisst allerdings, sich auf den relevanten Einwand der Verjährung zu berufen. Hierauf darf der Richter, der sich sonst dem Vorwurf der Befangenheit aussetzen würde, den M nicht hinweisen. M verliert den Prozess wegen des Nichterhebens des Einwandes der Verjährung.
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