Lintu. Christine Kraus. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Christine Kraus
Издательство: Автор
Серия:
Жанр произведения:
Год издания: 0
isbn: 9783957448323
Скачать книгу
das wohl nicht verhindern können. Aber der ist wirklich einfallslos. Außerdem bin ich nicht superer als vor zwei Tagen.“

      „Das stimmt eigentlich“, sagte er und grinste, „vielleicht eher gemeiner. Du hast schließlich einem Mann den Arm gebrochen.“

      Ich zuckte zusammen. Voll erwischt. Daran hatte ich gar nicht mehr gedacht, vor allem nicht, seit Frau Schmidt diese Sachen über die Kameradschaft erzählt hatte. Doch Julien hatte recht. Das war neu an mir und ich musste damit umgehen.

      „Also, wie nennen wir dich jetzt“, neckte er mich, „Knochenbrecherelli?“

      „Willst du lustig sein?“, fragte ich leicht genervt. Leider musste ich ihm ja innerlich zustimmen und doch wehrte sich alles in mir dagegen, mich so zu sehen. Viel lieber wollte ich weiter so gut sein, wie ich das bisher von mir gedacht hatte. Ich ließ den Kopf hängen.

      „Okay, ich gebe zu, ich hab schon bessere Witze gemacht“, sagte er beruhigend, als er sah, wie zerknirscht ich auf einmal war. „Vielleicht bleib ich einfach bei Elli, was hältst du davon?“ Er kam auf mich zu, legte mir die Hände auf die Schultern und gab mir einen Kuss auf die Wange.

      Eigentlich hatte ich vorgehabt loszufliegen, wenn Julien mit den Händen auf meinen Schultern hinter mir stand. Jetzt beschloss ich kurzerhand, ihn zu erschrecken, weil er über ein mir sehr ernstes Thema seine Witze riss. Er gehörte bestraft, wenigstens ein bisschen. Also machte ich mich im gleichen Augenblick leicht, verband mich ganz fix mit seinen Zellen und flog los, bevor er richtig kapiert hatte, was mit ihm geschah. Natürlich begriff er sehr schnell, dass er keinen Boden mehr unter den Füßen hatte – und er wirkte noch nicht begeistert. Sollte er ja auch nicht. Ich wollte ihn erst einmal ärgern.

      Er schnappte nach Luft und keuchte: „Elli, wir fliegen.“

      „Echt jetzt?“ Diesmal grinste ich.

      „Ja, echt jetzt“, er wurde richtig laut, „mach keinen Scheiß, lass mich runter! War nicht toll von mir, aber Rache ist keine Option.“

      Mist. Er hatte schon wieder recht. Ohne ein Wort schwebte ich sanft zu Boden, entließ ihn auf seine Füße. Sah ihn entschuldigend an und sagte: „Stell dich hinter mich, dann versuchen wir es nochmal, aber diesmal richtig.“

      Er lächelte und fragte: „Echt jetzt?“

      „Ja, echt jetzt“, antwortete ich und lächelte auch, „na los!“

      Juliens Finger wirkten eher wie Klauen, so fest krallte er sie in meine Schultern. Ich wand mich aus seinem Griff und drehte mich zu ihm um. Gab ihm lieber die Hand. Dann verband ich mich mit seinen Zellen und schwebte mit ihm ein paar Zentimeter vom Boden weg. Er schnaufte aufgeregt, hielt aber ganz still in der Luft.

      „Siehst du, du brauchst dich gar nicht schlimm festhalten, es geht schon mit einer ganz leichten Berührung“, versuchte ich ihn zu beruhigen.

      „Und was ist, wenn wir weiter oben sind und ich abrutsche und runterfalle?“ So leicht war er nicht zu überzeugen.

      „Das kann gar nicht passieren“, entgegnete ich, „selbst wenn du abrutschen würdest, könntest du dich immer noch an meinem Bein festhalten und wenn du das nicht erwischen würdest, würde ich dich wieder einfangen, bevor du unten wärst, verlass dich drauf.“

      „Beweise es mir“, forderte er. Er war etwas blass um die Nase. Wo war die ganze Begeisterung von vorhin hin? Seufzend stellte ich ihn auf den Boden, schnappte mir einen herumliegenden Ast und schoss ein paar Meter nach oben. „Aufpassen jetzt“, rief ich ihm zu. Ich ließ den Ast fallen, flog parallel mit ihm kopfüber nach unten, ohne ihn zu berühren, und packte ihn kurz vor der Erde. Als ich wieder vor Julien stand und ihn auffordernd ansah, hob er beide Hände.

