Bevor ich mich allzu sehr darüber wundern konnte, wie dieses Loslassen – oder Aufdecken – umgesetzt werden kann, fuhr Barney fort: Verbinde das Bild des getöteten Hasen mit dem des Hasen am Sternhimmel. Das ist ein Teil des Reparaturprozesses. Schaffst du das?
Die beiden Bilder verschmolzen: der kleine weiße Hase im Wald, der von den Sonnenstrahlen gesprenkelt war – eine Vision, die einer winzigen wunderschönen Blase glich –, und der Hase am Nachthimmel – eine riesige silbrige Essenz, die von der Erde hinauf an den Himmel sprang und die Sterne umhüllte. Auch wenn der spirituelle Hase viel mehr Energie offenbarte als der winzige Hasenkörper auf der Erde, unterschieden sie sich nicht. Beide waren miteinander verbunden. »Ahh!«, stieß ich erleichtert aus.
Warum hast du diese Verbindung aus den Augen verloren? Wenn sie dir damals tatsächlich bewusst war, warum hat die getötete Häsin dich dann so aus der Fassung gebracht?
»Vielleicht war es die Art und Weise, wie sie an den Baum genagelt worden war. Vielleicht der Mann hinter der Kutsche?«
Ja. Die äußere Gewalt. Das ist ein weiterer Faden für dich, und auch er knüpft an das Erlebnis dieser Geschichte aus der Vergangenheit an. Wer ist der Mann hinter der Kutsche? Warum bist du auf ihn wütend statt auf den ersten Mann, der aus Versehen auf den Hasen getreten ist?
»Eine gute Frage«, dachte ich. »Warum sollte der Mann, der die Häsin aufgehoben hat, von Bedeutung sein, wenn er mit ihrem Tod nichts zu tun hatte?« Aber sobald ich mir die Frage gestellt hatte, wurde es mir klar.
»Ich bin wütend auf ihn, weil er sie an den Baum genagelt hat. Das ist so brutal und merkwürdig und … Ach so!« Wie so oft, wenn wir von der logischen, linearen weltlichen Sichtweise, in der wir uns meistens bewegen, auf eine tiefere, reichere Ebene der synchronen Bezüge und vielschichtigen Bedeutungen begeben, wurde ich von einem plötzlichen Wissensstrom überflutet. »Der Mann kam von woanders her. Und auch wenn er sich kaum daran erinnern konnte, hatte er das Bedürfnis, den Hasen zu ehren – was bedeutete, ihn dem spirituellen Geist zu offerieren, so wie es in seiner Heimat Tradition war. Normalerweise nicht mit einem Messer in der Kehle, aber er hatte sonst nichts dabei. Und ich kannte den Mann von früher!«
Und es gab noch mehr: eine weitere Lawine von Assoziationen, visionären Puzzlestücken, Erinnerungsfetzen, Gefühlen – ein zweites Abtauchen in das riesige Universum eleganter, unerwarteter Verbindungen.
Wie eine Geschichte in einer Geschichte in einer Geschichte erkannte ich, dass der Mann zu einer kriegerischen Gesellschaft gehörte, einem Volk mit starren Vorstellungen über das, was richtig und was falsch ist, doch auch voller Leidenschaft. Ich sah noch eine weitere Version von uns (dem Mädchen und mir) an einen Pfahl gefesselt: Eine Frau neben zwei anderen, die auch festgebunden waren. Wir drei waren von zornigen Kriegern umringt. »Sie bewerfen uns mit Speeren; so töten sie ihre Angehörigen, die die Gesellschaft verraten hatten. In diesem Leben war ich die Frau des Mannes, der die Häsin an den Baum genagelt hatte. Ich sehe ihn. Er ist dabei. Er wirft zwar keinen Speer und empfindet noch Liebe zu mir, aber er verhindert meinen Tod auch nicht.«
Die Vision war so vielschichtig, dass meine Worte wie spitze Steine klangen, die das Gesamtbild, das ich fühlte, nicht annähernd ausdrücken konnten.
»Der Hase war also eine Erinnerung daran?«, fragte ich schließlich. »Der Mann hat den Hasen an den Baum genagelt, weil mich das an das noch frühere Leben erinnern würde?« Auch wenn ich darüber staunte, wie gut die Bezüge interagierten – wie Bausteine aufeinanderpassten –, sträubte sich irgendwas in mir dagegen. »Ich glaube nicht, dass ihm das bewusst war«, sagte ich zu Barney.
Interessant, wie alles miteinander verbunden ist, nicht wahr?
