Vertiefungs- und Aufbauhinweis:
Während über die Kriterien für die Frage der Vorwerfbarkeit der Beteiligung grundsätzlich Einigkeit besteht, ist die dogmatische Einordnung des § 231 Abs. 2 umstritten. Eine Meinung sieht in der Regelung allein einen Hinweis des Gesetzgebers auf das mögliche Eingreifen von Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründen.[19] Nach anderer Auffassung schränkt § 231 Abs. 2 die Tatbestände des § 231 Abs. 1 ein. Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe wirken demnach ausnahmsweise bereits tatbestandsausschließend.[20]
Die zweite Ansicht ist vorzugswürdig. Nach ihr enthält § 231 Abs. 2 nicht nur den Hinweis auf eine Selbstverständlichkeit, sondern sie misst der Vorschrift eine eigenständige, wenn auch ungewöhnliche Bedeutung zu. Sie ist auch mit dem Wortlaut der Norm zwanglos in Einklang zu bringen. Denn dieser verbindet die Vorwerfbarkeit sprachlich eindeutig mit der Beteiligung, knüpft also inhaltlich unmittelbar an die tatbestandliche Handlung an.[21]
Wer der hier vertretenen Ansicht folgt, muss bei Vorliegen entsprechender Anhaltspunkte § 231 Abs. 2 im Anschluss an den objektiven Tatbestand des § 231 Abs. 1 erörtern. Anderenfalls werden die in Betracht kommenden Rechtsfertigungs- und Entschuldigungsgründe an üblicher Stelle geprüft. Einer Diskussion der dogmatischen Einordnung des § 231 Abs. 2 bedarf es jedoch bei der Lösung einer Aufgabe regelmäßig nicht.
II. Subjektiver Tatbestand
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Die Merkmale des objektiven Tatbestands – einschließlich der für die Vorwerfbarkeit relevanten Umstände – müssen vorsätzlich verwirklicht werden.[22] Zu diesen gehört die objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht (vgl. Rn. 15). Dementsprechend sind darauf bezogene Irrtümer für die Strafbarkeit ohne Belang.[23]
III. Objektive Bedingung der Strafbarkeit
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Die Beteiligung an einer Schlägerei ist stets verboten. Strafbar ist sie aber nur, „wenn durch die Schlägerei oder den Angriff der Tod eines Menschen oder eine schwere Körperverletzung (§ 226) verursacht worden ist“.[24] Bei dieser Voraussetzung handelt es sich um eine objektive Bedingung der Strafbarkeit.[25] Die insoweit erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken[26] sind nicht stichhaltig.
Merke:
Erforderlich ist insoweit nur die Kausalität zwischen der Schlägerei oder dem Angriff mehrerer einerseits und der schweren Folge andererseits.[27]
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Ist sie gegeben, kann ein Beteiligter auch dann bestraft werden, wenn sich nicht klären lässt, ob gerade sein Verhalten den Tod oder die schwere Körperverletzung verursacht hat, oder wenn dies sogar ausgeschlossen werden kann.[28]
Beispiel:
A hat an einer Massenschlägerei teilgenommen, in deren Verlauf B den C unbemerkt von A durch einen Schlag gegen den Kopf getötet hat. – A ist allein wegen der Beteiligung an der Schlägerei, deren Risiko sich verwirklicht hat, nach § 231 strafbar.
15
Da es allein auf die Kausalität der Schlägerei oder des Angriffs – jeweils als Gesamtgeschehen begriffen – ankommt, ist es für die Strafbarkeit nach h.M. auch ohne Bedeutung, ob jemand gerade zum Zeitpunkt der Verursachung der schweren Folge beteiligt war, vorher ausgeschieden oder erst danach in die Auseinandersetzung eingetreten ist.[29] Diese Ansicht wird dem Zweck der Vorschrift gerecht, in der Praxis Beweisschwierigkeiten zu vermeiden (vgl. Rn. 1).
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Besteht der bezeichnete Ursachenzusammenhang, ist es zudem unerheblich, ob der Verletzte oder Getötete ein unbeteiligter Dritter war (z.B. ein Passant),[30] ob er sich die Verletzung als Angegriffener bei der Verteidigung versehentlich selbst beigebracht hat oder ob er einer der Angreifer war. Demgemäß ist auch der Beteiligte, dessen Verletzung erst die Anwendbarkeit der Norm begründet, nach § 231 strafbar.[31] Ebenfalls strafbar ist, wer durch eine Notwehrhandlung selbst die objektive Bedingung der Strafbarkeit setzt (vgl. Rn. 5).[32]
Beachte:
Die schwere Folge braucht als objektive Bedingung der Strafbarkeit nicht von Vorsatz oder Fahrlässigkeit eines Beteiligten umfasst zu sein.[33]
Aufbauhinweis:
Bei der Fallbearbeitung kann dies dadurch deutlich gemacht werden, dass die objektive Strafbarkeitsbedingung erst nach dem subjektiven Tatbestand erörtert wird.[34] Wegen der Nähe zum objektiven Tatbestand kommt aber auch eine an diesen anschließende Prüfung in einem gesonderten Gliederungspunkt in Betracht. Das Vorliegen der objektiven Bedingung der Strafbarkeit sollte aus prüfungsökonomischen Gründen stets vor Rechtswidrigkeit und Schuld diskutiert werden.[35]
C. Täterschaft und Teilnahme, Versuch sowie Konkurrenzen
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Jeder i.S. des § 231 Abs. 1 Beteiligte ist Täter. Für die Anstiftung und Beihilfe gelten grundsätzlich die allgemeinen Regeln der §§ 26, 27. Beihilfe kann etwa in einem allgemeinen Fördern einer Schlägerei bestehen, ohne dass für eine Seite Partei ergriffen wird.[36]
Beispiele:
Indem A fernab der Schlägerei die alarmierte Polizei daran hindert, sich an den Ort der Auseinandersetzung zu begeben, macht er sich der Beihilfe (§ 27) zum § 231 schuldig.
B schlägt C vor, sich an einer auf der gegenüberliegenden Straßenseite stattfindenden Schlägerei zu beteiligen. Kommt C dem Vorschlag nach, ist B wegen Anstiftung (§ 26) zu bestrafen.
18
Die nur versuchte Beteiligung an einer Schlägerei ist nicht strafbar. Auf der Konkurrenzebene kann § 231 infolge seines speziellen Rechtsguts (vgl. Rn. 1) grundsätzlich mit Tötungs- und Körperverletzungsdelikten in Tateinheit stehen (§ 52).[37] Gleiches gilt im Verhältnis zu den §§ 113, 125.[38]
D. Kontrollfragen
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1. | Welche Kriterien sind für die Prüfung der Vorwerfbarkeit i.S. des § 231 Abs. 2 heranzuziehen? → Rn. 11 |
2. | Wie ist die in § 231 Abs. 1 vorgesehene schwere Folge dogmatisch einzuordnen? → Rn. 13 ff. |