Einer der Männer trat auf mich zu.
»Ich bin Mr Honk und sehr erfreut, dich kennenzulernen«, sagte er mit angenehm warmer Stimme. »Kann ich dir aufhelfen?« Er streckte eine Hand aus und ich ergriff sie erleichtert. Mr Honk zog mich hoch und stützte mich, als ich etwas benommen schwankte. Der andere ältere Mann und die Frau betrachteten mich mit kaum verhohlenem Interesse. Der junge Mann starrte nur missmutig zu Boden.
Die Frau lächelte mich an. »Ich bin Tatjana«, stellte sie sich vor und deutete auf den Mann neben sich, »und das ist Elvon.«
Der Mann nickte mir ebenfalls lächelnd zu, bevor er zu dem jüngeren Mann hinübersah. Der hatte die Hände in seinen Taschen vergraben und starrte noch immer nach unten. Doch zumindest brummte er nun eine undeutliche Begrüßung.
»Und wer bist du?«, fragte mich der Mann, der sich mir als Mr Honk vorgestellt hatte.
»Lucy Elizabeth de Mintrus.« Obwohl mich niemand darum gebeten hatte, nannte ich meinen vollen Namen, der mir hier irgendwie angebracht schien. Verlegen strich ich über mein Kleid, das zerrissen und rußverschmiert an mir herabhing.
Die zwei älteren Männer und die Frau tauschten schnelle Blicke aus. Und da fiel es mir auf. Ihre Augen.
Mr Honk hatte kastanienbraune, die Frau, Tatjana, graue und die des Mannes namens Elvon waren violett. Doch das war nicht das Seltsamste an ihnen. Alle waren von einer genauso strahlenden farbigen Intensität wie meine. Sie schienen zu leuchten, ohne einen einzigen Lichtfunken abzusenden.
Der junge Mann blickte kurz auf, sah mich an und mein Mund blieb offen stehen. Er hatte Augen in einem so wunderschönen Türkis wie das Meer. Winzige Wellen schienen durch seine Iris zu wogen und sich an seiner Pupille zu brechen. Als sich Mr Honk an mich wandte, drehte ich mich hastig um und klappte schnell meinen Mund wieder zu.
»Also … Lucy, ist es in Ordnung, wenn wir dir ein paar Fragen stellen?«
Ich nickte vorsichtig. Diese Leute wirkten nicht bösartig. Womöglich war ich ja doch tot und die Fragen waren eine Art Aufnahmeprüfung für den Himmel.
Tatjana und Elvon stellen sich neben Mr Honk, während der Jüngere blieb, wo er war.
»Dann fangen wir mal an.« Mr Honk musterte mich mit seinen leuchtenden braunen Augen. »Wie alt bist du?«
»Siebzehn.« Wozu wollte er das wissen?
»Wo wohnst … hast du gewohnt?«
»In dem Anwesen meiner Familie, im Südosten Englands.«
»Mit wem hast du dort gewohnt?«
Ich runzelte die Stirn. Wieso redete er immer in der Vergangenheit? »Mit meinen Eltern, meinen beiden älteren Schwestern und unseren Bediensteten.«
Die drei tauschten abermals Blicke aus.
»In welchem Jahr wurdest du geboren?«, übernahm nun Elvon.
»I-ich glaube, 1586.«
»Und wo?«
Seine violette Iris irritierte mich. »Bei uns auf dem Anwesen.«
»Und seit wann hast du deine Augen?«
»Ähm … schon immer?« Jeder Mensch hatte Augen, von Geburt an. Hatte ich die Frage falsch verstanden?
»Ich glaube, ich habe meine Frage falsch formuliert«, bestätigte mir Elvon und faltete die Hände zusammen. »Ich wollte eigentlich wissen, seit wann deine Augen diese ungewöhnliche goldene Färbung haben.«
Empörung machte sich in mir breit. Er bezeichnete meine Augenfarbe als ungewöhnlich, dabei hatte er selbst noch ungewöhnlichere Augen. Dennoch antwortete ich wahrheitsgemäß. »Meines Wissens habe ich diese Augenfarbe schon immer. Jedenfalls so lange ich mich zurückerinnern kann.«
Elvon runzelte die Stirn. »Und deine Eltern? Haben sie diesbezüglich mal irgendwann etwas erwähnt?«
Ich war gerade dabei, den Kopf zu schütteln, als eine uralte Erinnerung in mir aufstieg, die ich zu verdrängen versucht hatte. Die Erinnerung handelte von einem Tag, an dem mein Unterricht bei Miss Lessing, meiner Lehrerin, früher geendet hatte, und ich, keine sieben Jahre alt, auf dem Weg zu meinem Zimmer am Studierzimmer meines Vaters vorbeigekommen war und ein leises Schluchzen gehört hatte.
