Das Sachverständigengutachten muss so gefasst sein, dass das Gericht es auf seine wissenschaftliche Begründung, seine innere Logik und seine Schlüssigkeit hin überprüfen kann.[1]
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Die Gutachten sind verfahrensentscheidend. Nach einer Statistik schließen sich Richter in 95 % der Fälle kritiklos dem Votum des Gutachters an.[2] Es ist daher für einen im Betreuungsrecht auf Seiten eines Betroffenen z.B. als Verfahrenspfleger tätigen Anwalt notwendig, medizinische Gutachten überprüfen und auswerten zu können. Anhaltspunkte hierzu werden u.a. in den nachstehenden Ausführungen gegeben.
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Sofern kein Gutachten aus dem Bereich der gesetzlichen Pflegeversicherung nach § 282 FamFG i.V.m. § 18 SGB XI mit Einwilligung des Betroffenen oder seines Verfahrenspflegers ausnahmsweise als Ersatz für ein eigenes Sachverständigengutachten eingesetzt werden darf, ist in folgenden Angelegenheiten zwingend ein Sachverständigengutachten in Auftrag zu geben:
– | Betreuerbestellung, § 1896 Abs. 1 BGB, § 280 Abs. 1 FamFG (außer auf eigenen Antrag des Betroffenen oder bei der Bestellung eines Kontrollbetreuers nach § 1896 Abs. 3 BGB, § 281 FamFG); |
– | Anordnung eines Einwilligungsvorbehaltes, § 1903 BGB, § 280 Abs. 1 FamFG; |
– | nicht unwesentliche Aufgabenkreiserweiterung, § 293 FamFG (außer, die Verfahrenshandlungen liegen noch keine sechs Monate zurück); |
– | Bestellung eines weiteren Betreuers unter Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung, § 293 Abs. 3 FamFG; |
– | bei einem Dissens zwischen Betreuer und Arzt bezüglich der Auslegung des Patientenwillens bei der Vornahme einer risikoreichen Untersuchung, Heilbehandlungsmaßnahme bzw. ärztlichem Eingriff; |
– | oder im Falle einer lebensbeendenden Maßnahme (§§ 1901a, 1901b, 1904 Abs. 1–3 BGB, § 298 FamFG)[3]; |
– | Sterilisation, § 1905 BGB, § 297 FamFG; |
– | Kastration, §§ 5, 6 KastrG; |
– | erstmalige Ablehnung der Aufhebung der Betreuung bzw. Einschränkung des Aufgabenkreises, § 294 Abs. 2 FamFG[4], wenn bei Betreuerbestellung auf ein Gutachten verzichtet wurde. |
Details zum Gutachten im Rahmen der Pflegeversicherung finden sich in den Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit.[5]
Anmerkungen
BGH BtPrax 2012, 25 = FamRZ 2012, 104 m. Anm. Fröschle FamRZ 2012, 88 = FGPrax 2012, 17 im Anschluss an BGH FamRZ 2011, 637.
Ehlers Medizinische Gutachten im Prozess, 3. Aufl. 2005, Rn. 11.
BGH FGPrax, 2003, 161 und BtMan 2005, 161.
OLG Hamm FamRZ 2001, 255; BayObLG FamRZ 2001, 1100; FamRZ 1994, 402.
S. http://www.mdk.de/media/pdf/BRi_Pflege_090608.pdf.
B. Das gerichtliche Verfahren bis zur Bestellung eines Betreuers › VII. Das Sachverständigengutachten › 2. Qualifikation des Sachverständigen
2. Qualifikation des Sachverständigen
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Das Gesetz macht seit 1.9.2009 erstmals Vorgaben bezüglich der Qualifikation des Sachverständigen. Die Auswahl des Sachverständigen trifft das Gericht nach pflichtgemäßem Ermessen. Es ist stets eine natürliche Person, kein Institut zu bestellen. Eine formelle Qualifikation schreibt das Gesetz in § 280 FamFG und im Unterbringungsverfahren nach § 321 FamFG vor. Der Sachverständige im Betreuungsverfahren soll Arzt für Psychiatrie oder Arzt mit Erfahrung auf dem Gebiet der Psychiatrie (§ 280 Abs. 1 S. 2 FamFG) sein. Ergibt sich seine Qualifikation nicht ohne Weiteres aus der Fachbezeichnung des Arztes, ist diese vom Gericht zu prüfen und in seiner Entscheidung darzulegen.[1]
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Vor dem 1.9.2009, als es nur im Unterbringungs-, nicht aber im Betreuungsverfahren eine Qualifikationsregelung gab, hatte das Bayerische Oberste Landesgericht in einer vielbeachteten Entscheidung bereits Standards für die gerichtliche Gutachtenpraxis, die für den gesamten deutschen Rechtsraum Geltung beanspruchen, entwickelt.[2] Der Leitsatz der Entscheidung lautet wie folgt:
Die Sachkunde zur Erstellung von Gutachten über die Voraussetzung einer Betreuung ist bei Ärzten des höheren öffentlichen Gesundheitsdienstes der Staatlichen Gesundheitsämter in Bayern vom Tatrichter darzulegen.
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Das Gericht stellte fest: Mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens sind regelmäßig nur Nervenärzte, öffentlich bestellte Amtsärzte mit psychiatrischer Vorbildung, auf dem Gebiet der Psychiatrie kundige Klinikärzte und die in Bayern bestellten LG-Ärzte zu beauftragen.[3] Zumindest muss der Sachverständige ein in der Psychiatrie erfahrener Arzt sein.[4] Auf Grund der Spezifika der Ausbildung ist eine Sachkunde auf dem Gebiet der Psychiatrie bei Ärzten des höheren öffentlichen Gesundheitsdienstes nicht per se gegeben. Von ihnen wird lediglich zur Erlangung ihres Amtes der Nachweis einer dreimonatigen Tätigkeit als Arzt in einem Gesundheitsamt, bei einem LG-Arzt oder in einem psychiatrischen Krankenhaus verlangt. Auf diesem Hintergrund zweifelte das Bayerische Oberste Landesgericht zu Recht die erforderliche Sachkunde dieser Ärzte zur Erstellung eines Betreuungsgutachtens an.
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Will ein Betreuungsrichter gleichwohl das Gutachten eines derartigen Arztes einer Betreuungsanordnung zu Grunde legen, ist dessen Sachkunde im Einzelfall im Beschluss darzulegen.[5] Es entspricht einer weit verbreiteten Praxis, sowohl in Betreuungs- als auch in Unterbringungssachen Berufsanfängern, wie zum Beispiel