      „Okay, Superel… ‘tschuldigung, ich bin so aufgeregt, war nicht so gemeint, verzeih mir.“

      Bevor er noch mehr dummes Zeug stammeln konnte, drehte ich mich um und wartete, bis er seine Hände wieder auf meine Schultern gelegt hatte. Wir hoben sehr langsam vom Boden ab und blieben ein paar Meter bei diesem Schneckentempo, dann legte ich mich in die Waagerechte, damit er meinen ganzen Körper unter sich hatte. Ich flog vorsichtig los, weg vom Weg in den Wald hinein. Wollte nicht riskieren, doch noch einem Spaziergänger zu begegnen und dann nicht schnell genug reagieren zu können mit meinem ungeübten Anhang.

      Wir flogen parallel zum Weg in Richtung Parkplatz. Julien entspannte sich zusehends. Er begann nach links und rechts zu schauen und kleine freudige Laute von sich zu geben.

      „Sollen wir mal ein bisschen schneller?“, fragte ich.

      „Nein“, antwortete er, „jetzt noch nicht, es gibt so viel zu sehen, aber das nächste Mal.“

      „Wer sagt denn, dass es ein nächstes Mal gibt?“, neckte ich ihn.

      Die Antwort kam prompt. „Ich kann dich zwingen, ich bin Polizist.“

      Ich lächelte und schwieg.

      Als wir wieder im Wagen saßen, strahlte Julien übers ganze Gesicht. „Ich bin soooo beeindruckt, ich bin geradezu überwältigt, ich weiß gar nicht, was ich sagen soll, schade, dass ich es niemandem erzählen kann, ich würde zu gern angeben damit …“

      Er beugte sich zu mir herüber, nahm mein Gesicht in beide Hände und drückte mir einen dicken Schmatzer auf den Mund.

      Ich musste lachen. „Untersteh dich anzugeben, ganz im Ernst, ich verlass mich auf dich.“

      Er hob seinen Zeigefinger an die Lippen und sagte: „Kein Ton, niemals in meinem ganzen Leben, das weißt du.“ Dann startete er den Wagen.

      Es war doch später geworden als gedacht, und Julien hatte nicht mehr sehr viel Zeit, als wir am Laden ankamen. Bevor ich aufschloss, warf ich einen Blick durch die Schaufenster. Von draußen war nichts zu sehen, erst als wir im Laden standen. Die Regale der Esoterik- und der Wissenschaftsabteilung im hinteren Bereich waren leergefegt. Alle Bücher lagen kreuz und quer auf dem Boden. Den Rest des Ladens hatten sie in Ruhe gelassen, nur hier und da war ein Stapel umgefallen. Wir gingen weiter ins Lager, wo ich Frau Schmidt gefunden hatte. Hier sah es viel schlimmer aus – so, wie ich es in meiner Erinnerung abgespeichert hatte. Komplettes Chaos, nur Frau Schmidt auf dem Boden fehlte. Kein einziges Buch stand mehr in irgendeinem Regal oder Schrank. Alles lag wild durcheinandergeworfen in mehreren Schichten übereinander. Die Bücher waren zum Teil aufgeschlagen und hatten verknickte Seiten. Manche waren sogar eingerissen. Mittendrin lag der Bildschirm mitsamt allem, was auf dem Schreibtisch gestanden hatte. Wenn diese kranken Hirne nur etwas gesucht hatten, warum hatten sie dann so gewütet? Ich hätte heulen können.

      Julien fragte: „Weißt du, welche Bücher Frau Schmidt hier hinten aufbewahrt hat?“

      „Nicht genau“, antwortete ich, „zumindest nicht in den Schränken. Die waren immer verschlossen. Sie hat nichts darüber gesagt und ich habe nicht gefragt. Ich nehme an, es sind private Bücher. In den Regalen stand das normale Zeug, was in jedem Buchladen steht, Neuerscheinungen, Bestellungen, Ladenhüter und so weiter.“

      Ich sah mir die Titel der oben liegenden Bücher an. Es schien die gleiche Mischung zu sein wie draußen im Laden. Esoterik, Wissenschaft, dazwischen fremdsprachige Bücher, alle alt, gebraucht. Wie ich vermutet hatte, nichts zum Verkaufen. Es waren Frau Schmidts erklärte Interessensgebiete. Nicht umsonst waren genau diese Abteilungen überproportional ausgestattet in ihrem ansonsten viel zu kleinen Buchladen.

      „Es macht den Eindruck, als hätten sie gezielt und doch nicht gezielt gesucht“, sagte Julien. „Offensichtlich suchten sie keine Romane.“

      „Vielleicht wissen sie es selbst nicht so genau, nur die ungefähre Richtung“, vermutete ich. Ich war mir nicht im Klaren darüber, ob ich Julien sagen sollte, dass Frau Schmidt anscheinend wusste, was sie suchten.

      Er nahm mir die Entscheidung ab. „Frau Schmidt hat heute Morgen so eine Andeutung gemacht, dass nur die Kameradschaft etwas Interessantes bei ihr finden könnte – ich glaube, ich muss sie noch mal befragen.“ Guter Polizist. Ich brauchte Frau Schmidt nicht zu verraten.

      Julien