Bevor ich widersprechen konnte, wurde ich von einer neuen Erkenntnis gepackt, die mich noch einmal in die Geschichte zurückholte. »Die Kehle hat auch eine Bedeutung: das Messer in der Kehle der Häsin – nicht in ihrem Herzen oder Körper, sondern ausgerechnet in der Kehle. Warum hat der Mann das gemacht? Es bedeutet ›die Wahrheit sagen‹. Ich habe in der kriegerischen Gesellschaft die Wahrheit geäußert und deswegen wurde ich hingerichtet. Und sogar im Sterben war ich eher wütend als ängstlich, weil ich mit dem Mann noch länger zusammenleben wollte. Ich hatte gewisse Vorstellungen darüber, wie unser Leben hätte aussehen können, aber er war zu sehr auf die Traditionen unseres Volkes fixiert. Und ich fühle, dass dieses Leben als Krieger nur eine von vielen Wahrheiten war, die ich ausgesprochen habe.«
Hmm. Ich saß da und überlegte laut. »Es geht also um versteckte Zeichen? Um verborgene Erinnerungen, die ein Wesen mit dem anderen verbinden – ein Selbst mit dem nächsten und zurück? Schicken wir uns etwa codierte Botschaften über die Leben hinaus? Ist es das, was du mir sagen willst? Dass wir Teile von uns selbst in den Geschichten unserer Leben aufbewahren? Dass unser Leben eine Art verborgene Geheimsprache enthält? Wir versehen einander mit Codes, erzählen Geschichten in anderen Geschichten, um uns an unser früheres Selbst zu erinnern?«
Doch Barney gab darauf keine Antwort. Hast du immer noch Angst vor dem Hasen?, wollte er stattdessen wissen.
»Ich kann ihren Körper jetzt herunter nehmen und sauber machen. Ich kann sie im Arm halten. Ich könnte mir vorstellen, ihr Fleisch für die Tiere im Wald auszulegen und ihr Fell als Erinnerung zu behalten, das Hasenfell als einen Tribut zu tragen. Vielleicht hilft es mir ja, mich an den Hasen am Nachthimmel zu erinnern – wie ein Maskottchen, ein wirksamer Zugang zu dieser Erinnerung?«
Was ist mit dem Mann?
»Ich kann ihm dafür danken, dass er mich auf den Hasen aufmerksam gemacht hat – dass er mich dadurch dazu gebracht hat, mich zu erinnern. Und ich sehe jetzt, dass der Hase Recht hatte: Der Mann hat es aus Liebe getan.«
Empfindest du genug Liebe, um auch ihm Zeichen zu setzen?, wollte Barney wissen. Viele Wesen haben dir Zeichen hinterlassen, so wie auch du anderen Zeichen hinterlassen hast. Jetzt ist die Zeit gekommen, um sich dessen bewusster zu werden – ihre Zeichen klarer zu erkennen, Erinnerungen, die von und für andere Aspekte des Selbst hinterlassen wurden, von und für andere Beziehungen aus der ›Vergangenheit‹ und der ›Zukunft‹. Es ist wahrhaftig an der Zeit, sich auf einer bewussteren Ebene zu ›ent-sinnen‹.
Wie so oft bei unseren gemeinsamen Erlebnissen war mein Verstand verwirrt, doch mein Selbst erweitert.
Und aus diesem Grund, sagte Barney voller Zufriedenheit und Begeisterung, wollen wir mit dem Tod beginnen. Lass uns die Passagen säubern, die Durchgänge auskehren, die Brücke herunterlassen – und die Türen aufmachen!
Zu meiner eigenen Verwunderung musste ich lächeln.
Das reicht für den Augenblick, meinte Barney. Eine lange Sitzung, aber du hast dieses Puzzlestück der Erfahrung gebraucht, um zu sehen, wie es funktioniert. In gewisser Weise sind wir immer noch dabei, deine Sehkraft zu schärfen. Je schärfer sie wird, umso leichter wird es für dich, in die Haut anderer Wesen zu schlüpfen und andere Sichtweisen zu erleben. Und wenn du das kontinuierlich auf allen Ebenen tust, werden wir für noch mehr interessante Reisen bereit sein.
DURCH SHAPESHIFTING ANGST ÜBERWINDEN
Je mehr ich über die Geschichte mit der Häsin und die damit verbundenen Puzzleteile nachdachte, umso mehr Hasen kamen mir in den Sinn. Ich sah Hasen im Fernsehen, in Zeitschriften, als schwebende Wolken am Himmel. Die Energie der Hasen neckte mich, während mein Verstand sich bemühte, die Dinge zu begreifen.
Die Vorstellung, anderen Wesen Zeichen zu senden, gefiel mir. Vielleicht spielen wir ja Verstecken mit unseren vielen Teilen des Selbst. Vielleicht speichern wir unsere Geschichten in einem Kontinuum aus verschiedenen Leben, hinterlassen zu verschiedenen Zeitpunkten Erinnerungen für uns und andere, hinterlegen Spuren in verschiedenen Ländern und Kulturen?
Und könnte es nicht auch sein, dass unsere alte Freundin, die Angst, diese Schätze hütet? Sie prüft uns ständig, vergewissert