Leise schlich ich näher an die Tür und lauschte der Stimme meines Vaters, die durch das Holz etwas dumpf klang. »Celine, Schatz, beruhige dich bitte.«
Ein Stuhl knarzte und eine weibliche Stimme jammerte leise eine Antwort, die ich jedoch nicht verstehen konnte.
»Was bedrückt dich, Liebling?«, wollte mein Vater mit seiner beruhigenden dunklen Stimme wissen.
»Ach, es ist nur …«, vernahm ich dann die Stimme meiner Mutter deutlich, die sich darum bemühte, sich zusammenzureißen. »Oh Ferris! Ich bin so schrecklich in Sorge. Wegen Lucy.«
Eigentlich wollte ich gar nicht hören, worüber sie sich sorgte. Doch ich war wie gelähmt und blieb stehen.
»Sie ist so furchtbar einsam, ohne jegliche Freunde. Alle Kinder finden sie seltsam, befremdlich. Und weshalb? Wegen dieser abscheulichen goldenen Augen.«
»Celine! Gerade du solltest nicht so von ihr sprechen.« Mein Vater klang verärgert. »Sie ist ein wundervolles, kluges Kind. So schön und makellos …«
»Das ist es doch gerade«, unterbrach ihn meine Mutter aufgebracht. »Merkst du das nicht, Ferris? Jeder, der sie sieht, hält sie für perfekt.«
»Ja …«
»Eben! Sie ist einfach zu perfekt. Hat keinen einzigen Fleck auf ihrer glatten, pfirsichfarbenen Haut, keinen einzigen krummen Nagel an ihren zarten Händen oder Zehen, und kein einziges stumpfes Haar in ihrer prachtvollen, wallenden Mähne. Sie ist zu hübsch. Zu makellos, zu perfekt. Sie ist nicht normal, und obwohl das eigentlich gute Eigenschaften sind, macht es den Leuten Angst, weil sie so anders ist.« Ein Seufzen drang durch die Tür. »Und als Krönung von alledem, die goldenen Augen. Warum konnten sie nicht die schöne grüne Färbung, die sie hatten, behalten? Warum haben sich ihre Augen wenige Tage nach ihrer Geburt in diese goldenen Monster verwandelt? Warum …?«
Ich stolperte von der Tür weg und Tränen liefen mir über die Wangen. Meine Mutter hatte es mit ihren Worten geschafft, dass ich mich selbst hasste.
Von dem Tag erschien mir meine Schönheit wie ein Fluch und noch etwas veränderte sich. Evie wurde noch wichtiger für mich. Sie wurde so etwas wie meine Mutter, während mich meine richtige Mutter nach ihren Worten für immer verloren hatte.
Ich blinzelte den Schleier der Erinnerung von meinen Augen und kehrte zurück in die Gegenwart.
»Ich habe einmal bei einem Gespräch meiner Eltern gehört, dass ich die goldene Färbung wenige Tage nach meiner Geburt bekommen habe.«
»Wenige Tage? Bist du sicher?« Elvons Falten auf seiner Stirn vertieften sich.
Ich nickte.
Jetzt trat Tatjana vor, sodass ich ihre Damenhose besser betrachten konnte. Sie war aus einem blauen, engen Stoff, fast wie eine Strumpfhose. Vielleicht war dies die neueste Mode aus Paris, die nur noch nicht ihren Weg zu uns gefunden hatte?
»Ich stelle dir nun eine Frage, die möglicherweise etwas unangenehm ist, auf die ich mir aber dennoch eine ehrliche Antwort wünsche.« Ihre grauen Augen glitzerten auf eine geheimnisvolle Weise und ließen sie irgendwie weise erscheinen, als sie mich mit ernster Miene fragte: »Wie viele Menschen hast du in deinem Leben schon umgebracht?«
Da war es wieder, das Wort. Umgebracht. Getötet. Ermordet. Etwas Ähnliches hatte mich bereits der Earl gefragt, bevor er sich in einen Dämon verwandelt hatte.
Dass